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Policy Paper
Der Gaza-Krieg in a Nutshell

Rafah, Gaza

Die Stadt Rafah im südlichen Gazastreifen.

© picture alliance / Anadolu | Abed Rahim Khatib

Der Terroranschlag der Hamas am 7. Oktober erschütterte die israelische Gesellschaft in ihren Grundfesten. Nachdem es jahrelang nicht gelungen war, Frieden zu verhandeln, gaben sich viele Israelis mit der Aussicht auf Sicherheit zufrieden. Nun, da es weder Frieden noch Sicherheit gibt, steht ein gespaltenes und traumatisiertes Israel vor seiner dunkelsten Stunde. Es ist noch zu früh, um vorherzusagen, wie oder wann der Krieg enden wird, aber bestimmte Schritte können bereits unternommen werden, um die Nachkriegsrealität zu verbessern.

Der Hamas-Angriff und das Scheitern von "Sicherheit durch Stärke"

Im israelisch-palästinensischen Konflikt, der für seine Komplexität bekannt ist, sind trotz zahlreicher Lösungsversuche nur minimale Fortschritte erzielt worden. Bis zum aktuellen Krieg hielten viele Israelis eine Zweistaatenlösung für wünschenswert, aber nicht praktikabel, was zu einem Rückgang der Unterstützung für Friedensgespräche führte. Das vom ehemaligen Premierminister Barak im Jahr 2000 geprägte Motto "Es gibt keinen palästinensischen Partner für den Frieden" markierte in der israelischen Gesellschaft die Verschiebung von der Suche nach Frieden hin zur Priorisierung der eigenen Sicherheit. Der Rückzug aus dem Gazastreifen im Jahr 2005 nährte zwar zunächst die Hoffnung auf Frieden, doch folgte daraufhin der Aufstieg der Hamas, was die Aussichten auf eine friedliche Lösung weiter schwächte.

Der brutale Angriff vom 7. Oktober erschütterte die Wahrnehmung der Doktrin „Sicherheit durch Stärke“ und veranlasste eine Neubewertung der israelischen Prioritäten. Der Anschlag traf Israel mitten in einer innenpolitischen Krise, die bereits vor dem Krieg begonnen hatte - mit der Auflösung der Regierung im Jahr 2018 und den darauffolgenden verschiedenen Neuwahlen, die zur Rückkehr Netanjahus an die Macht im Jahr 2022 führten. Trotz interner Spaltungen schlossen sich die Israelis vorübergehend zusammen und legten ihre politischen Differenzen beiseite, um eine gemeinsame Front gegen die Hamas zu bilden.

Israel - geeint im Krieg, geteilt in seinen Zielen

Diese Einigkeit wird nun jedoch durch die beiden gegensätzlichen Ziele der Zerschlagung der Hamas einerseits und der Freilassung der israelischen Geiseln andererseits in Frage gestellt. Die Zerschlagung der Hamas wird von vielen als das absolute Minimum angesehen, das Israel erreichen muss, um diese neue existenzielle Bedrohung zu beseitigen. Nachdem in den letzten Tagen viele Geiseln freigelassen wurden, sieht sich Israel nun mit einer schmerzhaften Realität konfrontiert. Jede Freilassung von Geiseln durch die Hamas setzt drei Dinge voraus: Einen vorübergehenden Waffenstillstand, der es der Hamas ermöglichen würde, sich neu zu formieren, die Lieferung von Treibstoff und anderen Ressourcen in den Gazastreifen und die Freilassung von Hamas-Terroristen aus israelischen Gefängnissen. Jeder dieser Punkte würde die Kampagne der israelischen Verteidigungskräfte (IDF) im Gazastreifen verlängern und weiter erschweren. Diese unbequeme Wahrheit hat das Potenzial, das gerade erst geeinte Israel erneut zu zerreißen, da sich Israel nun mit den Konsequenzen der teilweisen Geiselfreilassung auseinandersetzen muss.

Viele Israelis sind uneins darüber, wie der Nachkriegsplan der Regierung für den Gazastreifen aussehen soll. Insbesondere bei der Frage, wer das Vakuum nach der Beseitigung der Hamas füllen soll. Skeptiker behaupten, dass eine gewaltsame Beseitigung der Hamas nicht möglich ist und dass ein Waffenstillstandsabkommen unvermeidlich ist. Der israelische Oppositionsführer Yair Lapid erklärte, dass der Gazastreifen nach der Niederlage der Hamas an die Palästinensische Behörde zurückgegeben werden sollte. Premierminister Netanjahu hingegen behauptet, dass Israel die Kontrolle über die Sicherheit im Gazastreifen behalten müsse.

Netanjahu scheint nicht die ideale Wahl für die politische Führung durch diese Krise zu sein. Vor nicht allzu langer Zeit gingen Hunderttausende von Israelis auf die Straße, weil sie "die israelische Demokratie bedroht" sahen. Jüngste Umfragen zeigen, dass Netanjahus Regierung weit unter die für die Bildung einer Koalition erforderlichen 60 Sitze gefallen ist. Warum also lässt sich die israelische Öffentlichkeit von einer undurchsichtigen Regierung führen, der sie nicht vertrauen kann? Der Grund ist Angst. Die Israelis glauben, dass sie keine andere Wahl haben, als Netanjahus zu unterstützen, aber nur, bis der Krieg zu Ende ist.

Internationale Unterstützung für Israel als Schlüsselfaktor für die Zukunft

Das von Angst getriebene Israel von heute glaubt, dass es mit den von ihm wahrgenommenen existenziellen Bedrohungen umgehen muss, koste es, was es wolle. In gewisser Weise könnte ein sichereres Israel zurückhaltender sein. Das heißt, die internationale Unterstützung durch Israels Verbündete könnte die israelischen Ängste besänftigen und Israel auf eine Weise zur Zurückhaltung bei seinen militärischen Aktionen motivieren, wie es keine Sanktion vermögen kann. Wenn Israel nicht das Gefühl hat, mit dem Rücken an der Wand zu stehen, wäre es auch leichter, Israel nach dem Krieg an den Verhandlungstisch zu bringen.

Neben dieser Unterstützung gibt es natürlich einige rote Linien, die berücksichtigt werden sollten, aber sie sollten sorgfältig definiert werden. Zum Beispiel darf Israel nicht absichtlich Zivilisten angreifen und töten. Das bedeutet aber auch, dass der unbeabsichtigte Tod von Zivilisten keine rote Linie sein kann. Es ist unmöglich, eine Terrororganisation zu besiegen, die sich absichtlich in dicht besiedelten Gebieten verschanzt, ohne dass Zivilisten getötet werden. Zu fordern, dass keine Zivilisten getötet werden, bedeutet daher, Israel zum Scheitern zu verurteilen. Israel ist sehr darauf bedacht, die Zahl der zivilen Opfer zu minimieren. Es warnt die Anwohner vor Luftangriffen und hält einen humanitären Korridor im Süden aufrecht, durch den humanitäre Hilfe in den Gazastreifen gelangen kann. Trotz alledem wird Israel international heftig kritisiert.

Wenn jeder Angriff ein Kriegsverbrechen und jeder Krieg ein „Genozid“ ist, wie unterscheidet sich dann diese verzerrte Version des humanitären Völkerrechts von einer profanen Dämonisierung? Die Ausweitung der Definitionen von Kriegsverbrechen, um einer politischen Agenda gerecht zu werden, ist falsch und könnte auch dem normativen Standard des humanitären Völkerrechts in der Zukunft schaden.

Die Dämonisierung Israels wird die Nachkriegsrealität verkomplizieren

Die Dämonisierung Israels und der IDF durch einige internationale Akteure könnte sich am Ende als zweischneidiges Schwert erweisen. Nach dem Ende des Krieges wäre ein isoliertes Israel viel stärker motiviert seine Sicherheit niemandem anderen anzuvertrauen. Das bedeutet, dass Israel eine vollständige Kontrolle der Sicherheit im Gazastreifen anstrebt. Mit anderen Worten: Eine übermäßige internationale Kritik an Israel könnte die Wahrscheinlichkeit einer rechtsextremen Innenpolitik erhöhen und künftigen diplomatischen Bemühungen gemäßigter Kräfte schaden.

Abschließend sei gesagt, dass die internationale Gemeinschaft Israels Bemühungen unterstützen sollte, die Hamas im Gazastreifen zu entmachten, und nicht den Akteuren in die Hände spielen sollte, die versuchen, das humanitäre Völkerrecht als Waffe gegen Israel zu wenden. Sie sollte aber auch klare Antworten der israelischen Regierung für die Zukunft des Gazastreifens abverlangen. Eine feindselige internationale Gemeinschaft wird Israels Krieg im Gazastreifen nicht stoppen, aber eine unterstützende internationale Gemeinschaft könnte zukünftige Vereinbarungen positiv beeinflussen.

 

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