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Taiwan
Massiver Druck auf Taiwan

Desinformationen, Sanktionen, Drohungen und Militärübungen mit Angriffsszenarien: Peking setzt Taipei unter Druck. Weil Chinas Flugzeuge fast ständig in Richtung Taiwan fliegen, tritt dort gefährliche Gewöhnung ein.
Ein taiwanesischer Kampfjet der IDF feuert während einer zweitägigen Übung im Bezirk Pingtung in Taiwan Leuchtraketen ab, während die militärische Bedrohung durch China zunimmt.

Ein taiwanesischer Kampfjet der IDF feuert während einer zweitägigen Übung im Bezirk Pingtung in Taiwan Leuchtraketen ab, während die militärische Bedrohung durch China zunimmt.

© picture alliance / ZUMAPRESS.com | Daniel Ceng Shou-Yi

Peking betrachtet Taiwan als abtrünnige Provinz und will diese mit der Volksrepublik vereinen, notfalls per Invasion. Offen scheint nicht mehr zu sein, ob China Taiwan angreifen wird, sondern nur noch wann. Schon jetzt übt China massiven Druck auf Taiwan aus durch Desinformationskampagnen, Drohungen und Militärübungen in unmittelbarer Nähe der Insel. Die Übungen stellen zum Teil Angriffsszenarien dar. Die angespannte Lage gefährdet die Sicherheit im  indopazifischen Raum und beschäftigt inzwischen auch europäische Staaten. Spätestens seit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine stellt sich die Frage, wie Europa sich im Falle eines Angriffes auf das demokratisch regierte Taiwan aufstellt. Eine europäische Antwort gibt es noch nicht.

Vergangenes Jahr, nach dem Taiwan-Besuch der damaligen Sprecherin des Repräsentantenhauses Nancy Pelosi, war Peking entrüstet und hielt Militärmanöver um Taiwan ab, die eine Blockade der Insel simulierten. Bei einer früheren Taiwankrise waren Chinas Raketen nicht bis zur Insel gefeuert worden, sondern davor in der Taiwanstraße niedergegangen. 2022 flogen die Raketen über die Insel hinweg und landeten östlich davon im Ozean. Seit Pelosis Besuch gibt es einen neuen Status Quo in der Taiwanstraße. Die gedachte Mittellinie in der Taiwanstraße wird von Peking nicht mehr respektiert. Aggressivere Militärmanöver in unmittelbarer Nähe von Taiwan sind nun fast an der Tagesordnung. Seit August 2022 befinden sich dauerhaft chinesische Kriegsschiffe östlich von Taiwan. Und seit ein paar Wochen umrunden chinesische Drohnen regelmäßig Taiwan. Wenn hochrangiger Besuch nach Taiwan kommt oder Taiwan wählt, wird die Intensität der Drohgebärden erhöht. Zudem starten nach wie vor, seit 2021, in der Volksrepublik China täglich Flugzeuge in Richtung Taiwan. Sie dringen nicht in den taiwanischen Luftraum ein. Doch da die Insel Taiwan dem chinesischen Festland so nah ist, steigen taiwanische Abfangjäger auf.

Es herrscht aktuell ein nie dagewesener, militärischer Druck auf Taiwan. “Die verstärkte Aktivität Chinas gegenüber Taiwan lässt mehrere Schlussfolgerungen zu: Erstens ist China offensichtlich daran interessiert, den Status Quo noch weiter zu verändern. Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass durch die Vielzahl an Meldungen über militärischer Manöver eine „neue Normalität“ entsteht. Das führt dazu, dass die internationale Aufmerksamkeit für den Konflikt eher schwindet", sagt Dr. Sarah Kirchberger vom Institut für Sicherheitspolitik der Universität Kiel.

Flugzeuge sind Randnotiz

Noch berichten Medien regelmäßig über die militärischen Aktivitäten Chinas in der Taiwanstraße. Gleichzeitig verschiebt sich durch die nahezu permanente Präsenz chinesischer Flugzeuge und Kriegsschiffe die Schwelle zur Empörung. „Es ist eine Art Abstumpfung spürbar. Die Meldungen über chinesische Flugzeuge, welche die Mittellinie in der Taiwanstraße überflogen haben, sind inzwischen nur noch eine Randnotiz", sagt Anna Marti, die das Büro der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Taipei leitet. "Gewöhnung ist verständlich. Aber es besteht die Gefahr, dass die Bedrohung entweder weniger ernst genommen wird oder zu einer Resignation führt.“ Taiwans Bevölkerung ist durch die ständigen Drohgebärden psychologischem Druck ausgesetzt.

Peking rüstet auf

China verschärft die Lage in der Taiwanstraße beständig. Das macht es schwieriger, einen tatsächlich geplanten Angriff rechtzeitig als solchen zu erkennen. Die chinesische Luftwaffe sammelt durch ihre Übungen in der Nähe von Taiwan im großen Stil nachrichtendienstliche Informationen. Dr. Kirchberger hatte bereits vor zwei Jahren darauf aufmerksam gemacht, dass bei den Flügen Informationen über das Terrain und die elektronischen Signaturen der taiwanesischen Abwehrwaffen und Sensorsysteme gesammelt werden. Da bei jedem chinesischen Eindringen in Taiwans Luftraumüberwachungszone als Reaktion taiwanische Flugzeuge aufsteigen, um die chinesischen Flugzeuge abzufangen, wird die alternde Kampfflugzeugflotte Taiwans verschlissen. Währenddessen investiert China in sein Militär. Laut Studien, beispielsweise vom Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI), modernisiert China sein Militär seit Mitte der 1990er Jahre mit einer Intensität, die für Friedenszeiten höchst ungewöhnlich ist. In Reaktion darauf investiert auch Taiwan mittlerweile auch stärker in sein Militär.

Eine Luftraumüberwachungszone (air defence identification zone, kurz ADIZ) ist eine selbstdefinierte Zone, die nicht notwendigerweise Teil des Hoheitsgebietes eines Staates  ist. Sie ist somit nicht im Völkerrecht verankert. Eine ADIZ dient als Pufferzone und zur Überwachung des Luftraums um ein bestimmtes Gebiet, das meist von Territorialkonflikten geprägtes ist. ADIZ können sich überlappen. Verletzungen von ADIZ sind ein Warnsignal, allerdings vor allem für die beteiligten Staaten und weniger für die internationale Staatengemeinschaft. Dass ADIZ nicht völkerrechtlich verankert sind, macht es Akteuren wie China leichter, Proteste gegen ihre Verletzung zu ignorieren.

China verletzt nicht nur regelmäßig die ADIZ. Bei manchen Manövern ragen die Übungszonen sogar auch hinein in Taiwans 12-Seemeilen-Zone oder in die EEZ, die "Exclusive Economic Zone". Die taiwanische Regierung protestiert meist nur gegen Verletzungen der Luftraumüberwachungszone, also der ADIZ. Dr. Kirchberger empfiehlt, sich eher an den international anerkannten Zonen auszurichten, an der 12-Seemeilen-Zone oder an der EEZ. Verletzungen dieser Zonen stellen Verstöße gegen das internationale Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (UNCLOS) dar. Proteste gegen UNCLOS-Verstöße wiegen schwerer.

EU braucht eine Strategie

Liberale Demokratien und alle, die den Fortbestand der regelbasierten Weltordnung wollen, sollten Taiwan beistehen. Eine Reaktion auf Pekings fortschreitende Erosion des Status quo von Taiwan ist überfällig. Europa braucht enge Abstimmung und eine Strategie. Die EU steht vor der Entscheidung, ob sie ein sicherheitspolitischer Akteur im Indo-Pazifik sein will oder nicht. Mindestens sollte Ziel sein, den Militärs und der politischen Führung Chinas die Kosten eines Angriffs auf Taiwan deutlich zu machen. Dazu gehört auch, wortwörtlich Flagge zu zeigen – nicht nur als Signal an China, sondern auch an Wertepartner. 2021 entsendete die Bundesregierung mit der Fregatte Bayern erstmals seit mehr als zwanzig Jahren ein Kriegsschiff in den Indo-Pazifik. Die Bayern übte mit befreundeten Seestreitkräften und sollte freie Seewege sowie die Einhaltung des internationalen Völkerrechts propagieren. Doch damals entschied die Bundesregierung sich gegen eine Passage der Taiwan-Straße. Damit verpasste sie die Chance, sich zu positionieren mit einer Freedom-of-Navigation-Fahrt durch die Seestraße zwischen der chinesischen Provinz Fujian und der Insel Taiwan. Jüngst verkündete Verteidigungsminister Boris Pistorius, 2024 zwei deutsche Kriegsschiffe in den Indo-Pazifik zu entsenden, eine Fregatte und ein Einsatzgruppenversorger. Das bietet eine neue Gelegenheit, nicht hinter dem Engagement US-amerikanischer, britischer und französischer Schiffe zu bleiben. Sie alle passieren regelmäßig die Taiwanstraße.

Theresa Winter ist Themenmanagerin für „Vernetzte Sicherheit und Verteidigungspolitik“ der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Berlin.

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