EU-Mercosur-Handelsabkommen
Eine unendliche Geschichte
Es ist zum Verzeifeln. Endlich sah es so aus, als könnte in dieser Woche in Rio de Janairo der große Durchbruch beim EU-Mercosur-Handelsabkommen erzielt werden – nach eineinhalb Jahrzehnten der Verhandlungen und einem Abschluss, der im Grunde schon vier Jahre zurückliegt, aber im Jahr 2019 nochmals von der Europäischen Union gestoppt wurde, weil die klimapolitisch motivierten Europäer eine Zusatzerklärung wünschten – zum Schutz des Regenwalds. Dies geschah vor allem auf Druck der Grünenfraktion im Europäischen Parlament, die offenbar das Ohr der Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat, die als Christdemokratin grünen Ansinnen gegenüber sehr offen ist.
Die Grünen waren als Partei auch in Deutschland stets gegen dieses Freihandelsabkommen der EU mit Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay, das den größten Handelsraum der Welt schaffen würde – über den Atlantik hinweg. Doch verschob sich durch die geostrategischen Veränderungen der letzten Jahre doch die Diskussion in Richtung mehr Pragmatismus. Viele Politiker der demokratischen Mitte fragten, ob denn wirklich der klimapolitische Purismus einer stärkeren Präsenz Europas als Handelspartner und Investor in Südamerika entgegenstehen sollte – einer Region, die doch inzwischen eine stabile demokratische Tradition entwickelt hat, traditionell auch kulturell Europa sehr nahe steht und Schritt für Schritt beginnt, die Weichen in Richtung marktwirtschaftlicher Öffnung zu stellen. Warum sollte ausgerechnet diese rohstoffreiche und zukunftsträchtige Region dem imperialistischen Staatskapitalismus Chinas oder gar Russlands überlassen bleiben, die dort in stark zunehmendem Maß aktiv sind? Ein Scheitern des Abkommens würde dem Regenwald im Übrigen herzlich wenig nützen. Selbst Bundeswirtschaftsminister Habeck denkt inzwischen so und mahnt seine Partei zur Mäßigung, was allerdings bisher wenig gefruchtet hat – jedenfalls, was die Beschlusslagen der Grünen betrifft.
Jetzt geben ausgerechnet die aktuelle politische Lage in Argentinien, der zweitgrößten Mercosur-Nation, den Skeptikern nochmals eine Chance, Zeit und damit Einfluss zu gewinnen. Der noch amtierende peronistische Präsident Argentiniens Alberto Fernandez verweist auf die Zuständigkeit des neuen, gerade gewählten libertären Javier Milei, der sich im Wahlkampf gegen das Handelsabkommen ausgesprochen hatte, aber inzwischen aus dem Umfeld seines künftigen Kabinetts sehr viel positivere Töne vernehmen lässt. Die Verzögerung ist gefährlich. Sie droht, eine einmalige Chance verstreichen zu lassen, zumal der brasilianische Präsident Lula da Silva derzeit alles daran setzt, das Abkommen abzuschließen. Je mehr Zeit allerdings verstreicht, umso mehr könnte sich das “window of opportunity” wieder schließen.
Diese Gefahr ist besonders virulent, weil in Europa eine unheilige Allianz von landwirtschaftlichen Protektionsinteressen und klimapolitischen Bedenken wieder aufleben könnte. Große Agrarproduzenten wie Frankreich, Irland und Österreich fürchten weiterhin die lateinamerikanische Konkurrenz und könnten im nächsten Halbjahr in der Zeit der Ratspräsidentschaft des Frankreich nahestehenden Belgien den Abschluss des Abkommens blockieren oder weiterhin endlos verzögern.
Es wird höchste Zeit, dass Deutschland mit aller Deutlichkeit für den zügigen Abschluss des Abkommens wirbt und arbeitet – im Verbund mit der klaren Mehrheit der Nationen in der EU, die ein großes Interesse an einer geopolitischen Stärkung der Union weltweit haben. Zusammen mit Spanien und Portugal, die sich als “Lobbyisten” für Lateinamerika in der EU verstehen, könnte dann wieder Bewegung in die Sache kommen. Wichtig ist dabei allerdings, dass die Grünen ihre Bedenken zurückstellen und der Bundesregierung kein Bein stellen, sondern sie unterstützen. Dafür gibt es eigentlich auch ökologische Gründe: Uruguay ist, was die klimapolitische Transformation betrifft, ein globaler Vorreiter, da es schon heutzutage 98 Prozent seines Energiebedarfs mit erneuerbarer Energien und Wasserkraft abdeckt. Und in Brasilien ist der entsprechende Anteil immerhin schon 85 Prozent. Keines der europäischen Länder hat Ähnliches vorzuweisen.
Fazit: Es gibt Zeiten, in denen eine wohlverstandene geostrategisch fundierte Wirtschaftspolitik Priorität vor falsch verstandenem ökologischem Dogmatismus haben muss. Wir leben in genau solchen Zeiten. Der Rest gehört zur cleveren Diplomatie der Zusatzprotokolle.