Malaysia
Anwar Ibrahim ist endlich Regierungschef
Anwar Ibrahim ist am Ziel: Am Donnerstag hat der Vorsitzende der malaysischen Gerechtigkeitspartei (PKR) im Palast von König Abdullah Sultan Ahmad Shah seinen Amtseid als Premierminister abgelegt.
Es ist der vorläufige Höhepunkt einer beispiellosen politischen Karriere und eines bewegten Lebens. Der mittlerweile 75-Jährige war bereits mehrfach Minister, Protestführer und zuletzt Oppositionsführer. Zu den Tiefen seines Lebens gehören auch mehrere Jahre Gefängnis – er wurde unter anderem wegen angeblicher Homosexualität und Korruption verurteilt. Ausländische Regierungen und Menschenrechtsorganisationen bezeichneten die Urteile als politisch motiviert.
Für Liberalismus und Demokratie in Malaysia ist Anwars Ernennung zum Regierungschef eine gute Nachricht. Er steht für eine multi-ethnische und progressive Politik – und stemmt sich damit gegen den aufkommenden Islamismus und malaiischen Ethnonationalismus in dem südostasiatischen Land. Seine Gerechtigkeitspartei ist ein langjähriger Partner der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit. Anwar steht jedoch vor der Herausforderung, das gespaltene Land zu einen und die strauchelnde Wirtschaft zu stabilisieren.
Wahlausgang war extrem knapp
Reibungslos war auch die nun erfolgte Ernennung zum Regierungschef nicht. Der Wahlausgang war extrem knapp. Anwars Koalition, Pakatan Harapan, die Allianz der Hoffnung, erhielt mit 82 Parlamentssitzen die meisten Mandate. Zweitstärkste Kraft wurde die Nationale Allianz (Perikatan Nasional) mit 73 Sitzen. Zu ihr gehört auch die konservativ-islamische PAS, die einen erheblichen Zuwachs verzeichnen konnte.
Für eine Regierungsbildung sind jedoch 112 Sitze erforderlich. Sowohl die Allianz der Hoffnung als auch die Nationale Allianz mussten also weitere Partner finden. Dem malaysischen König Abdullah Sultan Ahmad Shah kam hierfür eine entscheidende Rolle zu. Malaysias König wird nach dem Rotationsprinzip unter den Vertretern von neun malaysischen Erbmonarchien für fünf Jahre gewählt. Das Amt ist überwiegend zeremoniell, doch hat der König bei einem unklaren Wahlausgang erhebliche Macht. Hier betraut er den vertrauenswürdigeren Kandidaten mit der Regierungsbildung – und seine Wahl fiel auf Anwar.
Anwars Konkurrent Muhyiddin Yassin von der Perikatan Nasional hatte noch drei Tage nach der Wahl behauptet, 115 Parlamentarier hinter sich zu wissen. Davon konnte er jedoch den König nicht überzeugen.
Bisherige Regierung abgestraft
Unter Vermittlung des Königs erklärte sich die wichtigste bisherige Regierungspartei Umno (United Malays National Organisation) schließlich bereit, einer Einheitsregierung beizutreten. Dem Bündnis werden außerdem drei weitere kleinere Parteien angehören: GPS aus Sarawak sowie GRS und Warisan aus Sabah.
Zuvor hatte Umno mit nur 30 errungenen Parlamentssitzen ein desaströses Wahlergebnis eingefahren – ein historisch schlechtes Resultat für die Partei, welche Malaysias Politik seit der Unabhängigkeit von Großbritannien im Jahr 1957 weitgehend dominierte. Dabei hatte der noch kürzlich amtierende Umno-Regierungschef Ismail Sabri Yaakob das Parlament im Oktober auflösen lassen, um nach einem Wahlsieg künftig ohne Koalition zu regieren. Diese Rechnung ging jedoch nicht auf.
Am 19. Dezember wird das neugewählte Parlament nun zusammentreten. Noch am selben Tag wird Anwar die Vertrauensfrage stellen. Damit will Anwar insbesondere seinem Gegenspieler Muhyiddin beweisen, dass er über den nötigen Rückhalt im Parlament verfügt.
Anwar steht vor der schwierigen Aufgabe, ein tief gespaltenes Land zu einen und eine größtenteils unzufriedene Bevölkerung zu überzeugen. Wider Erwarten gingen mit fast 74 Prozent der über 21 Millionen Wahlberechtigten so viele wie noch nie zu den Urnen. Die Wähler waren nicht politikverdrossen, sondern haben die Regierung abgestraft.
Menschen in Malaysia haben genug von Misswirtschaft
Neben der allgemeinen politischen Instabilität – mögliche Neuwahlen hingen schon seit mehr als eineinhalb Jahren in der Luft – haben die Menschen in Malaysia genug von Misswirtschaft und den rasant ansteigenden Lebenshaltungskosten. In dieses Horn stieß die PAS, um die Einkommensschwachen aller Altersgruppen für sich einzunehmen. Mit Erfolg: Die Partei hat ihren Stimmenanteil mehr als verdoppeln können – und das nicht nur in ihrem Kerngebiet im Norden, sondern auch in vergleichsweise moderaten südlicheren Staaten wie Penang. Mit der PAS wird Anwar einen aggressiven Gegner als Opposition haben.
Positiv ist, dass der Posten des stellvertretenden Premierministers von einem Ostmalaysier besetzt werden soll – dem Teil des Landes, das zwar rohstoffreich, aber ansonsten im Abseits ist. Anwar stellte seine Gesprächs- und Kompromissbereitschaft unter Beweis.
Von der politischen Bühne verabschieden wird sich nun wohl Mahathir Mohamad. In seiner jahrzehntelangen politischen Karriere musste der 97-Jährige nun seine erste Wahlniederlage einfahren. Mahathir, der als “Vater des modernen Malaysias” gilt und fünf Jahrzehnte Politik machte, verlor in seinem Wahlkreis, der Insel Langkawi, und konnte kein Mandat erringen.
Dass Mahathir, unter dem in den neunziger Jahren Anwar Finanzminister und stellvertretender Regierungschef war und der Anwar 1999 für sechs Jahre ins Gefängnis warf, leer ausgeht und Anwar nun Premierminister ist, entbehrt nicht einer gewissen Komik. Mahathirs Versprechen nach den gewonnen Wahlen 2018 war, dass Anwar 2020 sein Amt als Regierungschef übernehmen sollte. Das Versprechen löste Mahathir jedoch nie ein – was zum abermaligen Bruch zwischen den beiden führte. Nun hat es Anwar auch ohne Mahathir an die Spitze der Regierung geschafft.
Almut Besold leitet seit 2018 die Projektarbeit der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Malaysia.