Israel
Nicaragua vs. Deutschland: Ein politisches Ablenkungsmanöver
Dieser Artikel erschien erstmals am 4. März 2024 auf freiheit.org.
Der Verstoß soll darin liegen, dass Deutschland Israel politisch, finanziell und militärisch unterstützt und die Finanzierung für das Palästinenserhilfswerk der Vereinten Nationen (UNRWA) reduziert hat. Der Versuch einer politischen Einordnung:
Bericht der Expertengruppe im UN-Menschenrechtsrat
Es ist sicherlich kein Zufall, dass Nicaragua diesen Antrag gerade am 1. März 2024 eingereicht hat. Denn die Group of Human Rights Experts on Nicaragua (GHREN) hat am Tag davor, den 29. Februar 2024, im UN-Menschenrechtsrat in Genf den Bericht zur Situation in Nicaragua präsentiert. Darin stellen die Experten der UNO schwerste Verbrechen, gravierende Menschenrechtsverstöße und Straflosigkeit der Täter in Nicaragua unter der Führung von Präsident Daniel Ortega seit April 2018 fest. Der Vorsitzende der Expertengruppe ist der Deutsche Jan-Michael Simon – Rechtswissenschaftler und ein ausgewiesener Lateinamerikaexperte.
Politik der Straflosigkeit
Für den aktuellen UN-Bericht wurden 642 Opfer und Zeugen interviewt und andere Quellen ausgewertet. Es handelt sich bereits um die zweite Veröffentlichung der Untersuchungsergebnisse der Expertengruppe. Erneut stellte die UN-Experten fest, dass Oppositionelle und Kritiker überwacht, verfolgt, willkürlich inhaftiert und gefoltert werden. Ortega und seine Frau, Rosario Murillo Zambrana, die zugleich Vizepräsidentin des Landes ist, haben die Hoheit über den Sicherheitsapparat. Dazu gehören nicht nur die nationale Polizei, sondern auch die Armee und paramilitärische nicht-uniformierte Einheiten, die patrouillieren. Folterer und andere Täter schwerer Menschenrechtsverbrechen an den Bürgerinnen und Bürgern Nicaraguas werden nicht strafrechtlich verfolgt. Ein 2019 eingeführtes Amnestiegesetz stützt das herrschende System des Unrechts. Längst haben Willkür und Straflosigkeit die Prinzipien von Rechenschaftspflicht abgelöst.
Vollkommene Kontrolle der Justiz
Die Justiz wird vollkommen von dem Präsidenten und der Vizepräsidentin kontrolliert. Willkürlich inhaftiert werden nicaraguanischen Bürgerinnen und Bürger der verschiedensten Bereiche und Berufe. Es trifft Priester und andere Kirchenvertreter, Journalisten, Vertreter der Zivilgesellschaft oder anderer Gruppen, wie der indigenen Bevölkerung oder der Campesino-Bewegung. Doch auch Studierende, Richter und andere Justizangehörige werden als Gegner verfolgt, resümiert die Expertengruppe der UN in ihrem zweiten Bericht.
Dabei identifizieren die Experten ein Muster: Die Polizei führt Hausdurchsuchungen bei den politischen Gegnern der Familie Ortega durch, nimmt sie in Haft und überstellt sie immer an dieselben Polizeistationen. Den willkürlich Inhaftierten wird die freie Wahl eines Anwalts untersagt. Die Angehörigen werden über den Verbleib lange Zeit nicht informiert.
Exemplarisch ist das Schicksal von Félix Maradiaga, der als Kandidat gegen Daniel Ortega 2021 antrat. Noch vor den Präsidentschaftswahlen wurde er inhaftiert, im Gefängnis isoliert, gefoltert und nach knapp zwei Jahren mit anderen politischen Gefangenen in die USA ausgeflogen. Er ist heute staatenlos und kämpft als Pro-Demokratie-Aktivist für ein Ende der Diktatur in Nicaragua. Die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit (FNF) unterstützt ihn seit Jahren. Noch am 22. Februar hat er beim Besuch des FNF Human Rights Hubs in Genf ein bewegendes Interview zur Situation in Nicaragua gegeben
Missbrauch des Internationalen Rechts
Vor dem Hintergrund der katastrophalen Menschenrechtssituation, die unter der Federführung der UN festgestellt wurde, und der zeitlichen Koinzidenz, entlarvt sich der Antrag Nicaraguas an den IGH als billiges Ablenkungsmanöver. Man darf darauf vertrauen, dass der Internationale Gerichtshof den Versuch seiner politischen Instrumentalisierung durch eine Diktatur, die ihren eigenen Bürgerinnen und Bürgern jegliche rechtsstaatliche Garantien verweigert, durchschaut.
Dr. Michaela Lissowsky, Direktorin, Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, Human Rights Hub, Genf.