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Sicherheitspolitik
Deutschland übt! Air Defender 2023 und die deutsche Nationale Sicherheitsstrategie

Ein Kampfflugzeug vom Typ F-16 der US Air Force startet von der US-Air Base Spangdahlem während der Luftwaffenübung «Air Defender 2023». An der Luftwaffenübung unter deutscher Führung nehmen bis zum 23. Juni 25 Nationen sowie die Nato teil.

Ein Kampfflugzeug vom Typ F-16 der US Air Force startet von der US-Air Base Spangdahlem während der Luftwaffenübung «Air Defender 2023». An der Luftwaffenübung unter deutscher Führung nehmen bis zum 23. Juni 25 Nationen sowie die Nato teil.

© picture alliance/dpa | Boris Roessler

Deutschland findet seine Rolle in einer neuen Europäischen Sicherheitsarchitektur, langsam – aber sicher. Diese und kommende Woche findet die größte NATO-Luftübung seiner Geschichte statt, in Deutschland, und zeitgleich wird die erste deutsche Nationale Sicherheitsstrategie im Parlament diskutiert.

Die NATO demonstriert Abschreckungsfähigkeit, und Deutschland führt. Diese Woche und in der kommenden ist ein besonderes Ereignis am Himmel über Deutschland zu beobachten: 250 Flugzeuge und Hubschrauber, gestützt durch das Mitwirken von 10.000 Soldatinnen und Soldaten aus 25 Nationen üben ein Beistandsszenario entsprechend des Artikel 5 des NATO-Vertrages. Unter dem Namen Air Defender 23 ist dies die größte Verlegeübung von Luftstreitkräften seit Bestehen der NATO. Deutschland übernimmt die Führung der Übung, aus den USA kommen 100 der 250 Flugzeuge. Daneben sind 21 weitere NATO-Nationen beteiligt sowie Japan als enger Partner der NATO und Schweden als künftiges NATO-Mitglied.

Die Übung ist komplex: viele Nationen, verschiedenste Waffensysteme, und mehrere Dimensionen sind beteiligt. Neben dem Tarnkappenflieger F-35 sind Flugzeuge des Typs F-15 und F-16, Eurofighter, Tornados, F-18, Gripen und das Erdkampfflugzeug A-10 beteiligt. Außerdem wird die Luftkomponente durch Land- und Seekräfte unterstützt. Geübt wird die Luftunterstützung für Bodentruppen, der Luftkampf gegen feindliche Angriffe, das Abfangen von Mittelstreckenraketen und die Verteidigung auf See und Unterwasser. Unter anderem soll auch ein Bodenszenario ähnlich der Evakuierung eines Flugplatzes geübt werden, Teil der lessons learned aus der katastrophalen Evakuierung aus Kabul im August 2021.

Seit 2018 ist die Initiative für Air Defender 23 in der Planung, ist also keine direkte Reaktion auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Dennoch ist sie als starkes Signal der Abschreckung damals schon gedacht worden und heute umso wichtiger. Die Großübung bietet so auch die Möglichkeit, Echtzeitszenarien aus dem russischen Krieg gegen die Ukraine zu trainieren.

Für die Bundeswehr ist die Übung ein Kraftakt. Für die Bevölkerung ist sie eine gute Gelegenheit, mitzubekommen, was die Sicherstellung von Verteidigungsfähigkeit bedeutet. Im Norden wird über weiten Teilen Niedersachsens, Schleswig-Holsteins und der Nordsee, im Osten über Mecklenburg-Vorpommern und der Ostsee und im Süden über Bayern und Baden-Württemberg bis nach Rheinland-Pfalz geübt. Über zwei Wochen wird täglich jeweils vier Stunden der zivile Luftraum in den entsprechenden Regionen Deutschlands gesperrt. Entsprechende Verzögerungen in der zivilen Luftfahrt werden manch einen zivilen Flugreisenden ärgern – die Sperrungen sind aber absolut nötig, um den zivilen und militärischen Luftverkehr sicher zu trennen. Und: Deutschland ist die logistische Drehscheibe sämtlicher im Rahmen der Landes-und Bündnisverteidigung ablaufenden Operationen. Die Einsatzfähigkeit sowohl aus logistischer Sicht als auch in Bezug auf Kampfstärke zu testen und Lehren aus der Übung zu ziehen ist ein wesentlicher Bestandteil europäischer Sicherheit.

Von Einsatz- zu Strategiefähigkeit: Die erste deutsche Nationale Sicherheitsstrategie

Zeitgleich zur Air Defender 23-Übung fand in Berlin eine ganz eigene Übung statt: die Veröffentlichung der allerersten Nationalen Sicherheitsstrategie. Beide sind Teil derselben Entwicklung, in der Deutschland schrittweise eine stärkere internationale Sicherheitspräsenz entwickelt. Während es bei Air Defender 23 um praktische Sicherheit in der Verteidigung geht, geht es bei der Nationalen Sicherheitstrategie um das große Ganze.

Seit Mittwoch ist sie endlich veröffentlich: Die erste deutsche Nationale Sicherheitsstrategie. Seit einem halben Jahr wird sie angekündigt, mehrere Kommunikationsanlässe sind ungenutzt verstrichen. Nun ist sie da, ein Paradebeispiel eines demokratisch erarbeiteten Dokuments. Aus der Sicherheits-Szene in Berlin wird der weite Sicherheitsbegriff kritisiert und die reine Verschriftlichung von bereits bekannten Vorgaben der neuen deutschen Sicherheitspolitik. Nicht viel Neues, nicht genügend Priorisierung. Und trotzdem dominiert die Erleichterung, dass das Dokument endlich da ist und weitergedacht werden kann.

Was ist drin? Ein starkes Bekenntnis zur NATO und weiterer Europäischer Integration, dem NATO-2%-Ziel für Verteidigungsausgaben, der Betonung des vernetzten beziehungswiese nun integrierten Ansatzes für Verteidigung, und die Resilienzstärkung als gesellschaftliche und wirtschaftspolitische Verantwortung. Die Stichworte Wehrhaftigkeit, Nachhaltigkeit und Resilienz fallen im Text und gleich im Titel auf. Was fehlt, sind konkrete Umsetzungsstrategien, die wohl auf Grundlage des Textes nun entwickelt werden können. Vor allem die Frage, wie ein integrierter Ansatz tatsächlich aussehen kann, wenn doch bereits der vernetzte Ansatz bis dato nicht wirklich funktioniert hat.

Zu dem Thema China kann man wohl erstmal nur die China-Strategie abwarten, denn die sogenannte NatSiSt betont schlicht Multipolarität und lässt die Auswahl zu: China als Partner, Wettbewerber und/oder systemischer Rivale. Da ist Spielraum nach oben. Wer Führungswillen erwartet hat, dem sei gleich vorab gesagt: Deutschland versteht sich als partnerschaftlich handelnd, und daran hat auch die Zeitenwende nichts geändert. Auch wenn die Rhetorik eher zurückhaltend ist, ist die Strategie unterm Strich ein Erfolg, und nun kommt es vor allem auf die Umsetzung an.

Air Defender hat mit NatSiSt nichts zu tun, ist aber ein schönes Beispiel, wie die Umsetzung aussehen kann. 2023 scheint das Jahr neuer deutscher Sicherheitspolitik zu sein, zumindest hat das Thema viel Sichtbarkeit – auch wenn der Weg hierhin lange Vorbereitung hinter sich hat.