Grundrechte
Demonstrationsverbot: Der Staat sollte die Grundrechte niemals präventiv einschränken

Berlin hat erneute Großdemos gegen Corona-Beschränkungen verboten. Grund sind zu erwartende Verstöße gegen Hygieneregeln.
Querdenker Demo
Berlin hat erneute Großdemos gegen Corona-Beschränkungen verboten. Grund sind zu erwartende Verstöße gegen Hygieneregeln. © picture alliance / SULUPRESS.DE | Marc Vorwerk/SULUPRESS.DE

Xavier Naidoo verbreitet absurde Verschwörungstheorien und offenkundigen Unsinn. Das fällt unter sein Recht auf freie Meinungsäußerung. Berlins Innensenator sieht das offenkundig anders – und setzt mit dem Verbot der „Querdenken“-Demo ein fatales Signal. Ein Gastkommentar.

„Handy aus 100 Kilometer vor Berlin und in Alufolie packen, bitte. Von Sendemast zu Sendemast werden die Signale gezählt. Damit kann erfasst werden, wie viele Menschen in die Stadt fahren. Entsprechend wurde am 01.08.20 die A 9 dicht gemacht und 500.000 Demonstranten kamen nicht rein oder erst sehr spät.“

Mit diesen eindringlichen wie absurden Worten warnt der selbst ernannte Verschwörungstheoretiker Xavier Naidoo in seinem Telegram-Kanal all jene, die sich diesen Sonntag auf den Weg zur „Querdenken“-Demo nach Berlin machen wollen. Der Inhalt seiner Nachricht ist offenkundiger Unsinn – und doch ist es Naidoos gutes Recht, diese „Warnung“ zu verbreiten.

In einem Rechtsstaat sind die Grundrechte das höchste Gut, sie sind die Säulen unserer Demokratie. Darunter fällt insbesondere das Recht auf freie Meinungsäußerung – und das Recht auf Versammlungsfreiheit, so, wie es in Kapitel 8 des Grundgesetzes verankert ist.

Der Berliner Innensenator Andreas Geisel sieht das offenkundig anders: Seine Versammlungsbehörde hat entschieden, die geplante „Querdenken“-Demo, an der nicht nur Corona-Leugner, sondern auch Impfgegner, Reichsbürger und bekennende Neonazis teilnehmen, gänzlich zu verbieten. Man wolle sich, so Geisel, nicht länger „an der Nase herumführen lassen“.

Die Reaktion auf diese Worte war vorhersehbar. Statt legal und unter strengen Auflagen zu demonstrieren, rufen die Organisatoren der „Querdenken“-Demo nun zu einem „Sturm auf Berlin“ auf – eine offene Referenz an den „Marsch auf Berlin“ der Nationalsozialisten 1923, auch bekannt als Hitler-Ludendorff-Putsch. Geisels Demonstrationsverbot ist Wasser auf die Mühlen all jener Demokratiefeinde, die behaupten, in einer Diktatur zu leben, in der man seine Meinung nicht mehr frei äußern könne.

Meinungen müssen wir aushalten

So nachvollziehbar die Motivation des Berliner Innensenators ist, die Demonstration mit Blick auf den Infektionsschutz der Bevölkerung zu verbieten, so groß sind die Probleme, die daraus resultieren. In einer Demokratie sollte der Staat Grundrechte niemals präventiv einschränken, wenn es sich vermeiden lässt. Meinungen, und seien sie noch so abstrus, müssen wir aushalten. Und das Demonstrationsrecht muss auch in Zeiten von Corona gewährleistet sein. Die „Querdenken“-Demo am kommenden Sonntag sollte daher genehmigt werden.

Der Berliner Senat hat ausreichend Möglichkeiten, um Verstöße gegen die notwendigen strickten Auflagen zu ahnden – seien es Bußgelder oder die Auflösung der Versammlung und Begrenzung der Teilnehmerzahl.

Die Berliner Polizei verfügt über viel Erfahrung mit komplizierten Großveranstaltungen, bei denen gezielt Auflagen unterlaufen werden. Zur Not kann auch die Teilnehmerzahl begrenzt werden, um eine gezielte Eskalation zu verhindern.

Geisels Verbot der „Querdenken“-Demo ist ein fatales Signal, er tappt den Verschwörungstheoretikern und rechten Trittbrettfahrern sehenden Auges in die Falle. Der Frust, den politische Entscheidungsträger angesichts der Ignoranz vieler Unverbesserlicher aushalten müssen, ist eine Bürde. Aber er darf niemals Grund dafür sein, unsere Grundrechte in einem Akt der Selbstgerechtigkeit zu schwächen. Denn dann haben all jene gewonnen, die unsere Demokratie mit ihrem Auftreten unterwandern wollen.

 

 

Dieser Artikel erschien am 28. August in Die Welt und ist online auch hier zu finden.