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Ungarn
Diskriminierung zum Machterhalt - Orbán hat die LGBT+-Community zum Feind erklärt

Das ungarische Parlamentsgebäude ist hinter Menschen abgebildet, die an der jährlichen Budapest Pride teilnehmen

Das ungarische Parlamentsgebäude ist hinter Menschen abgebildet, die an der jährlichen Budapest Pride teilnehmen.

© picture alliance / ZUMAPRESS.com | Aleksander Kalka

Die in Ungarn regierende Fidesz-Partei diskriminiert die LGBT+-Community seit Jahren: So dürfen Lehrerinnen und Lehrer nicht über Homosexualität unterrichten, der Verkauf von Büchern, die LGBT+-Themen behandeln, ist eingeschränkt und in Reden von Fidesz-Politikern wird die LGBT+-Community offen diskriminiert. Die Europäische Kommission verklagt Ungarn daher vor dem Gerichtshof der Europäischen Union.

Der US-Botschafter in Ungarn, David Pressman, eröffnete die diesjährige Budapest Pride mit folgenden Worten: "Die Instrumentalisierung von besonders gefährdeten Menschen, um Hass zu schüren und damit seine eigenen Anhänger zu mobilisieren und Umfragewerte zu steigern, ist in diesem Land nichts Neues, aber die konkreten Folgen für die Psyche und die Gesundheit von Menschen, Familien und Gemeinschaften sind real und verheerend."

Die gegen die LGBT+-Community gerichtete Politik der ungarischen Regierung ist insbesondere für junge Menschen belastend, die ihre Identität erst entdecken und so von Anfang an in die Defensive gedrängt werden. In den letzten Jahren hat die Diskriminierung immer weiter zugenommen. 2007 hat die damalige sozialdemokratische Regierung eingetragene Partnerschaften für Schwule und Lesben noch gebilligt. Obwohl diese nicht die gleichen Rechte wie die Ehe ermöglicht, kam Ungarn der rechtlichen Gleichstellung von heterosexuellen und homosexuellen Paaren einen Schritt näher. Diese politische Maßnahme gehört jedoch zu der letzten, die die Rechte von LGBT+-Personen in Ungarn gestärkt hat.

Die aktuelle ungarische Regierung tritt offen gegen LGBT+-Menschen auf. Laut einer Studie des ungarischen Thinktanks Political Capital, die von der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit unterstützt wurde, bildet eine gegen LGBT+-Menschen gerichtete Politik seit 2017 sogar einen politischen Schwerpunkt der Regierungsarbeit. So startete die Regierung eine Anti-LGBT+ Kampagne, die 2018 zur Abschaffung aller Akkreditierungen für Gender-Studien an den Universitäten in Ungarn geführt hat. 2020 weigerte sich das ungarische Parlament die Istanbul-Konvention, ein internationales Abkommen zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen, zu ratifizieren mit dem Argument, dass die Konvention gegen die traditionelle Familie gerichtet sei. Im Mai 2020 hat das Parlament ein gegen Trans-Menschen gerichtetes Gesetz verabschiedet, das eine spätere Änderung des Geschlechtes in Ausweispapieren verbietet. Seither wurde die Spalte "Geschlecht" mit "bei der Geburt zugewiesenes Geschlecht" in offiziellen Ausweisdokumenten ersetzt. Im selben Jahr wurde die Definition von „Eltern“ als Mann und Frau im Grundgesetz verankert und nicht verheirateten Paare wurden von der Adoption von Kindern ausgeschlossen.

Nicht zuletzt wurde 2021 ein sogenanntes Kinderschutzgesetz verabschiedet, das sowohl im Inland als auch in ganz Europa große Empörung hervorrief. Das Gesetz – welches häufig mit dem russischen Anti-Gay-Gesetz von 2013 verglichen wird –sieht vor, den Zugang von Minderjährigen zu Informationen über Homosexualität und Geschlechtsumwandlung einzuschränken. So darf in Schulen, Filmen oder in der Werbung nur über Heterosexualität gesprochen werden. Da das Gesetz vorgeblich sexuellen Missbrauch an Kindern bekämpfen sollte, haben die Befürworter dieses Gesetzes, die rechtspopulistischen Parteien Fidesz und Jobbik, so die LGBT+-Community in direkten Zusammenhang mit Pädophilie gebracht.

Einige Wochen später wurde eine zusätzliche Verordnung beschlossen, die den Verkauf von Büchern, die LGBT+ Themen behandeln, in unmittelbarer Nähe von Schulen und Kirchen verboten hat. In Buchhandlungen abseits von Schulen und Kirchen müssen jene Bücher in undurchsichtige Verpackungen eingewickelt werden, so die Verordnung.

Diskriminierung ist Alltag

Die ungarische Regierung hat mit Erfolg ein Narrativ geschaffen, indem von einer feindlichen Gender- und LGBT+- Ideologie die Rede ist, die eine Bedrohung für traditionelle Werte und die „normale“ anständige ungarische Familie darstelle. Zu den lautesten Vertreterinnen und Vertretern dieser feindlichen Politik gehören vor allem führende Fidesz-Mitglieder. So etwa László Kövér (Fidesz), der ungarische Parlamentspräsident, der kürzlich die Adoption von Kindern durch LGBT+-Menschen offen mit Pädophilie verglichen hat oder Katalin Novák (Fidesz), die ungarische Präsidentin, die in ihrer früheren Rolle als Familienministerin das Verbot von gleichgeschlechtlichen Ehen befürwortet hat. Neben diesen Fidesz-Politikerinnen und Politikern gehört auch Dóra Dúró von der rechtsextremen Bewegung Mi Hazánk (Unsere Heimat) zum Anti-LGBT+-Lager. Er hat ein von der pro-lesbischen Nichtregierungsorganisation Labrisz herausgegebenes Kinderbuch in der Öffentlichkeit zerrissen, da das Buch seiner Meinung nach gefährliche Propaganda unter Kindern verbreite.

Auch Nichtregierungsakteure führen Kampagnen gegen die sogenannten Gender- und LGBT+-Ideologie. So etwa das ungarische Forschungsinstitut Center for Fundamental Rights, das enge Beziehungen zur amerikanischen Republikanischen Partei pflegt. Außerdem veranstaltet es regelmäßig Events mit dem mit Fidesz verbundenen Thinktank Matthias Corvinus Collegium – unter Anwesenheit von zahlreichen Fidesz-Politikern und ultra-konservativen Denkern aus aller Welt. Die Conservative Political Action Conference (CPAC), eine Vereinigung konservativer Parteien, hat nicht grundlos schon das zweite Mal in Budapest stattgefunden.

Hoffnungsschimmer für die LGBT+-Community

Trotz der starken und nahezu allgegenwärtigen staatlichen Propaganda sind viele pro-LGBT+-Organisationen in Ungarn tätig – sowohl parteipolitisch gebundene als auch unabhängige.

Eine parlamentarische Gruppe mit dem Namen For a Diverse Hungary widmet sich seit 2022 ungarischen LGBT+-Menschen und Menschenrechten im Allgemeinen. Die Gruppe besteht aus Abgeordneten aller Oppositionsparteien – angeführt von der liberalen Bewegung Momentum (ALDE-Mitglied).

Zu den unabhängigen Organisationen gehören Budapest Pride, Labrisz, Háttér Society oder Transvanilla. Erwähnenswert ist auch die Rainbow Platform, die von Momentum-Mitgliedern gegründet wurde und erst kürzlich eine Debatte in Budapest über politische Vielfalt organisiert hat.

Hoffnung für die ungarische LGBT+-Gemeinschaft spendet auch die Europäische Union. Sie hat die ungarische Regierung aufgrund des sogenannten Kinderschutzgesetzes auf dem Radar: Im Juni letztes Jahres hat die Europäische Kommission Ungarn vor dem Gerichtshof der Europäischen Union angeklagt – der Klage haben sich 15 EU-Länder angeschlossen.