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Common Effort Convention
Know each other before you need each other! Von gesellschaftlicher Resilienz zu Kriegstüchtigkeit

 "Know Each Other Before You Need Each Other" - Motto der diesjährigen Common Effort Convention zum Thema Resilienz, hybride Bedrohungen und kollektive Verteidigung.

 "Know Each Other Before You Need Each Other" - Motto der diesjährigen Common Effort Convention zum Thema Resilienz, hybride Bedrohungen und kollektive Verteidigung.

© 1GNC

Die Bundeswehr muss kriegstüchtig sein; Deutschland muss es. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius sorgt mit diesem Schlagwort seit einigen Wochen für viel Diskussionsstoff, vor allem in Berlin. Sechsmal wird es in den neuen Verteidigungspolitischen Leitlinien 2023 aufgeführt: als Handlungsmaxime der Soldatinnen und Soldaten und als Beschreibung der Bundeswehr der Zeitenwende – so formuliert es das Ministerium, und Pistorius bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Kritik gibt es aus den eigenen Reihen, von den Grünen und der CDU-CSU Fraktion – nicht so von der FDP: die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann betont die Treffsicherheit des Begriffs und die Notwendigkeit der ehrlichen und direkten Kommunikation. Gesellschaftlich bedeutet Kriegstüchtigkeit vor allem, dass damit – hoffentlich – der dringend notwendige Mentalitätswechsel beflügelt wird. Für Sicherheit und Freiheit benötigt es nunmal Verteidigungsfähigkeit, und dazu bedarf es klarer Worte und gesellschaftliche Unterstützung.

Wie können Zivilgesellschaft, Industrie und Politik dazu beitragen, Deutschland wehrfähig und, ja, kriegstüchtig zu machen? Unter anderem durch intensiven Austausch. 2010 hat das 1. Deutsch-Niederländische Corps die sogenannte Common Effort Community gegründet – als Plattform der zivil-militärischen Zusammenarbeit, zur Schaffung von Vertrauen untereinander und als Anregung, zusammen demselben Ziel entgegenzustreben: der Stärkung von Resilienz und Schaffung von Sicherheit, ganzheitlich. Ursprünglich zur Förderung des vernetzten Ansatzes im internationalen Krisenmanagement gedacht, wird nun verstärkt auf den vernetzten beziehungsweise integrierten Ansatz zugunsten von Landes- und Bündnisverteidigung in Europa fokussiert. Seit zwei Jahren, in Erkenntnis der Bedeutung des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine für ganz Europa und die NATO, hat sich eine neue Säule in der Arbeit von Common Effort etabliert, mit dem Fokus auf Resilienz (wirtschaftlich, infrastrukturell, gesellschaftlich), hybride Bedrohungen, Abschreckung und kollektive Verteidigung.

Die Bekämpfung hybrider Bedrohungen

Die mangelnde Resilienz gegen hybride Bedrohungen ist eine akute Problemstellung, insbesondere in vielen europäischen Ländern und in Deutschland. In den letzten Jahren sind diese Bedrohungen weltweit zu einem wachsenden Anliegen für liberale Demokratien geworden. Durch eine Mischung aus konventionellen und unkonventionellen Methoden, sowohl von staatlichen als auch nichtstaatlichen Akteuren, werden die Sicherheit kompromittiert, Entscheidungsprozesse untergraben und Demokratien destabilisiert. Dies geschieht in verschiedenen Bereichen so, dass es unterhalb der Schwelle der Erkennung und Zuschreibung bleibt. Aktuelle Beispiele sind Cyberangriffe, Desinformationskampagnen (man siehe beispielsweise COVID-19-Verschwörungstheorien), Wahleinmischungen (zum Beispiel im Zuge des Brexit oder der US-Wahlen 2016 und 2020), Angriffe auf kritische Infrastruktur (wie der Hackerangriff auf das Regierungsnetz 2018 und die Sabotage der Nord Stream 2-Pipeline 2022) und die Instrumentalisierung von Migration (wie bei künstlichen Migrationsströmen nach Litauen und Finnland).

Aktuell sind europäische Länder täglich mit hybriden Angriffen konfrontiert. Dies wird zunehmend als strategische Bedrohung erkannt, die eine gemeinsame europäische Antwort erfordert. Die Bewältigung gestaltet sich jedoch alles andere als einfach. Hybride Aktionen sind darauf ausgerichtet, in Grauzonen zu agieren, in denen unklar ist, wer für was verantwortlich ist. Deshalb erfordert der Aufbau von Resilienz nicht nur die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen europäischen Ländern, sondern auch innerhalb verschiedener Sektoren und Akteure dieser Bereiche. Um die Widerstandsfähigkeit zu stärken, ist es wichtig, ein umfassenderes Bild von den Schwachstellen zu erhalten. Durch die Identifizierung von Schwachstellen können Länder die Risiken verringern und sich auf mögliche Angriffsszenarien vorbereiten. Dies gilt besonders für kritische Infrastrukturen wie Kommunikationssysteme, Stromnetze und Verkehrsnetze. Diese Dienste sind entscheidend für den Erhalt essenzieller gesellschaftlicher Funktionen und daher Hauptziele für ausländische Angreifer.

Die Belastbarkeit der Infrastruktur, die Zuordnung von Angriffen sowie Medien- und Informationskompetenz gehen einher mit einem weiteren wichtigen Aspekt: der gesellschaftlichen Widerstandsfähigkeit.

Gesellschaftliche Resilienz – von ziviler Verteidigung und total defence

Entscheidend für den Umgang mit und die Reaktion auf solche Bedrohungen und Destabilisierungsversuche unserer Demokratien ist gesellschaftliche Resilienz. Dazu benötigt es entsprechende Ausbildung in Medienkompetenz, um Narrative einzuordnen und Desinformation aufzudecken, ebenso wie ein starkes Bewusstsein für die eigenen und potenziell negativen Interessen anderer Akteure. Im Idealfall ist eine resiliente, sprich widerstandsfähige, Gesellschaft in der Lage, Schocks und Angriffe abzufedern, sich anzupassen und sich zu erholen, ohne grundlegende Werte und Strukturen zu gefährden. Dazu gehört auch, dass Szenarien zu Ende gedacht werden – worauf zielen Destabilisierungsversuche ab? Wie äußert sich die Verschiebung von unterschwelligen Angriffen unterhalb einer militärischen Auseinandersetzung hin zu einer direkten Bedrohung der Sicherheit und etwaigen militärischen Bedrohung?

Sowohl an der juristischen Definition von Begrifflichkeit und Zuschreibung als auch dem politischen Willen, Angriffe und Angreifer klar zu benennen hakt es in Deutschland noch. Insbesondere an der politischen Zuschreibung müssen wir dringend arbeiten – und können uns auf dem Weg dahin in Deutschland und europaweit ein Beispiel nehmen an den skandinavischen Total Defence-Strategien. Diese Strategien involvieren nicht nur das Militär, sondern die gesamte Gesellschaft, um Sicherheit zu gewährleisten. Das bedeutet, dass alle Bereiche – Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Politik – koordiniert werden, um Bedrohungen zu erkennen und ihnen entgegenzuwirken. Ein Beispiel ist der Austausch von Wissen, gerade im Bereich von Desinformation und Cybersicherheit. Dazu gehört aber auch, dass zivile Infrastruktur auch militärisch genutzt werden kann, ohne, dass es gesellschaftlich gleich einen Aufschrei gibt, wie zu beobachten bei der Air Defender Übung 2023: Im Juni 2023 fand mit 250 Flugzeugen aus 25 Nationen und mehr als 10.000 Soldatinnen und Soldaten die größte Verlegeübung von Luftstreitkräften seit Bestehen der NATO statt; unter der Führung Deutschlands. Obwohl ein wichtiges Zeichen für die Abschreckung und eine wichtige Übung zur Stärkung der europäischen Verteidigungsfähigkeit, führte in deutschen Zeitungen allein die Beschwerde über Verzögerungen im zivilen Luftverkehr die Berichterstattung an.

Ein anderes Beispiel für Initiativen der Stärkung gesellschaftlicher Resilienz ist Taiwan, wo sich auf Initiative von Nichtregierungsorganisationen ein Civil Defence Training etabliert, zur Ausbildung ziviler Fähigkeiten im Bevölkerungsschutz. Die KUMA Academy ist einer der größten Bevölkerungsschutzorganisationen in Taiwan und bietet Workshops für Zivilisten an. Ziel ist, die Zivilgesellschaft auszubilden, sich aktiv für ihre eigene Sicherheit einzusetzen und so auch das Militär im Ernstfall entsprechend zu entlasten. Medienkompetenz, Ortung und Kommunikation des eigenen Standortes ohne Internet, Erste Hilfe, Schutzsuche – all dies ist Teil der Workshops.

Common Effort

Insgesamt tut es sowohl der Bundeswehr als auch der Industrie, Wissenschaft und Politik gut, wenn es bereichsübergreifend mehr Austausch und ein größeres Verständnis füreinander gibt. Friedens- und Sicherheitsforschende, die noch nie den Austausch mit dem Militär gefunden haben, fehlt eine wichtige Perspektive in ihrer Analyse. Politikerinnen und Regierungsmitarbeiter, die haushalterische Entscheidungen oder außen-, sicherheits- und verteidigungspolitisch relevante Beschlüsse treffen müssen, profitieren von einem direkten Einblick in die Realität der Truppe. Auch Bildungsträger profitieren von dem Verständnis der staatlichen Säule Sicherheit. Soldatinnen und Soldaten gewinnen für ihren Einsatz ein besseres Gesamtlagebild, wenn gesellschaftliche und politische Faktoren direkt transportiert werden – und gegenseitig sinkt Hemmung im Austausch und in der Ansprache, wenn der Weg zueinander natürlicher ist. Die Industrie kann einen großen Beitrag leisten, ihre Erkenntnisse im Schutz ihrer Infrastruktur und Konnektivität zu teilen, und gegebenenfalls im Austausch mit entsprechenden Szenarien-Planern in der Bundeswehr verbessern.

All das bedeutet keine Versicherheitlichung der Gesellschaft oder Ignoranz von den großen Herausforderungen unserer Zeit, wie etwa dem Klimawandel. Das Gegenteil ist der Fall. Wir müssen eine gemeinsame Sprache finden, die Verständnis kreiert und dafür sorgt, dass jeder Teil unserer Gesellschaft seinen Beitrag für Freiheit und Sicherheit leisten kann.

Kurz gesagt können wir uns nur vor Angriffen schützen, indem wir uns auf sie vorbereiten. Oder, wie es die Römer schon sagten: If you want peace, prepare for war.