Proteste im Iran
Gewalt und Verbrechen gegen Frauen im Iran
Das iranische Regime schlägt die landesweiten Proteste, die längst nicht mehr nur Gerechtigkeit für die getötete Mahsa Amini fordern, durch Gewalt, willkürliche Verhaftungen, Folter und Tötung der Demonstranten, insbesondere von Frauen und Universitätsstudenten, brutal nieder. Eine unabhängige iranische Menschenrechts-NGO, „Human Rights Activists News Agency“, berichtete am 14 Oktober 2022, dass die Regierung seit Beginn der Proteste bereits 201 Demonstranten getötet hat. Aufgrund der fehlenden Berichterstattung durch internationale Medien kann diese Zahl nicht verifiziert werden. Doch längst wird gemutmaßt, dass die Zahl der getöteten Iranerinnen und Iraner schon höher ist. Die Gefängnisse sind mit den Demonstranten und anderen politischen Gefangenen überfüllt. Sie leiden unter den dramatischen Lebensumständen und sind der Folter ausgesetzt. Das Feuer im Evin-Gefängnis am Wochenende war ein weiterer Aufschrei gegen die Diktatur Iran.
Das harte Vorgehen des iranischen Regimes und der gewalttätigen Sicherheitskräfte wurde international verurteilt, unter anderem vom Europäischen Parlament und dem UN-Hochkommissariat für Menschenrechte (OHCHR). Das Europäische Parlament wird am 17. Oktober zusammentreten, um Sanktionen gegen die iranische Regierung wegen der Brutalität und Gewalt gegen Demonstranten und Frauen zu verschärfen.
Der Oberste Führer Irans, Ali Khamenei, bezeichnete am 3. Oktober die Proteste als ausländisches Komplott und erklärte die USA und Israel als „verantwortlich“. Dies ist eine altbekannte Rhetorik, die Khamenei häufig anwendet, um die Proteste zu beruhigen und die Aufmerksamkeit von der Diskriminierung und Gewalt abzulenken, die der Staatsapparat unter seiner Führung ausübt. Dieses Verhalten ist keineswegs eine Überraschung, denn er hat bereits zuvor ähnliche Demonstrationen mit derartigen Äußerungen verzerrt. Dennoch ist die Tatsache, dass die Demonstrationen im Iran in einem solchen Ausmaß ausgebrochen sind, ein klarer Beweis für die Unzufriedenheit der Bürgerinnen und Bürgern gegen die Ungerechtigkeit, die in der rechtlichen und politischen Struktur des Regimes von Khamenei verwurzelt ist.
Gewalt gegen Frauen
Im Iran bestehen Gewalt und Diskriminierung gegen Frauen in den Gesetzen, der Rechtsprechung und in der gesellschaftlichen Einstellung fort, laut Javid Rehman, dem UN-Sonderberichterstatter über die Lage der Menschenrechte im Iran. Das Regime hat restriktive Vorschriften für das Auftreten von Frauen in der Öffentlichkeit erlassen, das betrifft das Tragen des Hijab, aber auch die Isolierung von Männern. Nach Artikel 638 des iranischen Strafgesetzbuchs droht den Frauen, die den vom Regime vorgeschriebenen Hijab nicht tragen, bis zu zwei Monate Haft. Bis zu 74 Peitschenhiebe drohen einer Frau, die eine sogenannte „sündige Handlung“ (Haram) begeht, darunter versteht das Regime schon eine romantische Beziehung mit einem Mann vor der Ehe, die nach iranischem Recht als Ehebruch gilt.
Seitdem Ebrahim Raisi im Juni 2021 Präsident des Iran wurde, hat sich die Brutalität der Sittenpolizei (GAST-e eršād) zunehmend verschärft, was zu Folter, gewaltsamem Verschwindenlassen und Ermordung von Frauen, insbesondere von Frauenrechtsaktivistinnen, geführt hat. Die Gewalt und Unterdrückung durch die Sittenpolizei ist in vielerlei Hinsicht mit dem Taliban-Ministerium für die Verbreitung der Tugend (Amri Bel Maroof Wa Nai Az Munkar) vergleichbar, das ähnliche schwere Menschenrechtsverletzungen, insbesondere gegen Frauen und Kinder, begangen hat.
Ermordungen, die durch Familienmitglieder an Familienmitgliedern, vornehmlich Frauen begangen werden (sogenannte Ehrenmorde), und Vergewaltigungen durch Regierungstreue sind eine weitere existenzielle Lebensbedrohung für Frauen im Iran. Im Regierungsdiskurs und in den geltenden Gesetzen wird häusliche Gewalt jedoch als Privatangelegenheit betrachtet. Außerdem geht das Regime weiterhin hart gegen Menschen- und Frauenrechtsaktivistinnen vor. Die Verfolgung von Aktivistinnen wie Aliah Motalebzadeh, Masih Alinejad und Nasrin Sotoudeh ist ein Paradebeispiel für die Missachtung der Bürgerinnen und Bürger und deren Menschenrechte. Die meisten dieser Aktivistinnen werden gefoltert, inhaftiert und sogar wegen des angeblichen Verbrechens „der Verschwörung gegen den Staat“ getötet.
Systematische Diskriminierung und gesellschaftliche Segregation
Neben der physischen und psychischen Folter gibt es im Iran eine systematische Diskriminierung von Frauen in verschiedenen sozialen und politischen Bereichen der Gesellschaft. Im Global Gender Gap Report 2022 liegt das Land auf Platz 143 und damit nur noch vor Afghanistan und Pakistan auf der gesamten Länderliste. Frauen sind mit enormen Herausforderungen konfrontiert, sowohl in Bezug auf Familienangelegenheiten als auch auf die Teilnahme am öffentlichen Leben. So ist es Frauen beispielsweise nicht gestattet, hohe Führungspositionen zu bekleiden, etwa als Richterin tätig zu werden oder bei den Präsidentschaftswahlen zu kandidieren. Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation, „United Against Nuclear Iran“ haben sich 40 Frauen für die Präsidentschaftswahlen im Jahr 2021 angemeldet, die jedoch alle von dem Wächterrat (Shora-ye Negahban) des Iran disqualifiziert worden sind.
Das diskriminierende Umfeld und die soziale Isolation verschlechtern die Stellung von Frauen in der Gesellschaft Irans weiter. In den Schulen und Universitäten sind Frauen von ihren männlichen Kollegen so weit getrennt, dass sie nicht einmal an den gemeinsamen Seminaren teilnehmen dürfen, in denen männliche Studenten studieren.
Mangelnder rechtlicher Schutz
Eine der größten Herausforderungen für Frauen im Iran ist der fehlende Rechtsschutz. Ein Gesetzesentwurf, der im Jahr 2013 von Iranerinnen vorgeschlagen worden war, wurde massiv abgeschwächt. Sehr zum Nachteil der Frauen enthält der Entwurf nun weder eine Definition von häuslicher Gewalt noch wirksame Maßnahmen zu deren Bekämpfung. Auch diese Gesetzesvorlage vertritt eine stereotype, diskriminierende und sexistische Sichtweise gegenüber Frauen.
Diskriminierende Bestimmungen im iranischen Strafgesetzbuch schwächen den Rechtsschutz von Frauen zusätzlich, sobald sie für ihre Rechte protestieren. Artikel 639, Strafgesetzbuch, bestraft Protestaktionen von Frauen mit bis zu zehn Jahren Gefängnis wegen angeblicher Anstiftung zu Korruption und Prostitution.
Iran hat das Übereinkommen der Vereinten Nationen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung von Frauen (CEDAW) als eines von wenigen Ländern nicht unterzeichnet. Dabei ist CEDAW weltweit der wichtigste völkerrechtliche Vertrag. Er sieht wirksame Maßnahmen zum Schutz von Frauen gegen jegliche Art von Gewalt und Diskriminierung vor. Mehr als 182 Länder sind Vertragsparteien dieses Übereinkommens, nicht jedoch Iran.
Stattdessen bringt die iranische Regierung die Stimmen der eigenen Bürgerinnen immer wieder zum Schweigen und reagiert auf die internationale Gemeinschaft mit gefälschten Videos und zensierten Informationen – wie etwa über die Ermordung der 16jährigen Demonstrantin Nika Shakarami, deren Video in den sozialen Medien auftauchte, weil sie während der Proteste ihr Kopftuch verbrannt hatte.
Aufrechte Frauen im Iran und weltweit
Die Rechte der Frauen im Iran werden vom Regime ständig gewaltsam verletzt. Die jüngsten Unruhen haben die jahrelange Schikane, Unterdrückung und Brutalität des iranischen Regimes nur noch deutlicher gemacht. Es gibt zwei Faktoren, die die aktuellen Proteste im Iran von den viel kleineren Demos im Nachbarland Afghanistan unterscheiden: Die Frauen im Iran sind gebildet und kennen ihre Grund- und Menschenrechte. Ebenso unterstützen iranische Männer die weiblichen Demonstrantinnen und stehen ihnen sogar insofern bei, dass sie die Frauen mit ihren Körpern gegen Schüsse schützen. Dies ist ein deutliches Zeichen für eine Entwicklung im Iran, die sich gegen die Regierung in Teheran direkt richtet. Die Proteste sind ein wiederholtes Zeichen dafür, dass die Bevölkerung im Iran die Freiheitseinschränkungen und die Verstoße gegen Menschenrechte nicht länger tolerieren will. Jetzt ist es dringend geboten, die Frauen im Iran solidarisch zu unterstützen.