EU und Golfstaaten
Erstes Gipfeltreffen: EU und Golfstaaten wollen enger zusammenarbeiten
Gipfeltreffen zwischen EU und Golf-Kooperationsrat in Brüssel.
© picture alliance / ANP | Remko de WaalIn einer Zeit herausfordernder geopolitischer Verhältnisse fand gestern das erste Gipfeltreffen zwischen den Staats- und Regierungschefs der EU und des Golf-Kooperationsrates (GCC) in Brüssel statt, um die Vertiefung der Zusammenarbeit in wichtigen politischen Bereichen zu diskutieren. Der GCC umfasst als Mitgliedsstaaten das Königreich Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, das Königreich Bahrain, das Sultanat Oman, Katar und Kuwait).
Das Interview führten Johanna Hans (Referatsleiterin Europa) und Ralf Erbel (Referatsleiter MENA und Subsahara-Afrika) mit Dr. Sebastian Sons, Wissenschaftler am Bonner Forschungsinstitut CARPO – Center of Applied Research in Partnership with the Orient.
FNF: Lieber Herr Dr. Sons, welche Bedeutung messen Sie dem gestrigen Gipfeltreffen zwischen der EU und dem Golf-Kooperationsrat für die Beziehungen zwischen den beiden Seiten zu? Mit welchen Erwartungen und Wünschen geht die EU auf die zunehmend einflussreichen Länder der GCC zu und in welchen Bereichen sehen Sie die größten Herausforderungen für die Zusammenarbeit?
Dr. Sebastian Sons: Grundsätzlich hatte der Gipfel vor allem symbolische Bedeutung und stellt den vorläufigen Höhepunkt eines Prozesses in den EU-Golf-Beziehungen dar, der 2022 an Fahrt aufnahm. Damals veröffentlichte die EU ihre Strategie zur Zusammenarbeit mit den Staaten des Golfkooperationsrates.
In dieser Strategie betont sie die gewachsene Relevanz der Golfstaaten in der Regional- und Geopolitik und als Partner im Kampf gegen den Klimawandel. Bis dahin beruhte das Verhältnis zwischen EU und den Golfstaaten vor allem auf Wirtschafts- und Handelsbeziehungen, blieb aber im politischen Bereich eher oberflächlich. Zwar spielt die wirtschaftliche Dimension weiterhin eine bedeutende Rolle in den Beziehungen – immerhin ist die EU nach China der zweitwichtigste Handelspartner für die Golfstaaten. Doch mehr denn je hat die EU erkannt, dass die Golfstaaten in einer Welt der Krisen kein Partner der Wahl, sondern ein Partner der Notwendigkeit sind, die nicht vernachlässigt werden dürfen.
Nach der Veröffentlichung der Golf-Strategie wurde mit Luigi di Maio im Mai 2023 ein EU-Sondergesandter für die Golfstaaten ernannt, neue EU-Delegationen am Golf eröffnet und erste Ministertreffen durchgeführt, die sich mit Fragen der regionalen Sicherheit beschäftigten. Diese Initiativen haben eine neue Dynamik in die EU-Golf-Beziehungen gebracht, die mit dem Gipfel nun fortgeführt werden soll.
Dabei bleiben wichtige Themen der Zusammenarbeit unverändert: Es geht um Energiekooperationen – gerade in den Bereichen Wasserstoff und Erneuerbare Energien. Es geht um Investitionen und Handel, um kulturellen Austausch, um Interkonnektivität, sichere Handelsrouten, Entwicklungszusammenarbeit und um Migration. Doch in der Schlusserklärung des Gipfels werden auch die aktuellen Krisenherde explizit erwähnt: So wollen sich beide Seiten noch enger im Nahostkonflikt oder in Bezug auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine koordinieren und betonen das gemeinsame Interesse an regionaler Stabilität.
Dennoch wird die zukünftige Zusammenarbeit auch nach dem Gipfel nicht spannungsfrei bleiben. Am Golf wirft man der EU vor, uneins und fragmentiert, überbürokratisch und unflexibel zu sein. Die Absicht, ein Freihandelsabkommen abzuschließen, liegt seit 2008 weitgehend auf Eis. Dieser Konflikt zeigt exemplarisch, dass auf beiden Seiten durchaus unterschiedliche Ansichten existieren. Viele Golfstaaten, wie die VAE, setzen auf bilaterale Abkommen mit der EU, um ihre eigenen Interessen voranzutreiben. Dies sorgt bei anderen Golfstaaten wie Saudi-Arabien für Skepsis, verfolgt man doch im Königreich eher einen multilateralen Ansatz.
So existieren auch am Golf unterschiedliche Interessen und Sichtweisen auf die EU, die konkrete gemeinsame Initiativen in Zukunft erschweren könnten.
FNF: Die Chancen einer engeren Zusammenarbeit liegen in den genannten Politikfeldern auf der Hand. Welche Ziele und Erwartungen verfolgen die GCC-Länder mit Blick auf die EU? Woran hakte es bislang in den bilateralen Beziehungen zwischen Europa und dem GCC?
Dr. Sebastian Sons: Für die Golfstaaten ist die EU weiterhin ein wichtiger Partner, aber nicht der wichtigste.
In einer Zeit der multipolaren globalen Neuordnung diversifizieren alle Golfstaaten ihre internationalen Partnerschaften. Engere Zusammenarbeit mit China, Russland, Indien und anderen nicht-westlichen Akteuren, z.B. im BRICS-Format, ist daher zu einem wichtigen Credo am Golf geworden: Um die nationalen Wirtschaften vom Erdöl unabhängiger zu machen, brauchen die Golfstaaten so viele Geschäftsbeziehungen wie möglich. Deswegen will man sich nicht einem Lager zuordnen, sondern strategische Autonomie bewahren. In diesem Rahmen bleibt die EU durchaus relevant – insbesondere bei Fragen der wirtschaftlichen, technologischen oder kulturellen Zusammenarbeit. Programme wie Erasmus Plus oder der europäische Green Deal sind für die Golfstaaten attraktiv, um den Wissenstransfer und die Zusammenarbeit im Bildungsbereich auszubauen.
Allerdings: Die EU wird nicht als schlagkräftiger sicherheitspolitischer Akteur wahrgenommen, sondern eher als zahnloser Tiger. In diesem Politikfeld liegt der Fokus weiter auf den USA.
Seit dem Beginn des Gaza-Krieges im Oktober 2023 hat sich diese Skepsis und Frustration am Golf gegenüber Europa nochmal verschärft: In der Golfregion nehmen viele die EU als doppelmoralischen Akteur wahr, der sich zu wenig für eine Deeskalation des Konflikts einsetzt. Zwar wird in der gemeinsamen Erklärung die Schaffung einer Zwei-Staaten-Lösung ausdrücklich betont, doch den Golfstaaten gehen die Bemühungen der EU nicht weit genug. Die Haltung einiger Mitgliedsstaaten – darunter auch Deutschland – wird als einseitig pro-israelisch kritisiert, was in der öffentlichen Wahrnehmung zu einem massiven Vertrauens- und Glaubwürdigkeitsverlust geführt hat. Auf der anderen Seite erhoffte sich die EU von den Golfstaaten eine stärkere Positionierung gegen Russland – was Staaten wie Saudi-Arabien jedoch aufgrund der pragmatischen Zusammenarbeit mit Russland in der OPEC+ ablehnen. Die prekäre Situation der Menschenrechte wird interessanterweise in der Schlusserklärung nicht explizit erwähnt, obwohl dieses Thema immer wieder zu Kritik seitens der EU an den Golfstaaten geführt hat. Beide Seiten waren offenbar sehr bemüht, die gemeinsamen Ziele und Interessen zu betonen.
FNF: Wie könnte es nach dem Gipfel weitergehen? Über welche Instrumente verfügt die EU, um den Prozess konstruktiv voranzutreiben und die Beziehungen zu formen?
Dr. Sebastian Sons: Zweifelsohne war der Gipfel ein wichtiges Symbol, um auf hochrangiger Ebene die Relevanz der Beziehungen zum Ausdruck zu bringen. Konkrete Ergebnisse waren jedoch eher nicht zu erwarten, was sich auch in der Schlusserklärung niederschlägt.
Dennoch könnte dieser Gipfel für ein Momentum sorgen. Beide Seiten brauchen sich, und beide Seiten verfolgen grundsätzlich auch ähnliche Ziele. Trotz bestehender Vorbehalte und Vertrauensverlust sind sich die Entscheidungsträgerinnen und -träger am Golf und in der EU einig, dass die mannigfaltigen Krisen nur gemeinsam gelöst werden können.
Deswegen wurden auch weitere Dialogformate vereinbart: So soll ein solches Gipfeltreffen regelmäßig alle zwei Jahre stattfinden – das nächste Mal 2026 in Saudi-Arabien. Treffen auf Ministerebene, gemeinsame Initiativen in der internationalen Klima- und Energiepolitik, Austauschformate in Bildung, Kultur, Medien, Sport und Kunst oder institutionelle Zusammenarbeit in der Handels- und Wirtschaftspolitik könnten dieses Momentum mit Leben führen.
Das Potenzial ist enorm, allerdings muss realistisches Erwartungsmanagement betrieben werden. Gerade in der EU existieren in der Öffentlichkeit wenig Wissen, dafür jedoch viele Vorurteile gegenüber den Golfstaaten. Daran muss gearbeitet werden. Auf der anderen Seite ist die Kluft zwischen Europa und den Golfstaaten seit dem Gaza-Krieg gewachsen. Um verloren gegangenes Vertrauen wieder herzustellen, müssen beide Seiten als Konfliktvermittler noch mehr Verantwortung übernehmen und ihre unterschiedlichen Kommunikationskanäle nutzen, um weitere regionale Eskalation zu verhindern. Zuletzt kann eine strategische Partnerschaft jedoch nur dann realisiert werden, wenn Europa einerseits anerkennt, dass die Beziehungen mit den Golfstaaten nur auf Augenhöhe und ohne Bevormundung verbessert werden können. Andererseits besteht am Golf teilweise eine überhöhte und unrealistische Erwartungshaltung gegenüber der EU, die sich in Missverständnissen und Fehleinschätzungen auswirkt.
Dr. Sebastian Sons ist Wissenschaftler am Bonner Forschungsinstitut CARPO – Center of Applied Research in Partnership with the Orient und arbeitet seit mehr als 15 Jahren zu den arabischen Golfmonarchien. Er studierte Islamwissenschaften, Neuere Geschichte und Politikwissenschaft und promovierte als Stipendiat der Begabtenförderung der Friedrich-Naumann-Stiftung zu pakistanischer Arbeitsmigration nach Saudi-Arabien. Er bereist die Golfregion regelmäßig und hat mehrere Bücher zu den arabischen Golfmonarchien veröffentlicht: Auf Sand gebaut – Saudi-Arabien. Ein problematischer Verbündeter (2016), Die neuen Herrscher am Golf und ihr Streben nach globalem Einfluss“ (2023) und „Menschenrechte sind nicht käuflich. Warum die WM in Katar auch bei uns zu einer neuen Politik führen muss.“ (2022). Er lebt in Berlin.