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Tschechien
Die Entwicklung der LGBTQ+ Rechte in Tschechien

Teilnehmer marschieren bei der Prager Pride-Parade in der Prager Innenstadt

Teilnehmer marschieren bei der Prager Pride-Parade in der Prager Innenstadt.

© picture alliance/EPA-EFE | MARTIN DIVISEK

Die Debatte über eine „Ehe für Alle" ist in Tschechien so aktuell wie nie. Im Juni 2023 nahm das Parlament nach erster Lesung zwei sehr gegensätzliche Gesetzentwürfe zum Thema an. Der erste Entwurf legt den Grundstein für die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe, während der Zweite die Ehe als Partnerschaft zwischen Mann und Frau festlegen will. Welche Strömung sich am Ende durchsetzen wird, bleibt noch unklar. Interessant ist jedoch, dass die Tschechische Republik in der Vergangenheit relativ fortschrittlich war.

Sexualforschung in Prag

Die Tschechoslowakei (ČSSR) war in Osteuropa ein Vorreiter bei der Entkriminalisierung der Homosexualität. Von 1950 bis 1958 führten Sexualwissenschaftler in Prag eine wissenschaftliche Studie über Homosexualität durch, in der sie der Frage nachgingen, ob Homosexualität heilbar sein könnte. Das Ergebnis: nach acht Jahren Forschung hatten sie keinen einzigen Patienten geheilt. „Nicht einmal“ eine Heirat mit einer Frau führte dazu, dass ein schwuler Mann Frauen beim Sex bevorzugt. Die Forscher kamen zu dem Schluss, dass Homosexualität kein Verbrechen sein sollte, da weder Betroffene, noch Ärzte oder Psychiater etwas daran ändern können. Die damaligen Politiker handelten tatsächlich entsprechend der Forschungsergebnisse der Wissenschaftler und beendeten 1962 die strafrechtliche Verfolgung von Homosexualität.

Obwohl diese Gesetzesänderung ein großer Schritt nach vorn war, verschwanden die Probleme der LGBTQ+-Gemeinschaft in der ČSSR damit nicht plötzlich. Eine Schwierigkeit, mit der sie konfrontiert waren, bestand darin, eine Wohnung zu finden. Aufgrund der begrenzten Verfügbarkeit von Wohnraum bevorzugten die Behörden häufig Ehepaare. Dies machte es für Alleinstehende fast unmöglich, eine Wohnung zu finden. Queer-Sein sollte so weit wie möglich aus der Öffentlichkeit herausgehalten werden. Ein Coming-out war nicht üblich. Manchmal kam es zu Outings durch die Behörden, die anschließend zu zum Teil negativen oder sogar gewalttätigen Reaktionen im Umfeld der Geouteten führten.

Das 20. Jahrhundert

Zu Beginn des Jahrhunderts hat die Tschechische Republik große Fortschritte bei der Ausweitung der LGBTQ+ Rechte gemacht. Im Jahr 2006 führte das tschechische Parlament eingetragene Partnerschaften für gleichgeschlechtliche Paare ein und schuf damit einen rechtlichen Rahmen für deren Beziehungen. In der Folge verabschiedete das Parlament 2009 ein Gesetz, das die Diskriminierung aufgrund der sexuellen Ausrichtung verbietet. Diese rechtlichen Fortschritte waren wichtige Meilensteine auf dem Weg zur Gleichstellung von LGBTQ+-Personen.

Trotz der positiven Entwicklungen gibt es jedoch nach wie vor erhebliche Herausforderungen. Eine eingetragene Partnerschaft ist nicht mit einer Ehe gleichzusetzen. Der größte Unterschied besteht beim Thema Kinder. Homosexuelle Paare können gemeinsam kein Kind adoptieren. Auch wenn einer der Partner bereits ein Kind aus einer früheren Beziehung mitbringt, hat der Andere keinerlei Rechtsansprüche, selbst wenn das Paar einen gemeinsamen Haushalt führt. So hat der sogenannte „soziale“ (der nicht-biologische) Elternteil keinerlei Rechte in Bezug auf die Erziehung des Kindes oder hinsichtlich Informationen über den Gesundheitszustand des Kindes im Krankenhaus. Es gibt auch keine Garantie dafür, dass das Kind nach dem Tod des biologischen Elternteils im Haus des sozialen Elternteils bleiben darf. Außerdem hat das Kind kein Erbrecht gegenüber dem sozialen Elternteil. Die Paare haben zudem keine Möglichkeit, gemeinsames Eigentum zu begründen.

Homophobe Vorurteile und Diskriminierung gibt es immer noch, insbesondere in konservativen Teilen der Gesellschaft. In den letzten Jahren hat sich aber viel hin zu mehr Toleranz entwickelt. Laut Jsme fér, einer NGO, die sich für die Gleichstellung der Ehe einsetzt, waren 2008 38 % der Tschechen für die Gleichstellung der Ehe. Im Jahr 2020 ist diese Zahl auf 67 % angestiegen.

Bei den politischen Entscheidungsträgern und in der Öffentlichkeit wächst das Bewusstsein, dass weitere Fortschritte notwendig sind. Internationale Entwicklungen und die Erfahrungen anderer europäischer Länder dienen als Beispiele und Inspirationen für die Förderung der LGBTQ+ Rechte  in der Tschechischen Republik. Der Druck auf die Regierung, ein umfassendes Antidiskriminierungsgesetz zu erlassen und die gleichgeschlechtliche Ehe zu legalisieren, nimmt zu. Aufklärung und Engagement zu diesem Thema in der Gesellschaft bleiben entscheidend, um eine nachhaltige Dynamik in Richtung vollständiger Akzeptanz zu gewährleisten.

In den vergangenen Jahrzehnten hat die LGBTQ+-Gemeinschaft in der Tschechischen Republik viele Fortschritte erlebt. Jedoch hinterlässt das historische Erbe der Diskriminierung immer noch seine Spuren in der Gesellschaft. Die Zukunftsaussichten für die Rechte von LGBTQ+ in der Tschechischen Republik sind jedoch vielversprechend.

Die Ehe für alle

Durch die Entschlossenheit der LGBTQ+-Gemeinschaft und die Unterstützung von sogenannten Allys (Verbündeten) kann die Tschechische Republik weiter auf dem Weg zu einer inklusiveren und gerechteren Gesellschaft für alle Menschen, unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität, voranschreiten. Am 29. Juni 2023 debattierte das tschechische Parlament erneut über das Thema Ehe für Alle. In der ersten Lesung nahm das Parlament zwei sehr gegensätzliche Entwürfe an. Der erste Entwurf legt den Grundstein für die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe, der Zweite will die Ehe als Partnerschaft zwischen einem Mann und einer Frau in der tschechischen Verfassung schützen. Ähnliche Ergebnisse gab es bereits unter der letzten Regierung im April 2021. Auch hier wurden in der ersten Lesung verschiedene Vorschläge angenommen, beide blieben vor dem Regierungswechsel aber ohne Ergebnis. Passiert jetzt nochmal genau das Gleiche?

Die Ausschüsse des tschechischen Parlaments werden nun beide Vorschläge weiter beraten. Die Präsidentin der Abgeordnetenkammer, Markéta Pekarová Adamová, räumte die Möglichkeit eines Kompromisses ein, der für gleichgeschlechtliche Paare die gleichen Rechte wie für heterosexuelle Paare durchsetzen würde, allerdings nicht unter dem Begriff „Ehe“, da dieser sich explizit auf Mann und Frau beziehe. Beide Entwürfe werden nun dem Parlamentsausschuss für Verfassungsrecht zur zweiten Lesung vorgelegt.

Organisiert für eine bessere Zukunft

LGBTQ+-Organisationen, wie die bereits erwähnte Jsme fér, arbeiten unermüdlich daran, das Bewusstsein für den Kampf gegen Diskriminierung zu schärfen, die Akzeptanz von Queer-Sein zu fördern und den rechtlichen Schutz für die LGBTQ+ Gemeinschaft zu sichern. Vor allem die jüngere Generation in Tschechien zeigt eine größere Offenheit und Akzeptanz gegenüber sexueller Vielfalt, was Hoffnung auf eine integrativere Zukunft macht.

Die wahrscheinlich erfolgreichste Gruppe, die sich für die Rechte von LGBTQ+ in der Tschechischen Republik einsetzt, ist die Vereinigung Prague Pride. Neben ihrer Zweigorganisation Jsme fér, die versucht, die tschechische Politik zu informieren, organisiert die Prague Pride auch eine ganze Woche mit Konzerten, Diskussionen und Debatten: Am 12. August 2023 findet die dreizehnte Prague Pride Parade statt, die die Gemeinschaft in der Hauptstadt zu einem farbenfrohen Fest vereint. Die Mission der Veranstalter ist, auf die andauernden Ungerechtigkeiten gegen die Queere Community aufmerksam zu machen.