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Präsidentschaftswahlen in Litauen
Litauen wählt: Spannung vor Präsidentschaftswahlen

Präsidentin von Litauen

Gitanas Nausėda, Präsidentin von Litauen.

© picture alliance / Captital Pictures | -

Präsidentschaftswahlen in Litauen. Zwölf Aspirantinnen und Aspiranten gab es, als das Land Anfang des Jahres auf Kandidatensuche war. In acht Fällen hat die zentrale Wahlkommission die Zulassung erteilt. Sie dürfen sich nun am 12. Mai um das höchste Amt im Staat bewerben. In Litauen gilt wie in vielen anderen Ländern mit präsidentieller oder semipräsidentieller Staatsform auch: Gelingt es keiner Bewerberinnen und keinem Bewerber, eine absolute Mehrheit der Stimmen auf sich zu vereinen, kommt es zu einer Stichwahl zwischen den beiden Bestplatzierten, im konkreten Fall zwei Wochen später, am 26. Mai.

Hinsichtlich ihres Bekanntheitsgrads und ihrer Popularität liegen Welten zwischen den acht Kandidatinnen und Kandidaten. In allen Umfragen liegt Amtsinhaber Gitanas Nausėda in Führung. Er ist seit 2019 im Amt und bewirbt sich nun um eine Wiederwahl, wie schon vor fünf Jahren als unabhängiger Kandidat. Unterstützt wird er von der traditionsreichen Sozialdemokratischen Partei (LSDP) und der ebenfalls moderat linken Partei der Regionen, einer Abspaltung der LSDP. Der 59-jährige Ökonom ist nicht unumstritten. Erst im vergangenen Jahr geriet er in die Negativschlagzeilen, als herauskam, dass er seine Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei in den Zeiten vor der Unabhängigkeit seines Landes verschwiegen hatte.

Respekt über die Landesgrenzen hinweg

Trotzdem ist es Nausėda in den zurückliegenden Jahren gelungen, sich Respekt zu verschaffen, auch über die Landesgrenzen hinweg. Er hat sich vor allem als unbeirrbarer Befürworter der Unterstützung der Ukraine hervorgetan – und dass wie viele seiner Politiker-Kolleginnen und -Kollegen in Mittel- und Osteuropa nicht erst seit Februar 2022. Er erfreut sich in allen sozialen und demografischen Gruppen einer ähnlich großen Beliebtheit. Die Umfragen sehen ihn mit stabil über dreißig Prozent seit Wochen auf dem ersten Platz. Es ist allerdings nicht ausgeschlossen, dass er es gleich in der ersten Runde am kommenden Sonntag über die Ziellinie der absoluten Mehrheit schafft.

Der ukrainische Präsident Volodymyr Zelenskyy, links, steht mit dem litauischen Präsidenten Gitanas Nauseda nach einer Pressekonferenz im Palast der Großfürsten von Litauen während des Gipfels und des Wirtschaftsforums der Drei-Meeres-Initiative in Vilnius, am 11. April 2024.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, links, steht mit dem litauischen Präsidenten Gitanas Nausėda nach einer Pressekonferenz im Palast der Großfürsten von Litauen während des Gipfels und des Wirtschaftsforums der Drei-Meeres-Initiative in Vilnius, am 11. April 2024.

© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Mindaugas Kulbis

In den Umfragen folgt mit rund zwölf Prozent Ignas Vėgėlė auf dem zweiten Platz. Auch er ist parteipolitisch unabhängig, wird aber von vier kleineren christdemokratischen und im konservativen Lager zu verortenden Parteien unterstützt. Der 48-jährige Jurist hat den mittlerweile überall auf der Welt zum Repertoire gehörenden Part des lautstarken Populisten übernommen. In der Covid-Zeit hat er sich als entschiedener Gegner der Pandemiebekämpfungspolitik der Regierung profiliert. Im Wahlkampf konzentriert er sich nun darauf, Misstrauen gegenüber den etablierten politischen Institutionen zu schüren. Vėgėlė macht Stimmung gegen die LGBTQIA+-Personen und die Istanbul-Konvention zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen. Litauen ist das einzige baltische Land, das die Konvention noch nicht ratifiziert hat. Seine Anhängerschaft rekrutiert er vorwiegend aus Wählerschichten mit niedrigeren Bildungsabschlüssen und aus den ländlichen Gebieten.

Präsident Oberbefehlshaber der Streitkräfte

Mit Ingrida Šimonytė, der derzeitigen Premierministerin, hat schließlich ein politisches Schwergewicht den Hut in den Ring geworfen.

Die litauische Premierministerin und Präsidentschaftskandidatin Ingrida Simonyte gibt ihre Stimme in einem Wahllokal während der vorgezogenen Präsidentschaftswahlen in Vilnius, Litauen, am Donnerstag, 9. Mai 2024, ab.

Die litauische Premierministerin und Präsidentschaftskandidatin Ingrida Simonyte gibt ihre Stimme in einem Wahllokal in Vilnius, Litauen, am Donnerstag, 9. Mai 2024, ab.

© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Mindaugas Kulbis

Sie tritt für ihre Partei, die konservative Tėvynės Sąjunga (zu Deutsch: Vaterlandsbund – Christdemokraten, kurz: TS-LKD), an. In den Umfragen erreicht sie trotzdem nur rund zehn Prozent. Bereits 2019 hatte sie sich um das höchste Amt im Staat beworben, war in der Stichwahl allerdings Nausėda unterlegen. Sie kann auf das städtische Elektorat und die Wahlberechtigten mit höheren Bildungsabschlüssen zählen. Die anderen Kandidatinnen und Kandidaten dürften keine realistische Chance haben, eine mögliche Stichwahl zu erreichen, darunter Dainius Žalimas von der Laisvės partija (Freiheitspartei), der antisemitische Rechtsaußen Remigijus Žemaitaitis, und Giedrimas Jeglinskas, ehemaliger stellvertretender NATO-Generalsekretär.

Das litauische Staatsoberhaupt ist mit mehr verfassungsrechtlichen Kompetenzen ausgestattet als etwa der deutsche Bundespräsident. Sie liegen vor allem in der Außenpolitik. Die Präsidentin bzw. der Präsident entscheidet über die grundlegenden Fragen der Außenpolitik und ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte. Nausėda hat sich bereits früh für eine militärische, humanitäre und wirtschaftliche Unterstützung der Ukraine stark gemacht. Putin und sein Regime müssen, so die Forderung des Staatschefs, für den Angriff auf die Ukraine und die Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung von der internationalen Rechtsprechung zur Verantwortung gezogen werden.

Vėgėlė indes hat – in wenig überraschender inhaltlicher Übereinstimmung mit anderen Führungsfiguren des global verbreiteten Populismus – in der Ukraine-Frage eine andere Haltung eingenommen. Er spricht sich für Friedensverhandlungen aus, da die Ukraine keinen Sieg erringen könne, und wird nicht müde, davor zu warnen, dass eine Eskalation des Krieges die Sicherheit und territoriale Integrität Litauens gefährden könnte.

Besonders hohes Polarisierungspotenzial

Ähnlich klar wie gegenüber Moskau ist Präsident Nausėdas Position gegenüber Minsk. Während der Proteste 2020 gegen Diktator Aljaksandr Lukaschenka öffnete er die Grenzen seines Landes zu Belarus aus humanitären Gründen und bot der im Exil lebenden Oppositionsführerin Sviatlana Tsikhanouskaya an, sich in Vilnius niederzulassen.

Sviatlana Tsikhanouskaya

Sviatlana Tsikhanouskaya.

© picture alliance/KEYSTONE | GIAN EHRENZELLER

Fast alle Kandidatinnen und Kandidaten haben ihre Sympathien für die Präsenz und das Engagement der belarussischen Opposition bekundet. Einzige Ausnahme: Remigijus Žemaitaitis. Der radikal rechte Demagoge lehnt eine Unterstützung der belarussischen Community vehement ab.

Auch in gesellschaftspolitischen Fragen der Innenpolitik liegen die Positionen der aussichtsreichen Bewerberinnen und Bewerber weit auseinander. Zwei Themen mit besonders hohem Polarisierungspotenzial: Rechte von LGBTQIA+-Personen und das Recht auf Abtreibung. Amtsinhaber Nausėda hält einerseits das Prinzip der Unantastbarkeit des menschlichen Lebens hoch, verabsolutiert diese Position allerdings nicht. Die Änderungen des Zivilrechts mit dem Ziel einer rechtlichen Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Paare unterstützt er hingegen. Vėgėlė vertritt eine christlich-traditionalistische Position und warnt vor einer Aushöhlung des klassischen Familienideals durch den vermeintlichen Propaganda-Apparat der LGBTQIA+-Community. Im einzigen katholisch geprägten Staat des Baltikums fällt das durchaus auf fruchtbaren Boden. Ministerpräsidentin Šimonytės vertritt schließlich in beiden Fragen eine liberalere Haltung, spricht sich gegen ein generelles Abtreibungsverbot aus und macht sich stark für die gesellschaftliche und rechtliche Anerkennung unterschiedlicher Familienkonstellationen.

Verteidigungssteuer vorerst vom Tisch

Ein anderes Konfliktthema ist die Landesverteidigung. Dass man mehr Geld braucht für einen Aufwuchs der Streitkräfte, für die Aufnahme der deutschen Heeresbrigade und eine mögliche Einführung der Wehrpflicht, ist allen Seiten klar. Allein die Frage, woher es kommen soll, entzweit die Kandidatinnen und Kandidaten. Der Präsident hat vorgeschlagen, ab dem kommenden Jahr eine Verteidigungssteuer zu erheben. Vėgėlė indes lehnt jedwede Steuererhöhung ab. Nausėda ist mittlerweile zurückgerudert und hat zugesagt, zunächst die Möglichkeiten einer Kreditaufnahme zu prüfen.

Versuche der Einflussnahme ausländischer Geheimdienste auf demokratische Abstimmungen sind auch in Litauen längst Realität. Sie erfolgen dabei nicht nur von russischer, sondern auch von chinesischer Seite. Einer der Gründe: 2021 hatte Vilnius entschieden, Taiwan die Eröffnung einer De-facto-Botschaft zu gestatten. Der Protest aus Peking folgte prompt. Seit 2023 werden Spionageversuche durch China vermehrt registriert.

Reform des Staatsbürgerschaftsrechts

Am 12. Mai findet außerdem ein Referendum statt. Es geht um die Einführung des Rechts auf doppelte oder mehrfache Staatsbürgerschaft. Die derzeitige Rechtslage führt dazu, dass jährlich rund eintausend Litauerinnen und Litauer ihre Staatsbürgerschaft aufgeben. Dem soll entgegengewirkt werden. Bereits 2019 wurde ein ähnliches Referendum abgehalten. Überwältigende 74 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer sprachen sich für eine Reform des Staatsbürgerschaftsrechts aus. Das Referendum scheiterte jedoch, weil das erforderliche Quorum von fünfzig Prozent der Wahlberechtigten nicht erreicht wurde.

 

Natália Tkáčová ist Projektmanagerin im FNF-Büro Mitteleuropa & Baltische Staaten, Prag.