Machtkampf in Polen
Der Konflikt spitzt sich weiter zu
Festnahmen im Präsidentenpalast, ein angedrohtes Veto zum Haushalt: Die neue polnische Regierung um Donald Tusk muss noch immer gegen die alte kämpfen. Einer hat dabei nichts mehr zu verlieren.
Artikel von Tom Schmidtgen mit Zitaten von Dr. Lars-André Richter
Diese Szenen erregten nicht nur in Polen Aufsehen: Am Mittwoch flüchteten der ehemalige Innenminister Mariusz Kamiński und sein früherer Staatssekretär Maciej Wąsik vor der Polizei in den Warschauer Präsidentenpalast. Beide PiS-Politiker sind wegen Amtsmissbrauchs zu zwei Jahren Haft rechtskräftig verurteilt worden. Als die Polizei sie festnehmen wollte, flohen sie in den Palast zu ihrem Parteifreund Andrzej Duda. Der empfing sie freudestrahlend, wie Fotos zeigen.
Durch die Fotos kannte die Polizei den Aufenthaltsort; erst als Duda für einen Termin den Palast verließ, konnte die Polizei beide verhaften. Die frühere Regierungspartei PiS bezeichnet sie seitdem als "politisch Gefangene", der ehemalige Innenminister Kamiński ist gar in den Hungerstreik getreten. Auch Präsident Duda kündigte an, für die Freilassung der beiden Männer kämpfen zu wollen.
Das PiS-Establishment gibt so schnell nicht auf
Der Konflikt zwischen der neuen Tusk-Regierung und der PiS – nun in der Opposition – spitzt sich damit weiter zu. Die Festnahme im Präsidentenpalast ist nur ein vorläufiger Höhepunkt. Acht Jahre lang hat die PiS den polnischen Staat in ihrem Sinne umgebaut. Donald Tusk versucht, das nun innerhalb kurzer Zeit zurückzudrehen. Immer deutlicher wird, dass das PiS-freundliche Staatsoberhaupt Duda das verhindern will. Für Polen kann das noch gefährlich werden.
Lars André Richter von der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung überrascht das nicht. "Es war abzusehen, dass es Probleme zwischen der neuen Regierung und dem Präsidenten geben wird, der noch bis 2025 im Amt sein wird", sagt er t-online. Das PiS-Establishment, das seit der Wahl im Oktober vergangenen Jahres abgewählt ist, gebe so leicht nicht auf.
Ab Donnerstagnachmittag versammelten sich Tausende Menschen in Warschau vor dem Sejm, um ihre Unterstützung für die verhafteten PiS-Politiker zu demonstrieren. Zum "Protest der freien Polen" sollen laut Angaben des Veranstalters rund 300.000 Menschen gekommen sein. Unabhängig verifizieren ließ sich das zunächst nicht. Aufnahmen zeigten eine große Menschenmenge vor dem polnischen Parlament. Viele Demonstrationsteilnehmer trugen polnische Fahnen.
Auch Duda bekannte erneut Flagge. An seinen Amtssitz ließ er "Solidarni" projizieren, dazu Fotos der verhafteten Politiker.
Die nächsten Wahlen stehen an
Schon zum Start schindete Präsident Duda Zeit, um den Wechsel zur neuen Regierung möglichst in die Länge zu ziehen. Zuerst ernannte er den alten Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki auch zum neuen Regierungschef, wohl wissend, dass der PiS-Politiker ohne Mehrheit im Sejm, dem polnischen Parlament, scheitern würde. Erst vor knapp einem Monat konnte Tusk dann die Regierungsgeschäfte aufnehmen. "Die PiS versucht, die neue Regierung unter Druck zu setzen", sagt Richter.
Ihre Strategie sei es dabei, "mit kleineren und größeren Nadelstichen" die eigene Anhängerschaft bei Laune und sich selbst in Erinnerung zu halten. Im Frühling werden in Polen die Kommunalparlamente neu gewählt. Es ist die erste Bewährungsprobe für Tusk – und die erste Chance für die PiS, im Lokalen wieder an die Macht zu kommen. Anfang Juni stehen zudem die EU-Wahlen an. Für die PiS war Brüssel immer ein Hassobjekt. Tusk hingegen ist als ehemaliger EU-Ratspräsident ein überzeugter Europäer.
Ohne Regierungsbeteiligung bleibt der PiS nur noch Staatspräsident Duda als Machtfigur in der Exekutive. Er ist bereits in seiner zweiten Amtszeit, kann zur Wahl 2025 nicht noch einmal antreten. "Politisch hat Duda wenig zu verlieren. Das macht ihn zu einem Risikofaktor", so Richter.
Haushalt ist noch nicht verabschiedet
Nun versucht Tusk, möglichst schnell die Reformen, mit der die nationalkonservative Partei versuchte, den Staat umzubauen, zurückzudrehen. Dazu gehörte die Einsetzung von PiS-treuen Richtern, dessentwegen die Europäische Union noch immer 60 Milliarden Euro eingefroren hatte, und ein Umbau des Mediensystems.
Tusk hat schnell nach Amtsantritt mit dem erneuten Umbau des Fernsehsenders TVP, dem polnischen Radio und der Nachrichtenagentur PAP begonnen, in denen die rechtskonservative PiS Gefolgsmänner untergebracht hat. Unter anderem entließ der Bildungsminister kurz vor Weihnachten die gesamte Führungsriege der Öffentlich-Rechtlichen. "Tusk nutzt die Gunst der Stunde mit dem Rückhalt der Wahl, um das schnell zurückzudrehen", sagt Polen-Experte Richter. "Die PiS-Opposition nimmt das natürlich gleich zu Beginn seiner Amtszeit als Vorwand, ihren Kulturkampf mit harten Bandagen fortzusetzen."
Eine Schlüsselrolle spielt hierbei Duda: Der Präsident kann gegen jedes Gesetz der neuen Regierung ein Veto einlegen. Für den Haushalt 2024 hat er das bereits angekündigt und das mit dem Umbau der Medien begründet.
Theoretisch kann der Präsident in Polen vom Parlament zwar überstimmt werden. Dafür bräuchten die Regierungsparteien aber drei Fünftel der Stimmen. Sie verfügen zusammen nur über 248 der 460 Sitze im Sejm. Sollte Duda nicht nachgeben und den Haushalt unterschreiben, droht eine Blockade. Vorerst sitzt Tusk also in der Zwickmühle.
"Die Propaganda der PiS hat nicht gewirkt"
Hoffnung könne Tusk bisher die große Einigkeit in seiner ideologisch breit aufgestellten Regierung machen, sagt Richter. Die Koalition setzt sich aus mehreren Parteien zusammen, darunter Linke und Konservative. "Im Moment ist die Koalition geeint, die PiS sieht in ihr einen Feind." Die Provokationen der Rechtskonservativen würden die bunte Regierung um Tusk nur weiter zusammenschweißen. Dazu kommt sein außenpolitisches Ansehen auf europäischer Ebene.
Und: Die Zahlen für Tusk stimmen. In neuesten Umfragen hat die Koalition sogar dazugewonnen. "Die Aktionen und Angriffe der PiS haben nicht gewirkt. Das ist ein gutes Zeichen", sagt Richter. Die Einigkeit der Koalition könnte irgendwann allerdings auch noch auf die Probe gestellt werden. "Nicht alle Parteien befürworten eine Liberalisierung." Wenn es um Lockerungen im Abtreibungsrecht oder um die Einführung einer Ehe für alle gehe, gibt es auch innerhalb der Regierung Dissonanzen.
Dieser Artikel erschien erstmals am 12. Januar 2024 bei T-Online.