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Geschlechtergerechtigkeit
Schweden als Vorbild?

Die finnische Premierministerin Sanna Marin, die Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen, die estnische Premierministerin Kaja Kallas und die stellvertretende schwedische Premierministerin Ebba Busch

Die finnische Premierministerin Sanna Marin, die Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen, die estnische Premierministerin Kaja Kallas und die stellvertretende schwedische Premierministerin Ebba Busch

© picture alliance/dpa/Lehtikuva | Emmi Korhonen

Wo sind unsere weiblichen Entscheidungsträger?

Etwa 33 % der Mitglieder nationaler Parlamente in der EU sind weiblich. Das mag nicht so schlimm erscheinen, aber wenn man bedenkt, dass Frauen 54,6 % der EU-Bevölkerung ausmachen, wird klar, dass sie in demokratischen Prozessen stark unterrepräsentiert sind. Obwohl einige Mitgliedstaaten (vor allem die skandinavischen) ein deutlich vorteilhafteres Umfeld für die Gleichstellung von Frauen und Männern in der Politik geschaffen haben, liegen andere weit zurück. Die Fortschritte in der EU insgesamt schreiten dabei erschreckend langsam voran. Hinzu kommt, dass politische Parteien, Institutionen und gängige Praktiken oft aus Zeiten stammen, die weit vor der Einführung des Wahlrechts für Frauen in den jeweiligen Ländern lagen. Es ist daher nicht verwunderlich, dass diese Systeme für und um Männer herum geschaffen wurden. Die begrenzte Revision dieser politischen Praktiken und das Fehlen von Vorbildern und Fördersystemen schreckt Frauen häufig von parteipolitischer Teilhabe ab oder macht es ihnen gar unmöglich, insbesondere wenn sie Familie und Beruf vereinen möchten.

Jene, die ins Amt gewählt werden, sind darüber hinaus häufig mit einer Vielzahl von Herausforderungen und geschlechtsspezifischen Stereotypen konfrontiert. Sie werden zwar für ihr Organisationstalent und ihre Fürsorgebereitschaft geschätzt, doch werden ihnen in der Regel eher unterstützende Rollen als Führungsaufgaben zugewiesen, welche den durchsetzungsfähigeren und politisch kompetenteren männlichen Gegenspielern vorbehalten sind. Dies spiegelt sich auch in der Besetzung von Ministerien wider, in denen Frauen häufig mit Sozial- oder Bildungsressorts betraut werden und nicht mit Wirtschaft oder Verteidigung. Darüber hinaus sind Politikerinnen überproportional von digitalen und physischen Belästigungen betroffen. Eine Umfrage des European Liberal Forum fand heraus, dass 68,8 % der befragten Politikerinnen Gewalt aufgrund ihres Geschlechts oder ihrer Herkunft erfahren haben. Hierbei ist zu beachten, dass die Erfahrung von geschlechtsspezifischer Gewalt und Diskriminierung durch Faktoren wie Herkunft, Sexualität und Behinderung noch verschärft werden kann.

Warum wir Frauen in der Außen- und Sicherheitspolitik brauchen

Unsere Gesellschaften sind vielfältig in Bezug auf Geschlecht, Alter, sozioökonomischen Status, Herkunft und Lebenserfahrung. Daraus ergibt sich ein komplexes Geflecht von Bedürfnissen und Herausforderungen, die politische Parteien und gewählte Vertreter bei der Gestaltung von Gesetzen, Haushalten und Diensten berücksichtigen müssen. Aus diesem Grund ist die Repräsentation von Frauen und Minderheiten in der Politik so entscheidend. Sie bringen ihre einzigartigen Sichtweisen und Erfahrungen in den demokratischen Diskurs ein und können zu umfassenderen politischen Ansätzen führen, um Lösungen für die Allgemeinheit zu finden. Wenn sie jedoch unterrepräsentiert sind, besteht die Gefahr, dass ihr wertvoller Beitrag übersehen oder bagatellisiert wird, da sie in ihren Parteien und bei der Wahl in ein Amt nicht den nötigen politischen Einfluss ausüben können.

Es ist kein Geheimnis, dass die Förderung von Frauen und Geschlechtergerechtigkeit zu gesünderen, wirtschaftlich stärkeren und sichereren Gesellschaften führt. Die Stärkung von Frauen bei der Gestaltung und Umsetzung von Außen- und Sicherheitspolitik, im Rahmen der parlamentarischen Entscheidungsfindung, bei Friedensverhandlungen und -verträgen kann zudem zu nachhaltigeren Frieden führen. Der Grund dafür ist, dass Frauen nicht nur die Hälfte der von dieser Politik betroffenen Bevölkerung ausmachen, sondern auch besonders befähigt sind, für die Rechte von Frauen, Kindern, Minderheiten und schutzbedürftigen Gruppen einzutreten, die bei der Entscheidungsfindung häufig außer Acht gelassen werden. Sie werden auch als "ehrliche Makler" wahrgenommen und bieten ein günstigeres Umfeld für den Dialog zwischen verschiedenen Gemeinschaften. Darüber hinaus übernehmen Frauen in Konfliktgebieten im Zuge von Aussöhnungs- und Wiederaufbauprozessen oft spezifische und wichtige Rollen in ihrer Gemeinschaft, die nicht unterschätzt werden dürfen.

Wir kennen die Vorteile der Einbeziehung von Frauen in der Außen- und Sicherheitspolitik: Wo stehen wir in nun im Hinblick auf Geschlechterparität? Während die Vereinten Nationen mit ihrer Strategie der Geschlechterparität erhebliche Fortschritte bei der Beseitigung geschlechtsspezifischer Diskrepanzen gemacht haben, sind die Aussichten in anderen Institutionen eher düster. In der NATO gibt es unter den 29 Mitgliedern des Rates lediglich acht Verteidigungsministerinnen, und die Interparlamentarische Union stellte fest, dass im Jahr 2020 nur 60 von 190 Ländern weltweit eine Außenministerin stellten. Im Verteidigungsressort sind es sogar nur 22, auch wenn im Vergleich zu den Vorjahren ein Anstieg zu verzeichnen ist.

Feministische Außenpolitik auf dem Vormarsch?

Während Frauen in der Politik nur langsam ihren Platz finden, haben geschlechtsspezifische Aspekte der Außen- und Sicherheitspolitik zunehmend Eingang in die Politik und Institutionen gefunden. 2014 war Schweden Vorreiter in der Einführung einer "Feministischen Außenpolitik". Im Mittelpunkt dieses Konzepts stehen die menschliche Sicherheit, die Rechte der Frauen und die gleichberechtigte Vertretung auf der Grundlage der bereits erwähnten Vorteile der Förderung der Geschlechtergerechtigkeit für die Gesellschaft als Ganzes. Mit diesem Ansatz ging Schweden über die Priorisierung der staatlichen Sicherheit hinaus und konzentrierte sich bei der Gestaltung seiner Außen- und Sicherheitspolitik auf die individuelle/menschliche Sicherheit. Schwedens "Feministische Außenpolitik" konzentrierte sich dabei auf drei Aspekte:

  1. Rechte: Förderung der Menschenrechte von Frauen/Mädchen und Beseitigung aller Formen von Gewalt und Diskriminierung gegen sie;
  2. Repräsentation: Einbeziehung von Frauen in Entscheidungsprozesse auf allen Ebenen, über die Politik hinaus auch in der Zivilgesellschaft;
  3. Ressourcen: Zuweisung von Ressourcen für die Förderung der Chancengleichheit/Gleichstellung von Frauen/Mädchen mit gezielten Maßnahmen je nach Zielgruppen.

"Feministische Außenpolitik" hat seither auch in anderen EU-Mitgliedstaaten Interesse geweckt. In 2018 veröffentlichte Frankreich seine Internationale Strategie zur Geschlechtergerechtigkeit mit besonderem Fokus auf die Viktimisierung von Frauen/Mädchen in Krisengebieten. In 2021 folgten Spanien und Deutschland mit entsprechenden Plänen und Entwürfen. Andere Länder wie Norwegen und Belgien verwenden den Begriff "Feministische Außenpolitik" nicht, sondern konzentrieren ihre nationalen Aktionspläne für Frauen, Frieden und Sicherheit auf die Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt (Belgien) oder auf Frauen in Friedens- und Verhandlungsgesprächen (Norwegen). Darüber hinaus verabschiedete das Europäische Parlament 2021 eine Resolution zur "Geschlechtergerechtigkeit in der Außen- und Sicherheitspolitik der EU". Auch wenn all diese Bemühungen zu begrüßen sind, gibt es dennoch einige strittige Punkte im aktuellen Kontext.

Einer der Hauptkritikpunkte ist das Fehlen einer gemeinsamen Definition des Konzepts und der Bezeichnung "Feministische Außenpolitik". Gängige Definitionen betonen in der Regel den Fokus auf das Wohlergehen gefährdeter Gruppen und ein intersektionelles Überdenken der Sicherheitspolitik aus ihrer Perspektive, die Bekämpfung von (sexueller) Gewalt und Diskriminierung von Frauen/Kindern in Konflikten, die Förderung der Vertretung von Frauen in allen Prozessen sowie die Berücksichtigung des Geschlechts bei der Verteilung von Ressourcen. Viele Regierungen sprechen sich gegen die Verwendung des Begriffs "feministisch" als Teil der Agenda aus und verweisen dabei oft auf den sprachlichen Ausschluss anderer gefährdeter Gruppen sowie auf den Bedarf nach Intersektionalität. Daher hat die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit beschlossen, in ihrer Arbeit zu diesem Thema den Begriff "geschlechtergerechte Außen- und Sicherheitspolitik" zu verwenden, um die Diskussion zu erweitern und ein breiteres Spektrum an Akteuren einzubeziehen.

Zeit für einen liberalen Ansatz

Obwohl bereits viele Fortschritte erzielt wurden, ist es wichtig, nach neuen Wegen zu einer inklusiveren Außen- und Sicherheitspolitik Ausschau zu halten. Die Lehren aus den bisherigen Umsetzungen der "Feministischen Außenpolitik" in verschiedenen Ländern sowie das Programm "Frauen, Frieden und Sicherheit" sollten dabei berücksichtigt werden. Es ist nun an der Zeit für Liberale, die Chance zu nutzen, ihre eigene Position zu stärken und somit zu einer geschlechtergerechten Außen- und Sicherheitspolitik beizutragen. Um weitere Ideen für neue Wege zu entwickeln, veranstaltete das Europäische Dialogprogramm der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit am 14. November in Brüssel die Konferenz "Gender x Geopolitics". Dort brachten wir Experten aus den unterschiedlichsten Bereichen zusammen, um Ideen für eine liberale Sichtweise auf Geschlechtergleichstellung und internationale Politik zu entwickeln und zu testen. Daraus ergaben sich drei Bereiche, in denen Liberale ihre Bemühungen intensivieren sollten.

Geschlechtergleichstellung und Inklusion

Zunächst sollte sichergestellt werden, dass die Förderung der Geschlechtergleichstellung Teil einer umfassenderen Inklusivitätsagenda ist. Die Geschlechterperspektive ist eine von vielen, die in der gegenwärtigen Außen- und Sicherheitspolitik fehlt. Es ist darüber hinaus wichtig, weitere fehlende Perspektiven zu identifizieren. Nur durch intersektionale und multipolare Ansätze können wir die Komplexität der Herausforderungen, mit denen wir konfrontiert sind, vollständig verstehen. Die Geschlechterdimension ist ein wichtiger Teil dieses Prozesses, aber für nachhaltige Fortschritte ist es wichtig, dass sie in ein Gesamtbild eingebettet wird. Nur dann können wir der Vielfalt, die unsere Gesellschaften zu bieten haben, gerecht werden und die Vorteile daraus schöpfen.

Ein rationales Vorhaben

Darüber hinaus ist es wichtig, dass wir empirische Erkenntnisse über die Auswirkungen der Geschlechtergleichstellung auf die Sicherheits- und Verteidigungspolitik sammeln. So zeigen beispielsweise immer mehr Erkenntnisse, dass Friedensvereinbarungen in der Regel nachhaltiger und erfolgreicher sind, wenn Frauen mit am Verhandlungstisch sitzen. Ebenso gibt es eine vielversprechende Forschungsagenda zur Rolle der Frauen bei Friedensmissionen und Krisenmanagement. Vieles deutet darauf hin, dass die Beteiligung von Frauen in Streitkräften (insbesondere bei Friedensmissionen) die Wirksamkeit von Friedenskonsolidierung und Versöhnungsbemühungen vor Ort erhöhen kann. Indem wir diese Forschungsagenda erweitern und die positiven Auswirkungen hervorheben, können wir zeigen, dass die Beteiligung von Frauen an der Außen- und Sicherheitspolitik nicht nur richtig, sondern auch vernünftig ist.

Befähigung zu Handeln

Ein letzter Schwerpunkt sollte die Stärkung der Rolle der Frau sein. In vielen Entscheidungsbereichen dominieren nach wie vor männliche Normen. Dies kann es Frauen erheblich erschweren, ihre Standpunkte wirksam zu vertreten. Shada Islam erklärte auf der FNF-Konferenz "Gender x Geopolitics": "Wir brauchen mehr Frauen am Tisch, aber wenn der Tisch nach patriarchalischen Normen zusammengesetzt ist, können die anwesenden Frauen die Diskussion nicht beeinflussen".

Um diesen Kreislauf zu durchbrechen, sind Programme zur Stärkung der Rolle der Frau erforderlich, die den Entscheidungsträgerinnen mit dem Rüstzeug ausstatten, diese Normen in Frage zu stellen. Diese Idee basiert auf dem von Amartya Sen und Martha Nussbaum erstmals formulierten Ansatz der Befähigung. Dieser besagt, dass die Freiheit, Wohlbefinden zu erreichen, eine Frage der Fähigkeit des Einzelnen ist, zu tun und zu sein. Dieser Ansatz der positiven Freiheit kann Frauen helfen, nicht nur einen Platz am Tisch zu bekommen, sondern auch Narrative und Diskussionen zu beeinflussen.

Die Alliance of Her, ein gemeinsames Programm der ALDE-Partei, des European Liberal Forum und der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, ist ein gutes Beispiel für eine Initiative, die auf dieser Idee aufbaut. In den vergangenen Jahren hat sie mehr als 150 Frauen mit den Fähigkeiten, dem Netzwerk und dem Selbstvertrauen ausgestattet, geschlechtsspezifische Barrieren zu überwinden, ihren Platz einzunehmen und in der Politik gehört zu werden. Wir brauchen mehr Programme wie dieses, vor allem im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik, um Frauen in der Politik die Möglichkeit zu geben, ihr Potenzial vollständig auszuschöpfen. Nur so können wir das vollständige Potenzial unserer Gesellschaften entfalten.

Auch wenn wir noch dabei sind, herauszufinden, wie eine geschlechtergerechte Außen- und Sicherheitspolitik auf nationaler und europäischer Ebene genau aussehen kann, so ist doch klar, dass diese Idee die künftige Entscheidungsfindung grundlegend beeinflussen wird. Es ist daher an der Zeit, dass wir Liberale uns an dieser wichtigen Diskussion beteiligen und sie mit unserem einzigartigen Beitrag bereichern. Dies ist nicht nur notwendig und vernünftig, sondern auch ein wichtiger Schritt in Richtung einer freieren, inklusiveren und wohlhabenderen Gesellschaft.