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Eine Kolumne von Karl-Heinz Paqué

EU-Klimaziele
Die luftige Leichtfertigkeit der Ursula von der Leyen

Immer unrealistischer werden die EU-Klimaziele. Sie sind zu reinem politischen Fensterschmuck degeneriert. Der Weg dahin bleibt obskur.
Die Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen

Die Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen.

© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Jean-Francois Badias

In dieser Woche hat die EU-Kommission ein neues Klimaziel ausgegeben. Bis 2040 muss das Niveau der EU-weiten CO2-Emissionen auf 10 Prozent des Jahres 1990 vermindert sein. Derzeit stehen wir in der EU gerade mal bei 70 Prozent. Also: In den verbleibenden 16 Jahren brauchen wir noch eine Abnahme um den Faktor 7.

Diese Zielvorgabe ist beim besten Willen nicht zu schaffen. Das kann man schon heute erkennen. Dafür gibt es im Wesentlichen drei Gründe. Erstens lehrt die allgegenwärtige Lebenserfahrung, dass die ersten Teilstrecken einer technischen Effizienzsteigerung immer leichter fallen und kostengünstiger sind als spätere Schritte. Ökonomen nennen dies „Ertragsgesetz“. Zweitens war, historisch betrachtet, die allererste Strecke des Weges besonders „leicht“, weil es in den neunziger Jahren in den post-planwirtschaftlichen Ländern Mittel- und Osteuropas (und in Ostdeutschland) noch viele industrielle Dreckschleudern gab, die man einfach abschalten konnte. Das ist Geschichte, das kommt nicht wieder. Und drittens stößt die Transformation der Energieversorgung schon heute immer mehr an die Grenzen der physischen Flächenverfügbarkeit und gesellschaftlichen Akzeptanz: Immer größere Parks mit immer höheren Windrädern? Immer mehr Photovoltaik auf Dächern und Feldern?

Offenbar erkennt Ursula von der Leyen dieses Problem und versucht es durch zwei Notausgänge zu entschärfen. So rechnet sie die verstärkte Nutzung sowohl der Kernenergie als auch der Carbon-Storage-Technologie (CCS) als akzeptable Varianten der Emissionsminderung mit ein. Beides ist technologisch sinnvoll, hat aber prompt bei Greenpeace und anderen Lobbyverbänden des Umweltschutzes zu scharfem Protest geführt , denn die Kernkraft gilt in diesen Kreisen als zu riskant, während die CCS-Technologie das CO2 gar nicht beseitigt oder vermeidet, sondern nur geologisch einbunkert, also lediglich „netto“ in der Atmosphäre, aber nicht "brutto" auf der Erde die Menge an CO2 reduziert.

Selbst wenn man – zu Recht – über diese Einwände politisch hinweggeht, bleibt die Frage, wie schnell selbst diese Technologien zur Verfügung stehen, und zwar zu erschwinglichen Kosten. Bei der Kernkraft müsste zunächst der technische Durchbruch zu kleinen Kraftwerken der neuen Generation erfolgen, die preiswert in Serie produziert werden können – in großen Stückzahlen ohne hohe Fixkosten. Bei der CO2-Speicherung stellt sich die Frage der geologischen Bedingungen, die in Norwegen, wo die Technik bereits praktiziert wird, sehr günstig ausfallen, anderswo aber noch aufwändig zu prüfen sind. All dies muss dann auch noch von einem gesellschaftlichen Diskurs begleitet werden.

Diese Wege sind durchaus vernünftig, aber es braucht Zeit – selbst bei größter politischer Entschlossenheit - die entsprechenden Wege zu gehen. Ähnlich sieht es in der Landwirtschaft aus, einem der wichtigsten Emittenten von CO2. Diese wurde wohlweislich im Bericht der Ursula von der Leyen überhaupt nicht erwähnt – offenbar aus dem politischen Kalkül heraus, dass sie es sich nicht mit der Agrarwirtschaft verderben will, nur wenige Monate vor der Europawahl. Darauf deutet auch die parallele Rücknahme der umstrittenen Verordnung zur Einschränkung des Gebrauchs von Pflanzenschutzmitteln hin. Die jüngsten Bauernproteste in Deutschland und Frankreich haben gewirkt. Sie machen allerdings auch überdeutlich, wie schwierig die Durchsetzung klimapolitischer Ziele in der Landwirtschaft sein wird.

Fazit: Die Politik macht sich zunehmend unglaubwürdig, wenn sie immer neue utopische Ziel ausruft. Die luftige Leichtfertigkeit, mit die deutsche Christdemokratin Ursula von der Leyen dies tut, untergräbt die Autorität der EU. Wir brauchen dringend eine Rückkehr zur Realität.