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Nachruf
Ein engagierter Europäer

Zum Tod von Henrik Enderlein
Henrik Enderlein
Henrik Enderlein während einer Rede im französischen Wirtschaftsministerium © picture alliance / dpa | Etienne Laurent

Es war eine unendlich traurige Nachricht: Mit 46 Jahren ist Henrik Enderlein verstorben – nach schwerer Krankheit. Mit ihm verliert Deutschland einen souveränen Grenzgänger zwischen Wissenschaft und Politik. Frankreich verliert einen großen Freund. Unsere Gedanken sind bei seiner Familie und seinem Vater Professor Hinrich Enderlein, Mitglied im Kuratorium der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit. Wir werden seinen Sohn vermissen.

Henrik Enderlein war ein herausragender Politikwissenschaftler mit internationaler Ausbildung und globalen Netzwerken. Seine fachlichen Schwerpunkte lagen in jenen Bereichen, die mit der anglo-amerikanisch inspirierten Bezeichnung seiner Professur für Politische Ökonomie („Political Economy“) am besten zu fassen sind: jene Wechselbeziehungen und Zusammenhänge zwischen Politik und Wirtschaft, die über das Schicksal von Prozessen der Integration und Verständigung entscheiden, allen voran in Europa. Ganz in diesem Geiste gründete er 2014 als Vizepräsident der Hertie School of Government in Berlin das Jacques Delors Zentrum, ein Think Tank zu Fragen der Entwicklung Europas, den er seit dessen Entstehen auch als Direktor leitete. Seit 2018 kam dann die Präsidentschaft der Hertie School selbst hinzu – bis vor wenigen Wochen, als Henrik Enderlein sein Amt krankheitsbedingt niederlegte. 

Er war ein Kenner Frankreichs – mit engen persönlichen Kontakten in die Entscheidungs- und Machtzentren der französischen Hauptstadt Paris. Allem voran stand dabei in den jüngsten Jahren die Verbindung zu Staatspräsident Emmanuel Macron und seinem Umfeld. Henrik Enderlein war dort ein gern gesehener Gast sowie einflussreicher Berater. Auch seine Hertie School in Berlin profitierte davon: Besuche französischer Politikprominenz mit niveauvollen Diskussionen und Gesprächen fanden in der Berliner Friedrichstraße 180, dem Sitz der Hertie School, regelmäßig statt, in jüngster Zeit u. a. mit EU-Kommissar Michel Barnier sowie Minister und Macron-Berater Clément Beaune. Es waren Sternstunden des fruchtbaren, offenen Hintergrundgesprächs.   

Henrik Enderlein war ein Brückenbauer – und zwar nicht nur zwischen Deutschland und Frankreich, sondern auch zwischen weltanschaulichen Grundpositionen. Einer der Autoren dieses Nachrufs (Karl-Heinz Paqué) arbeitete von 2010 bis 2012 mit ihm recht eng zusammen – in der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags zu „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“. Beide waren Sachverständige, die allerdings von unterschiedlichen Fraktionen nominiert wurden: Enderlein von der SPD-Fraktion, damals oppositionell, und Paqué von der FDP-Fraktion, damals regierungsstützend. Bei allen Unterschieden im Einzelnen war diese Zusammenarbeit nicht nur fachlich fruchtbar, sondern auch menschlich bereichernd. Henrik Enderlein gelang es meisterhaft, gedankliche und politische Brücken zu schlagen zwischen wachstumskritischen Positionen, wie sie Grüne, SPD und Die Linke einnahmen, und positiven Deutungen des Wachstums, wie sie eher aus FDP und CDU/CSU zu hören waren. Es ist nicht übertrieben, ihn als engagierten Sozialliberalen zu bezeichnen – mit großem Verständnis für Marktkräfte, aber auch mit stetem Blick für die gesellschaftliche Verantwortung. Dass er 2012 wegen einer höchst ehrenhaften Pierre-Keller-Gastprofessur an der Harvard Kennedy School die Enquete-Kommission noch vor deren Abschluss verlassen musste, wurde von allen Seiten bedauert.

Mit Henrik Enderlein verlieren wir einen großartigen Kollegen – als Wissenschaftler und Forschungsmanager. Er wird in Deutschland, Frankreich und Europa fehlen.