Umweltpolitik
CO2 Grenzausgleich: Wie rettet die EU das Klima?
Die Europäische Union hat sich viel vorgenommen. Das ehrgeizige Emissionsziel lautet: 50% weniger CO2-Emissionen bis 2030 (Basisjahr 1990). Die Vorschläge, die die EU-Kommission dazu vorlegen wird, bedienen sich eines breiten Instrumentariums und werden tief in den Alltag der Bürgerinnen und Bürger Europas eingreifen: Es geht um den Emissionshandel, Energiesteuern, Energieeffizienzziele, CO2-Grenzabgaben, Klimasozialfonds und grüne Treibstoffe. Betroffen sind die individuelle Mobilität, Wohnen, Energieerzeugung, Schifffahrt und Luftverkehr, Nahrungsmittelerzeugung und Forstwirtschaft, Exporte und Importe sowie der Ausbau erneuerbarer Energien und deren Infrastruktur.
Im Europa des Jahres 2030 sollen die Menschen anders wohnen, fahren, fliegen, essen, wirtschaften als heute: Europa wird sich umbauen müssen, wenn die vereinbarten Ziele erreicht werden sollen. Vor die Verwirklichung der Pläne hat die europäische Demokratie den politischen Verhandlungsprozess gesetzt. Auf die Vorlage der Kommissionspläne werden Stellungnahmen und Verhandlungen zwischen den Regierungen der Mitgliedstaaten und dem Europäischen Parlament folgen, so wie es der Gesetzgebungsprozess der EU vorsieht. Und dabei werden die unterschiedlichen Interessen der einzelnen Mitgliedstaaten hart aufeinanderstoßen; die Lobbyorganisationen der betroffenen Branchen und NGOs werden versuchen, sich Gehör zu verschaffen. Die große Frage dabei lautet: Ist der Richtwert 2030 zu halten?
Emissionshandel ausweiten
Allein drei Beispiele mögen Dimension und Komplexität des künftigen Prozesses veranschaulichen. Punkt 1: Der Umbau des EU-Emissionshandelssystems. Der Handel mit Emissionszertifikaten zur Verringerung des CO2-Ausstoßes ist ein urliberaler Ansatz. Er gilt heute als etabliert und wird nun auf seine nächste Stufe geführt. Nach Energieerzeugung, verarbeitender Industrie und Luftfahrt in der EU soll sein Wirkungsbereich ausgedehnt und die Zahl der Zertifikate verringert sowie deren kostenlose Verteilung reduziert werden. Zu hören ist, dass die EU-Kommission Schifffahrt, Gebäude und Straßenverkehr in das neue System einbeziehen will.
Fest steht: die „einfachen“ Einsparungen haben Energieerzeuger und Industrie in den vergangenen Jahren längst realisiert, alle nächsten Schritte werden deutlich teurer und Bürgerinnen und Bürger werden sie direkter spüren. Im Geldbeutel, wenn Preise steigen, und zusätzlich in der Alltagswirklichkeit, wenn beispielsweise Gebäude umgebaut werden. Und sicher ist auch: Mitgliedstaaten wie Polen, deren Energieerzeugung nach wie vor stark von der Kohle abhängen, werden gegen die Pläne hinhaltenden Widerstand leisten und Kompensation an anderer Stelle fordern.
Und in der Tat: hier wird die Klima-Sozialfazilität wichtig. So der EU-Sprech für einen Sozialfond für Klimaschutzmaßnahmen, in den mindestens 50% der Einnahmen fließen sollen, die das umgebauten Emissionshandelssystem erzielt. Aus diesem Topf kommen dann Mittel, um die Kosten des Übergangs für schutzbedürftige Bürgerinnen und Bürger abzufedern. Reichlich Verhandlungsmasse und Stoff für lange europatypische Verhandlungsnächte.
Internationalen Handel klimagerechter machen
Punkt 2: Die Einführung einer CO2-Grenzabgabe, in der Sprache der Ökonomen Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM) genannt. Diese Abgabe auf Import-Güter aus Drittstaaten mit geringeren Klimaauflagen soll verhindern, dass Produktionsstätten an Orte geringer Klimaschutzauflagen verlegt werden und dass die europäische Industrie vor unfairem Wettbewerb durch Waren mit einem höheren CO2-Gehalt geschützt wird. Wie zu hören ist, soll es zunächst um den Schutz für Zement, Düngemittel, Eisen und Stahl, Aluminium und Elektrizitätserzeugung gehen. Neben den üblichen Abgrenzungsfragen gibt es indes ungelöste Probleme bei der WTO-Konformität dieser Maßnahme. CBAM wird nur dann überhaupt mit den Regeln der WTO vereinbar sein, wenn die bislang noch kostenlose Zuteilung von Emissionszertifikaten an einzelne Branchen aufhört. Denn eine doppelte Kompensation ist verboten.
Es gibt noch einen weiteren, sehr grundsätzlichen Einwand, mit dem sich die EU in Zukunft auseinandersetzen muss: Die USA, China und manche Schwellenländer machen sich Sorgen um den Exportmarkt EU. Und solche Sorgen können schnell umschlagen in Gegenmaßnahmen, die den ohnehin schon stark angeschlagenen internationalen Handel weiter schwächen könnten bis hin zu einem ausgewachsenen Handelskonflikt.
Sowohl die Reform des Emissionshandelssystems als auch die Einführung eines CBAM zeigen, dass die EU mit ihren Plänen auf internationale Kooperation angewiesen ist. Ideal wäre ein weltweiter Zertifikate-Handel, um die Investitionen in den Klimaschutz dort vorzunehmen, wo die Einsparungen am größten und die entsprechenden Innovationen effizient anzutriggern sind. Mindestens aber muss die EU mit geschickter Diplomatie und gezielter Kompensation möglichst viele Länder zum Mitmachen gewinnen, damit zu starke Verwerfungen in Handel und Globalisierung vermieden werden können – eine Herkulesaufgabe.
Raum für Kompensationsgeschäfte
Punkt 3: Die Überarbeitung der Energiebesteuerungsrichtlinie. Dieses Stück Gesetzgebung ist fast zwanzig Jahre alt, legt Mindeststeuersätze für Energieprodukte fest und regelt Steuerbefreiungen oder -vergünstigungen, etwa für Diesel und Kerosin. Hier liegt ein großer Hebel für Staatseinnahmen und Lenkungswirkungen. Indes: Über Steuern wird in der EU im Kreise der Mitgliedstaaten nach dem Einstimmigkeitsprinzip befunden. Härteste Kämpfe zwischen unterschiedlichen Interessen sind vorprogrammiert. Und da wird es dann auch um Kompensationsgeschäfte für Kompromisspakete an ganz anderer Stelle gehen.
Dieser nur kurze Blick auf einige der 13 Teile des Pakets „Fit for 55“ hat bereits gezeigt, wie komplex und vielgestaltig das Paket an sich ist, und wie viele Querverbindungen zwischen seinen Bestandteilen bestehen. Und das beschreibt das Bild der Schwierigkeiten noch nicht annähernd vollständig. Die gleichen Staats- und Regierungschefs und -chefinnen, das gleiche EU-Parlament, das dieses Paket stemmen muss, wird sich permanent mit neuen Krisen und Herausforderungen beschäftigen müssen, sowie politisches und materielles Kapital und die Ressource Zeit einsetzen müssen, um die Krisen zu lösen und den Herausforderungen zu begegnen. Genannt seien nur der Systemkonflikt mit China, die Gestaltung der Migration, die Wahrung der Einheit des Westens und die Sicherheitsbedrohung durch Russland.
Die langen 20er Jahre der Klimapolitik
Die 20er Jahre des 21. Jahrhunderts werden so zu einem Jahrzehnt der Mehrfachherausforderungen und der Mehrfachprüfungen unserer Politiker und Politikerinnen, unserer Institutionen und nicht zuletzt der Bürgerinnen und Bürger. Daher könnten die 20er Jahre der Europäischen Klimapolitik deutlich länger dauern als nur bis 2030. Indes: Wer jetzt beginnt, hart verhandelt, Allianzen sucht, Desinformation und Populismus bekämpft, Innovation und internationalem Handel sowie der Ausweitung des Emissionshandels Freiraum lässt, hat eine Chance ans Klimaziel zu kommen, ohne seine Bürgerinnen und Bürger auf der Umbau-Strecke zu verlieren.
Thomas Ilka ist Regionalbüroleiter des Europäischen Dialogs der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit mit Sitz in Brüssel
Dr. Nele Fabian ist European Affairs Managerin mit den Themenschwerpunkten Nachhaltigkeit, Innovation, Marktwirtschaft mit Sitz in Brüssel
Der Europäische Dialog der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit führt im September und Oktober seine 2. und 3. Sustainability Week zu den Themen Mobilität und Ernährung durch. Die erste Sustainability Week fand in der vergangenen Woche statt. Sie hatte die Zukunft von Konsum und Produktion sowieKreislaufwirtschaft zum Thema.