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Europäische Union
Europas neue Rolle: Kommission legt Strategie für Wirtschaftssicherheit vor

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EU-Außenbeauftragter Josep Borrell, Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager und Handelskommissar Valdis Dombrovskis

© picture alliance / abaca | Monasse Thierry/ANDBZ/ABACA

Die Zeiten, in denen Handelspolitik vor allem aus Zollsenkungen und dem Abbau nicht-tarifärer Handelshemmnisse bestand, scheinen vorüber. Heute müssen demokratische Staaten und damit auch die EU stärker über die Einflussnahme aggressiver Autokratien nachdenken. Die Instrumentalisierung der energiepolitischen Abhängigkeit durch Russland und die wirtschaftlichen Zwangsmaßnahmen Chinas gegenüber Litauen oder Australien vermitteln einen Eindruck davon, wie gefährlich einseitige Abhängigkeiten oder Investitionen sein können. Das gilt insbesondere dann, wenn kritische Infrastruktur oder vulnerable Lieferketten betroffen sind. Zentrale Prinzipien der regelbasierten Welthandelsordnung werden durch Staaten wie China unterminiert. Das betrifft den Schutz geistiger Eigentumsrechte, die Gleichbehandlung inländischer wie ausländischer Unternehmen oder den Marktzugang. Schon aus wirtschaftlichen Gründen müsste Europa stärker auf die Durchsetzung von Regeln drängen aber durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und die Bedrohung Taiwans durch China bekommen diese Aspekte eine sicherheitspolitische Dimension. Die Antwort auf diese neue geopolitische Realität, in denen einige Akteure wirtschaftliche Verflechtung als Waffe einsetzen, sollte aber nicht Abschottung oder Entkopplung sein. Europa muss einerseits zügig neue Handelsabkommen abschließen, um Lieferketten zu diversifizieren und neue Partner für Rohstoffe zu gewinnen. Anderseits braucht die Europäische Union Instrumente, um Regeln durchsetzen und den zunehmenden Einfluss autokratischer Staaten abwehren zu können.

Was heißt ökonomische Sicherheit?

Die Europäische Kommission hat diese Woche für Letzteres eine Strategie vorgelegt, in dem sie Maßnahmen für Wirtschaftssicherheit vorschlägt. Im Kern geht es bei ökonomischer Sicherheit, um den Schutz vor Risiken, die aus wirtschaftlicher Verflechtung entstehen können. Dazu gehören Risiken für die Liefer- und Versorgungsketten, der Energiesicherheit und der kritischen Infrastruktur sowie dem Risiko, dass wirtschaftliche Verflechtung als Waffe gegen Europa eingesetzt oder in Europa entwickelte Technologien von Autokratien missbraucht werden. Eine solche Risikoanalyse beginnt mit der Identifizierung von sicherheitsrelevanten Schwachstellen und einem Verständnis für die sicherheitspolitischen Implikationen wirtschaftlicher Entscheidungen. Deutschland hat beispielsweise bei Nordstream 2, dem Verkauf der Gasspeicher und der insgesamt hohen Abhängigkeit von Russland im Energiebereich erst die Bedrohung erkannt als es schon zu spät war. Auch gegenüber China gibt es einseitige Abhängigkeiten bei kritischen Gütern sowie Investitionen in kritische Infrastruktur, die erst langsam problematisiert werden. Die chinesische Beteiligung an europäischen Häfen wie dem Hamburger Hafen gibt Peking zwar nicht notwendigerweise Einfluss auf Entscheidungen im Bereich der kritischen Infrastruktur, aber Zugang zu sicherheitsrelevanten Details über Handelsnetzwerke und Lieferketten. Um diesem Risiko zu begegnen, setzt die Kommission stärker auf die Überprüfung bzw. das Screening von Investitionen in kritische Infrastruktur. Die meisten Mitgliedsstaaten haben bereits Mechanismen zur Überprüfung von Investitionen in die eigene Wirtschaft. Umstrittener ist dagegen das sogenannte „Outbound Investment Screening“, bei dem Investitionen in Richtung autokratischer Staaten stärker überwacht werden sollen. Der Kommission geht es darum zu verhindern, dass Kapital, Schlüsseltechnologien, Expertise und Forschung von Unternehmen und Einrichtungen aus den Mitgliedsstaaten von autokratischen Staaten für ihre geopolitische oder militärische Zwecke eingesetzt werden können. Damit könnten sicherheitsrelevante Investitionen aus EU-Staaten künftig auch verboten werden. In dem Kontext hat zuletzt ein Beispiel von der Universität Heidelberg für Aufsehen gesorgt. Ein chinesischer Wissenschaftler hatte Forschungsergebnisse und sogar ein ganzes Labor aus dem Bereich der Quantenphysik nach China verschifft, wo es heute Verbindungen zur Rüstungsindustrie aufweist. Solche Fälle gibt es zuhauf und sie gefährden nicht nur die europäischen Sicherheitsinteressen, sondern auch die der Verbündeten. Das Problem beginnt dabei zunächst bei mangelnder Sensibilität für die sicherheitspolitische Implikationen und damit verbundener Koordinierung im Mehrebenensystem der EU. Ein ähnliches Ziel wie die Überprüfung ausgehender Investitionen, verfolgen auch Exportkontrollen für Technologien, die für Spionage oder Waffen eingesetzt werden können, sogenannte „Dual-Use-Güter“. Dafür wird die Kommission eine schwarze Liste erstellen, auf der voraussichtlich Halbleiter sowie Technologien für Quantencomputer und Künstliche Intelligenz stehen werden. Ziel ist eine engmaschigere Koordinierung unter EU-Mitgliedsstaaten, um Lücken zu verhindern, die den Sicherheitsinteressen Europas schaden. Der Instrumentenkasten der Kommission soll entsprechen des Strategieentwurfes ergänzt werden durch eine Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Binnenmarktes sowie eine engere Zusammenarbeit mit Verbündeten bei Themen der ökonomischen Sicherheit.  

China: De-Risking statt De-Coupling

Der Elefant im Raum dieser Strategie ist Peking. China selbst tauch kein einziges Mal in dem 15-seitigen Text auf und die Kommission betont, dass diese Strategie sich an kein Land speziell richtet. Das ist angesichts eines zunehmend aggressiveren Auftreten von Autokratien weltweit sinnvoll und für einen Fokus auf die regelbasierte Welthandelsordnung hilfreich. Gleichzeitig war es China, welches in den vergangenen Jahren immer wieder die Grundprinzipien der regelbasierten Handelsordnung unterminierte, begonnen hat sich von der Weltwirtschaft zu entkoppeln und mit seiner Subventionspolitik auch Wettbewerbsnachteile für europäische Unternehmen geschaffen hat. Bereits vergangenes Jahr hat die Kommission Vorschläge zur drittstaatlichen Subventionskontrolle unterbreitet, mit denen der faire Wettbewerb bei Ausschreibungen und Investitionen gestärkt werden soll. Beim Konzept für Wirtschaftssicherheit geht es vor allem um sicherheitsrelevante Investitionen und Technologien. Zwar klingt die Betonung der sicherheitspolitischen Dimension in der Handels- und Wirtschaftspolitik zunächst stark nach Abschottung. Tatsächlich ist die Strategie aber eine klare Absage an das De-Coupling, also eine Entkopplung von einzelnen Volkswirtschaften. Es geht um den Abbau von Risiken. In der Strategie zur ökonomischen Sicherheit schreibt die Kommission dazu, dass der Nutzen ökonomischer Offenheit maximiert und die daraus entstehenden Risiken minimiert werden sollen. Das klingt erstmal beruhigend. Vorsicht ist dennoch geboten. Auch Kontrollen und Überprüfungen können durch den bürokratischen Aufwand abschottend wirken. Gerade die Kontrolle europäischer Investitionen im Ausland darf nicht die globale Rolle europäischer Unternehmen in Frage stellen. Ein gelenkter Außenhandel schwächt die EU mehr als es ihrer Sicherheit nützt. Es braucht zielgerichtete Instrumente, die strategisch-effizient eingesetzt werden, wenn die EU ihre größte Stärke, den offenen, wirtschaftlichen Austausch mit der Welt und die Rolle als globaler Standardsetzer, nicht verlieren will. Insofern ist das Ende der Naivität und ein stärkerer Blick auf Risiken wichtig, aber der Orientierungspunkt sollte die Durchsetzung von Regeln sein, kombiniert mit einer strategischen Freihandelsoffensive mit Wertepartnern.   

Wirtschaftliche Sicherheit braucht Handelsalternativen

Die EU ist traditionell Befürworterin einer auf den Freihandel ausgerichteten Politik. Das sollte Brüssel auch aus geopolitischen Gründen weiterhin bleiben. Die Diversifizierung von Lieferketten und Rohstoffquellen wird nur durch neue Handelsabkommen mit verlässlichen Partnern gelingen. Denn der beste Weg, um einseitige Abhängigkeiten abzubauen besteht darin Alternativen zu ermöglichen. Hier muss die EU mit einer neuen Priorität vorgehen. Der Abschluss der Verhandlungen eines Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kenia ist unglaublich wichtig, aber die anschließende Ratifizierung dauert in der Regel viel zu lang. Das EU-Mercosur Abkommen könnte längst einen Beitrag zur ökonomischen Sicherheit leisten aber hängt immer noch fest. Dabei braucht es in der Freihandelspolitik mindestens eine ähnliche Dringlichkeit wie bei einschränkenden Maßnahmen. Gerade im Hinblick auf die transatlantischen Beziehungen bietet das Thema wirtschaftliche Sicherheit auch neue Kooperationsimpulse. Die Vereinigten Staaten haben traditionell einen kritischeren Blick auf die sicherheitsrelevanten Bereiche des Handels und verfügen über einen breiten Instrumentenkasten. Gleichzeitig setzt die Biden-Regierung in ihrer nationalen Sicherheitsstrategie auf die engere Zusammenarbeit mit Verbündeten. Das ist ein wichtiger Anknüpfungspunkt, den die Kommission zumindest vage in ihrem Konzept erwähnt. Dabei wäre es an der Zeit, dass Europa und die USA an einem gemeinsamen Markt für innovative Technologien und Rohstoffe arbeiten, an dem vor allem Verbündete und Partner beteiligt sind und der mit seiner schieren Größe global Standards setzen könnte. Einen ähnlichen Vorschlag hat der EU-Handelskommissar Valdis Dombrovskis bereits mit einem Mini-TTIP für grüne Technologien gemacht und könnte so den Grundstein für eine Reihe von sektoralen Abkommen legen. Davon würden neben der Sicherheit auch die Wirtschaft beider Länder profitieren. Mit einem realistischen Blick auf Risiken, der effektiven Durchsetzung internationaler Regeln und einer engeren Kooperation unter Wertepartnern, kann Europa einen wichtigen Beitrag zur Weiterentwicklung der Globalisierung im geoökonomischen Zeitalter leisten.