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Ungarn
Fidesz gegen Bildungsfreiheit

Die Zukunft Ungarns steht wieder auf dem Spiel
Streik Ungarn

Lehrer, Schüler und Eltern protestieren in Budapest gegen die Bildungspolitik der Regierung und für bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen sowie bessere Bezahlung für Lehrer.

© picture alliance / AA | Arpad Kurucz

Am 6. Juli hat die ungarische Staatspräsidentin Katalin Novák das sogenannte „Statusgesetz“ unterzeichnet. Dieses Gesetz betrifft alle Lehrerinnen und Lehrer und ändert deren Arbeitsbedingungen grundlegend.

Die Situation der Bildung in Ungarn ist indes in hohem Maße kritisch. Die Löhne in diesem Sektor gehören seit Langem zu den niedrigsten in Europa. Das Gehalt für Lehrkräfte wird seit 2014 unverändert vom damaligen Mindestlohn abgeleitet: die Inflation spielt daher keine Rolle bei der Berechnung der Löhne der Pädagogen und das Nettoeinkommen von Lehrerinnen und Lehrern sinkt entsprechend jedes Jahr. Aktuell beträgt das durchschnittliche monatliche Bruttogehalt der Lehrerinnen und Lehrer etwa 500 Euro und liegt damit weit unter dem üblichen Level von Gehältern in akademischen Positionen in Ungarn. Ungarn ist damit fast Schlusslicht der OECD-Rangliste.

Darüber hinaus stehen Lehrkräfte unter einem ständigen politischen Druck, da sie vorsichtig vorgehen müssen, wenn sie über die im eher konservativ geprägten Ungarn strittigen Themen wie LGBTQI oder Sexualkunde im Unterricht mit ihren Schülern sprechen. Die autokratische Fidesz-Regierung hat im Jahr 2021 das sogenannte „Kinderschutzgesetz“ gebilligt, die das Informieren von Kindern über LGBTQI-Themen verhindert.

Widerstand gegen das Bildungsgesetz regt sich

Zunächst wegen der schlechten Arbeitsbedingungen und später in Erwartung des neuen Gesetzes sind daraufhin viele Lehrerinnen und Lehrer in Streik getreten oder haben gemeinsam mit ihren Mitbürgerinnen und Mitbürgern an großen Protesten teilgenommen.

Die Proteste blieben aber nicht ohne Antwort der Regierung. Viele von denjenigen, die an den Protesten teilgenommen hatten, haben ihre Jobs im Rahmen einer Art ‚Vergeltungsmaßnahme‘ verloren. Ein Beispiel, das die Situation gut beschreibt, ist die Entlassung der Gründerin der Tanítanék-Bewegung (Dt. „Ich würde gerne lehren“) Katalin Törley, die später zur Hauptfigur der Proteste wurde.

Allein seit 2020 haben bereits 10.000 Lehrkräfte gekündigt. Infolgedessen fehlen nun etwa 16.000 Pädagogen im ungarischen Bildungssystem. Zudem sinken die Studierendenzahlen in Lehramtsstudiengängen und das durchschnittliche Alter von Lehrerinnen und Lehrern steigt: Mittlerweile liegt es bei 53 Jahren.

Je näher die Abstimmung des kontroversen „Statusgesetzes“ rückte, desto aktiver wurde auch die ungarische liberale Oppositionspartei Momentum Mozgalom. Die Partei installierte zum Beispiel 5.000 schwarze Flaggen vor dem Parlament, die die zu befürchtenden Kündigungen für Lehrerinnen und Lehrer symbolisieren sollten.

Anfang Juni brachte dann die ungarische Regierung dieses von der Opposition genannte "Rachegesetz" ins Parlament ein. Das von Orbáns Fidesz-Partei dominierte Parlament stimmte nach 18 Stunden Debatte mit 136 Stimmen, gegenüber 58 Gegenstimmen, dafür.

Zukunft des Bildungssystems ist gefährdet

Das Gesetz ändert den Status aller Schulpädagogen, die fortan nicht mehr als Angestellte im öffentlichen Dienst eingestuft werden. Weiterhin eröffnet das Gesetz den unter dem Einfluss der Regierung operierenden Regionalen Bildungszentren die Möglichkeit, Lehrerinnen und Lehrer innerhalb der Region beliebig zu versetzen, um lokalen Lehrkräftemangel auszugleichen. Vor allem junge Lehrkräfte ohne Kinder könnten zukünftig davon betroffen sein. Weiterhin schreibt das Gesetz mehr Arbeitsstunden, zusätzliche Arbeit am Sonntag und eine Verlängerung des Schuljahres vor.

Obwohl das Gesetz ganz grundsätzlich die Arbeits- und Lohnbedingungen von Pädagogen betrifft, hat die Regierung bei seiner Entwicklung keine Debatte mit deren Gewerkschaften geführt.

Was die genauen Konsequenzen dieses Gesetzes sein werden, kann man schon jetzt abschätzen. Viele Lehrkräfte werden ihre Arbeitsstellen verlassen, die Anzahl der Lehramtsstudierenden wird weiter sinken, viele Pädagogen werden früher in Rente gehen, und Schulen werden in finanzielle Probleme geraten (einige Schulen haben schon Stiftungen gegründet, um den Schulbetrieb aufrechterhalten zu können).

Die Bildungsfreiheit in Ungarn ist ernsthaft gefährdet. In diesem Land, das wegen Verstöße gegen EU-Recht schon mehrmals vor dem Europäischen Gerichtshof verklagt wurde, beginnt bereits ein weiterer zentraler Träger der Demokratie zu wackeln. Diesmal steht die Bildung der Kinder auf dem Spiel, was letztlich den Aufbau und Erhalt der Demokratie und der Freiheit in Ungarn bedroht.

 

Daniela Matoušová ist Projektmanagerin der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit im Büro für die Mitteleuropäischen und Baltischen Staaten in Prag.