Europäische Sicherheit
Russischer Abhörskandal: 13 Empfehlungen für die europäische Sicherheitsarchitektur
Der russische Abhörskandal bei der deutschen Bundeswehr verdeutlicht die bedrohte Sicherheitslage in Europa. Putins Russland führt auf vielen Fronten Krieg gegen die Ukraine und die ganze demokratische Welt. Über Spionage, Desinformation und Propaganda werden gezielt Narrative gestreut, um auch die deutsche Politik, wie nun aktuell bei der Taurus-Entscheidung, zu beeinflussen. Die Bekanntmachung zeigt, wie bedroht die gesamte Sicherheitsarchitektur der NATO und der Europäischen Union ist. In einer aktuellen Analyse der Friedrich-Naumann-Stiftung entwickeln zehn namhafte Analytiker und Expertinnen aus ganz Europa Vorschläge für die Zukunft der europäischen Sicherheitsarchitektur, die dieser neuen Bedrohungslage gerecht werden.
Die Europäische Sicherheitsarchitektur ist bedroht
Seit knapp zehn Jahren führt Russland Krieg gegen die Ukraine. Für die Europäische Sicherheitsarchitektur bedeutete der russische Einmarsch in die Ukraine 2022 ein radikales Umdenken. Generationen europäischer Politiker und Politikerinnen glaubten, dass die Macht der Diplomatie, internationaler Organisationen und wirtschaftlicher Beziehungen ausreichen würde, einen großen Krieg zu verhindern. Es folgte, mittlerweile umfassend bekannt: die massive Kürzung der Verteidigungsausgaben, eine Schwächung der militärischen Fähigkeiten und eine Verringerung der Produktionskapazitäten der Rüstungsindustrien. Russlands Krieg gegen die Ukraine hat zwangsläufig zu einem Umdenken geführt, den Fokus gerichtet auf Abschreckung und Verteidigung in Europa.
Die europäische Sicherheitsarchitektur wurde auf den Prüfstand gestellt und befindet sich in einem Zustand der Transformation. Vieles wird davon abhängen, wie der Krieg gegen die Ukraine ausgehen wird. Die NATO-Erweiterung um Finnland und Schweden und das Streben nach Ressourcenunabhängigkeit haben die europäische Sicherheitspolitik beeinflusst und das Bekenntnis zu Freiheit und Demokratie gestärkt. Befindet Europa sich in einer neuen strategischen Rivalität ähnlich die des Kalten Krieges? Wie geeint ist Europa in Bezug auf die gemeinsame Verteidigung, welchen Herausforderungen muss sich die europäische Sicherheitsarchitektur 2024 und zukünftig stellen?
Perspektiven zur europäischen Sicherheitsarchitektur: Analytiker aus Mittel- und Osteuropa und dem Balkan im Fokus
Zehn namhafte Analytiker und Expertinnen aus Albanien, Bulgarien, Lettland, Polen, Rumänien, Nordmazedonien, Serbien, Ungarn, Kroatien und der Tschechischen Republik wurden gebeten, ihre Ansichten über den Stand und die Zukunft der europäischen Sicherheitsarchitektur darzulegen. Kann das alte System wiederhergestellt und die Glaubwürdigkeit Russlands wiedererlangt werden? Wird das künftige System in Bezug auf Russland inklusiv oder exklusiv sein? Welche Rolle spielen internationale Organisationen und euro-atlantische Strukturen? In der neuen Publikation der Friedrich-Naumann-Stiftung sind die verschiedenen Perspektiven in Mittel- und Osteuropa wie im Balkan skizziert.
Trotz einiger Unterschiede zeigen sich die meisten analysierten Länder solidarisch gegenüber der Ukraine und streben eine stärkere Integration und nachhaltige Sicherheitsarchitektur in Europa an. Die NATO wird als wichtige Organisation für kollektive Verteidigung betrachtet, insbesondere seit ihrer Stärkung durch die Erweiterung um Finnland und Schweden und eine erhöhte militärische Präsenz in Europa seit 2022. Alle betrachteten Staaten verurteilen Russlands aggressive Politik und betonen die Bedeutung der NATO für die Sicherheit in der Region. Die USA, das Vereinigte Königreich und Kanada spielen weiterhin eine zentrale Rolle, aber osteuropäische Länder sehen sich ermutigt, mehr Verantwortung zu übernehmen. Es wird diskutiert, wie die NATO ihre Lasten teilt und osteuropäische Staaten stärker in die Verteidigung einbindet. Die EU wird von einigen Staaten skeptischer betrachtet, aber es gibt auch Bemühungen, ihre Rolle zu stärken. Es wird betont, dass die EU und die NATO gemeinsam eine strategische Autonomie und Sicherheit fördern sollten.
Russlands Rolle in der europäischen Sicherheitsarchitektur
Bezüglich der Rolle Russlands innerhalb der europäischen Sicherheitsarchitektur gibt es deutliche Diskrepanzen, die es auszuhandeln gilt. Einige, wie die baltischen Staaten und Polen, betrachten Russland als existenzielle Bedrohung und schließen eine Einbindung kurz- bis mittelfristig aus. Andere, wie die Tschechische Republik, bevorzugen eine moderate, langfristige Einbindung unter strengen Bedingungen. Eine dritte, ambivalente Position wird von Ländern wie Serbien, Albanien und Ungarn vertreten, die zwischen verschiedenen Optionen abwägen, um ihre eigenen Interessen zu schützen.
Letztendlich muss die neue Sicherheitsarchitektur gegenüber Russland ausgerichtet werden und sich mit konventioneller Kriegsführung befassen. Gleichzeitig müssen weniger neue aber unterschätzte Bedrohungen wie Desinformation, die Streuung von anti-westlichen Narrativen und die globale Rivalität zwischen den USA und China strategisch eingebettet werden. Der jüngste Versuch Russlands, durch die Veröffentlichung von abgehörten Kommunikation deutscher Soldaten über einen hypothetischen Taurus-Einsatz Meinungsmache in Deutschland zu betreiben ist ein sehr gutes Beispiel hierfür.
Die kommenden Jahre und Jahrzehnte werden eine Zeit der Konfrontation verschiedener Auffassungen und des Kampfes um die Überzeugung einer großen Anzahl von Ländern von einer Vision der Entwicklung internationaler Beziehungen sein. Die demokratischen Staaten müssen sich für die regelbasierte Weltordnung und liberale demokratische Werte stark machen, um ein Sicherheitsvakuum zu vermeiden. Über Jahre und Jahrzehnte wurden Verträge ausgehandelt. Es liegt im Interesse Europas, zu diesen Verträgen und internationalen Institutionen zurückzukehren.
13 Politikempfehlungen für Europa:
- Europa und die USA müssen sich weiter gemeinsam für die Förderung der regelbasierten internationalen Ordnung einsetzen.
- Die demokratischen Länder müssen die Ukraine verstärkt militärisch und wirtschaftlich unterstützen.
- Die EU muss eine klare und gemeinsame Vision für ihre Beziehungen zu Russland entwickeln, um dessen Einfluss einzuschränken und Einigkeit in der NATO zu demonstrieren.
- Die NATO muss Maßnahmen zur Stärkung der Verteidigungskapazitäten ergreifen und Mechanismen zur Krisenbewältigung entwickeln.
- Demokratien müssen zusammenarbeiten, um internationale Regelungen zur Bekämpfung hybrider Bedrohungen zu schaffen.
- Besondere Aufmerksamkeit muss den Cyber-Bedrohungen gewidmet werden, da sie eine ernsthafte Störwirkung haben können.
- Die zukünftige Sicherheitsarchitektur muss neue Technologien berücksichtigen und entsprechende völkerrechtliche Regelungen entwickeln.
- Die besondere Sicherheitsbedrohung der NATO-Länder der Ostflanke muss in die gemeinsame NATO-Position aufgenommen werden.
- Die Länder der Ostflanke sind aufgrund ihrer Nähe zu Russland besonderen Risiken ausgesetzt, auf die spezifisch eingegangen werden muss.
- Eine gemeinsame Sicherheitskultur ist entscheidend für die Einheit und gemeinsame Handlungsbereitschaft gegenüber Risiken und Bedrohungen.
- Die Mitgliedstaaten müssen sich aktiver für die NATO- und EU-Mitgliedschaft des westlichen Balkans, der Ukraine, Moldawiens und Georgiens einsetzen.
- Die Strategische Kommunikation mit den Gesellschaften in demokratischen Ländern muss verstärkt und gleichzeitig den Kampf gegen hybride Bedrohungen intensiviert werden.
- Europa muss eine ebenso klare Strategie zu China entwickeln.
Mehr zu den verschiedenen Positionen und Szenarien der zukünftigen Sicherheitsarchitektur in Europa lesen Sie hier in unserer Publikation.