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Frankreich
Finale Runde der französischen Präsidentschaftswahlen: Schicksals- und Richtungswahl für Europa

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Emmanuel Macron während eines Wahlkampfstopps am Donnerstag, den 21. April 2022 in Saint-Denis, außerhalb von Paris." Würde ich auch noch eines streichen

© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Ludovic Marin

Nicht nur wegen des Ukrainekrieges und seiner politischen Folgen ist die französische Präsidentschaftswahl, die am 24. April in ihre entscheidende Runde geht, von zentraler Bedeutung. Sie ist (einmal wieder) eine Schicksals- und Richtungswahl, auch für Europa. Umso alarmierender ist die tiefe Spaltung Frankreichs in mehrere Blöcke: Ein Teil der französischen Bevölkerung hat über die Jahre einen veritablen Hass gegen ihre politischen Vertreter als solche entwickelt und sich vom Politischen völlig abgewendet.  

Macron vs. Le Pen – zwei diametral entgegengesetzte Visionen für Frankreich

Fast ganze drei Stunden bis spät in den Abend debattierten die rechtsextreme Marine Le Pen und der amtierende Staatspräsident Emmanuel Macron und legten dabei zwei radikal unterschiedliche politische Programme und Weltsichten offen. Die Auseinandersetzung war weniger heftig als 2017, aber dennoch von großen Meinungsverschiedenheiten zwischen den beiden Finalisten der Präsidentschaftswahlen geprägt. Auf der einen Seite: Le Pen, eine nationalistische Globalisierungsgegnerin, die Frankreich vielfältigen Gefahren ausgesetzt sieht: Frankreich befinde sich im industriellen, sicherheitspolitischen und identitären Niedergang; seine Bürgerinnen und Bürger müsse man vor angeblich überall im Land wütenden illegalen Migranten, respektlosen Gewalttätern und Großunternehmern, die nur auf ihren eigenen Profit bedacht seien, schützen. Auf der anderen Seite: Macron, ein glühender Europabefürworter, der Frankreich weiter reformieren will: Frankreich soll international attraktiver für Investitionen werden und Vollbeschäftigung verzeichnen; ein Premierminister für die Energiewende soll sich speziell diesem Zukunftsthema widmen.

Der scheidende Präsident bemühte sich sowohl in der TV-Debatte als auch in den zwei Wochen zwischen erstem und zweitem Wahlgang auf Ungereimtheiten und Schwachstellen im Programm seiner Konkurrentin hinzuweisen, und beschuldigte sie insbesondere, Frankreich de facto in Richtung eines Austritts aus Europa zu drängen, ohne sich öffentlich dazu zu bekennen. Demgegenüber warf Marine Le Pen Macron vor, den Franzosen Glauben machen zu wollen, es gebe eine europäische Souveränität, obwohl es kein europäisches Volk gäbe, das diese Souveränität verkörpere. Aber Emmanuel Macron ist sich über diese Differenzierungen durchaus bewusst, wie die neue Studie und Podcastfolge der Friedrich-Naumann-Stiftung in Brüssel zur französischen Europapolitik aufzeigt.

Macron ist vor allem gegen Le Pen

Auffällig in diesem Wahlkampf ist, dass Amtsinhaber Macron seit dem ersten Wahlgang heftig gegen Le Pen vorging, obwohl er vorher eher keinen Negativwahlkampf betrieben hatte. Marine Le Pen strich hingegen vor allem ihr eigenes Programm heraus und untermauerte die Ernsthaftigkeit ihrer Politikvorschläge, indem sie diese bis ins kleinste Detail sogar schon in Gesetzestexte gegossen hat, die öffentlich auf ihrer Internetseite einsehbar sind. Neben dem Image der besorgten Volksdame wollte sie damit vor allem ihre „Präsidentiabilität“ hervorstreichen. Auch wenn der Abstand zwischen den Kandidaten wohl nicht so eindeutig wie noch 2017 ausfallen wird, ist eher unwahrscheinlich, dass die Fernsehdebatte die Wahlentscheidung maßgeblich beeinflussen wird, so die erste Einschätzung des Meinungsforschers Brice Teinturier auf Tf1. Die Debatte im Jahr 2017 hatte seinerzeit durchaus einen Ausschlag gegeben, da Marine Le Pen vor der Debatte noch zwischen 40 und 41 Prozent lag und nach der Debatte 6 bis 7 Prozentpunkte verlor. Doch war sie dieses Mal wesentlich besser vorbereitet und strahlte vor allem mehr Ruhe und Zuversicht aus, wenngleich sie im Detail weniger Fachwissen als Emmanuel Macron offenbarte. Wühlte sie 2017 noch verunsichert in ihren Notizen herum, wirkte sie dieses Mal wesentlich selbstsicherer und attackierte den amtierenden Präsidenten kaum. Es scheint fast so, als hätten beide Kandidaten die Rollen getauscht, denn Emmanuel Macron zögerte nicht, Marine Le Pens Programm etwa mit Blick auf ihre Vorschläge zur Kaufkraft auseinanderzunehmen und dabei für einige wenige rhetorische Höhepunkte in der Debatte zu sorgen, die ansonsten recht technisch und ruhig verlief.

Dennoch sollte sich der amtierende Präsident nicht zu siegessicher wähnen. Auch wenn der Abstand zwischen den beiden Kandidaten in den letzten zwei Wochen und nach der Debatte leicht gestiegen ist und am 20. April bei 56,5 zu 43,5 % lag, ist ein Wahlsieg Marine Le Pens weiter möglich. Die große Frage ist, für welchen Kandidaten die Wählerschaft des linksextremen Mélenchon, der immerhin knapp 22 % der Stimmen im ersten Wahlgang erhielt, stimmen wird (laut aktuellen Umfragen 40 % für Macron und 17 % für Le Pen) und wie hoch die Wahlenthaltung ausfällt (momentan geschätzt auf 44 %). Dass insgesamt mehr als die Hälfte der Wählerschaft Mélenchons Emmanuel Macron nicht gerade positiv zugewandt ist, konnte der Präsidenten-Kandidat auch gleich noch am Tag nach dem Fernsehduell und drei Tage vor Wahltag erfahren, als er das ärmste Departement Frankreichs, Seine Saint-Denis besuchte das mehrheitlich für Mélenchon stimmte. Dort skandierte ein Teil der Menge, wie wütend sie seien und genug von ihrer Misere hätten. Das Image der Volksnähe konnte Emmanuel Macron dann auch bis zuletzt trotz seiner zahlreichen Besuche in ganz Frankreich, darunter in der Mélenchon-Hochburg Marseille am 16. April nur bedingt erzeugen. Auch wenn zwei von drei Franzosen ihn zuletzt beim Fernsehduell mit Marine Le Pen überzeugender fanden als seine Konkurrentin, wurde er in den französischen Medien einhellig als eher arrogant wahrgenommen. In der Regie während der Debatte, die minutiös vorbesprochen war, forderte der eigens eingesetzte Regisseur Jérôme Revon sogar, die Nahaufnahmen auszublenden, wo man seine eher despektierlichen Reaktionen auf Le Pens Auslassungen gut studieren konnte. Zwar suchte er in den letzten zwei Wochen immer wieder die Nähe zu französischen Bürgerinnen und Bürgern in Gebieten, die traditionell nicht für ihn stimmten, wirkte zugleich mit seinem Ansatz der langen Reden wie in Straßburg oder Marseille aber eher unnahbar.

Zugleich setzte er in Marseille einen völlig neuen Akzent auf die bis dahin im Wahlkampf eher abwesende Klima-Debatte, nicht zuletzt, um bei den linken und grünen Wählern zu punkten. Zwar seien seit seinem Amtsantritt die Treibhausgase zurückgegangen, aber wie der letzte IPPC-Bericht mahnend erörtert, müssen die Einsparungen weit höher ausfallen, wenn der unumkehrbare Kipppunkt der 1.5-Grad-Marke noch verhindert werden soll.

Emmanuel Macron versprach zudem in seiner Rede in Marseille einen politischen Neuanfang. Er wolle nicht einfach fünf weitere Jahre weitermachen wie bisher, sondern ein Erneuerungsversprechen geben, über neue Wege diskutieren, das starre präsidiale politische System Frankreichs demokratischer zu machen, die Sozialpartner stärker einbeziehen und die Klimafrage zur Chefsache machen.

Sollte Macron wiedergewählt werden, muss er diese Versprechen mit ernsthaften Politikvorschlägen unterlegen, denn die Widersacher links und rechts halten sich für die anstehenden Parlamentswahlen im Juni schon bereit: Wie jüngst der linksextreme Jean-Luc Mélenchon in einem Interview mit BFMTV kundtat, wolle man die Parlamentswahlen zu einem „dritten Wahlgang“ machen;  Mélenchon nutzte auch gleich die Gelegenheit, um sich nebenbei als künftiger Premierminister zu empfehlen.

Jeanette Süß ist European Affairs Managerin im Regionalbüro „Europäischer Dialog“ der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Brüssel.

Hören Sie hier LiberTee – den Frankreich Podcast des Europäischen Dialogprogramms der FNF.