EU-Politik
Schlussbewertung der tschechischen EU-Ratspräsidentschaft
Die tschechische EU-Ratspräsidentschaft sollte eine Art Test dafür sein, ob die Tschechische Republik ein glaubwürdiger Partner ist, auf den sich die anderen Mitgliedsstaaten verlassen können. Die aktuelle geopolitische Lage hat dabei die tschechische Präsidentschaft zu einer echten Feuerprobe gemacht. Die haben der tschechische Ministerpräsident Petr Fiala und seine Regierung wohl bestanden. Die Regierung wurde von Anfang an von den anderen Staaten für ihre Haltung gegenüber der russischen Invasion in hohem Maße respektiert. Das war vor allem darauf zurückzuführen, dass die tschechische Regierung von Beginn der Invasion an sehr entschlossen handelte, wozu auch die Reise des tschechischen Ministerpräsidenten nach Kiew im März beitrug. Die tschechische EU-Ratspräsidentschaft war also von klarer Solidaritätssymbolik und praktischen Kompromissen geprägt, die (nicht nur) die Brüsseler Szene beeindruckten.
Tschechen als vertrauenswürdige Verhandlungspartner
Während ihrer EU-Ratspräsidentschaft musste sich die Tschechische Republik vor allem auf die Krisenagenda konzentrieren, mit einem Schwerpunkt auf Energiefragen und der Aushandlung sehr komplexer Pakete wie etwa dem Klimapaket und der Unterstützung für die Ukraine. Insbesondere im Energiesektor erwiesen sich die Tschechen als gute Verhandlungspartner, die sich auf praktische Kompromisse konzentrieren.
Insbesondere die Vereinbarungen über den Energiepreisdeckel, den gemeinsamen Gaseinkauf und die Solidarität im Falle einer Unterbrechung der Gasversorgung können als Durchbruch bezeichnet werden. Dies wird die Verhandlungsposition der EU-Länder auf den Weltmärkten erheblich verbessern und die Füllung der Gasspeicher für den nächsten Winter erleichtern. Auch die Verhandlungen über das Klimapaket „Fit for 55“ sind deutlich vorangekommen. Während der Ratspräsidentschaft fanden zahlreiche Triloge, d.h. Dreiertreffen der gesetzgebenden Institutionen der EU, mit positiven Ergebnissen statt.
Die Verhandlungen über die finanzielle Unterstützung für die Ukraine waren jedoch weniger erfolgreich: Im Oktober sagten die europäischen Länder ein Darlehen in Höhe von 18 Milliarden Euro zu, um den Betrieb des Landes in 2023 aufrechtzuerhalten. Doch auch auf der letzten Tagung des Rates „Wirtschaft und Finanzen“ in diesem Jahr, die am 6. Dezember stattfand, konnten die Finanzminister keine Einigung erzielen. Besser gesagt, das Darlehen, mit dem die Ärztegehälter und Renten finanziert werden sollen, wurde von einem einzigen Staat blockiert - Ungarn.
Man sollte sich nicht täuschen, das ist kein Zufall. Ungarn kämpft mit seinen erpresserischen Praktiken um viel Geld. Einerseits kämpft Orbán dafür, dass die Mitgliedstaaten 5,8 Mrd. EUR aus dem bisher blockierten COVID-19-Aufbauplan für Ungarn freigeben; andererseits sollen dem Land als Strafe für die Verletzung der Rechtsstaatlichkeit 7,5 Mrd. EUR aus anderen EU-Fördermitteln entzogen werden, und Orbán versucht, diese Strafe abzumildern. Die Einstimmigkeit, die erforderlich ist, um das Darlehen für die Ukraine zu genehmigen, ist in diesem Fall also so etwas wie eine Geisel.
In den letzten Wochen hat Ungarn versucht, der Kritik Brüssels teilweise nachzukommen und beispielsweise die Korruptionsermittlungen im Land zu verstärken. Die Finanzminister haben sich darauf geeinigt, Budapest eine gewisse Zeit zur Wiedergutmachung zu geben. Dies würde schließlich eine Lockerung der ungarischen Sanktionen ermöglichen (als Zugeständnis wurden bereits etwa 1,2 Milliarden Euro für Ungarn „entfrostet“) und die ungarische Regierung könnte die Blockierung von Darlehen an die Ukraine aufgeben. Die nächste Tagung des Rates "Wirtschaft und Finanzen" findet am 17. Januar 2023 statt, so dass diese schwierige Verhandlungsaufgabe bereits auf die Ratspräsidentschaft Schwedens zukommt.
Vereinte EU und vereintes Europa
Anfang Oktober richteten sich alle Augen auf den ersten EPC-Gipfel (Europäische Politische Gemeinschaft), an dem Staats- und Regierungschefs aus 44 europäischen Ländern teilnahmen. Obwohl der EPC-Gipfel nicht Teil der Ratspräsidentschaft war, nutzte die Tschechische Republik die Anwesenheit aller Staats- und Regierungschefs der EU in Prag, um ihn mit dem informellen Treffen des Europäischen Rates am folgenden Tag zu verbinden.
Doch das EPC-Gipfeltreffen war von entscheidender Bedeutung: Der serbische Präsident Aleksandar Vučić und die Präsidentin des Kosovo, Vjosa Osmani, saßen an einem Tisch oder der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan und der armenische Premierminister Nikol Pashinyan, Staatschefs von Ländern, die normalerweise keine diplomatischen Beziehungen unterhalten. Es war auch das erste Gipfeltreffen zwischen dem Vereinigten Königreich und den EU-Ländern seit dem Brexit. Kein Wunder also, dass sich fast tausend Journalisten in Prag versammelten und der Gipfel in ganz Europa und einem Großteil der Welt übertragen wurde.
Das Hauptziel des Gipfels war es, Zusammengehörigkeit zu zeigen und Vertrauen aufzubauen. Der französische Präsident Emmanuel Macron fasste den Gipfel so zusammen: „Wir müssen die Botschaft aussenden, dass Europa geeint ist, dass wir in der Lage sind, uns über die aktuelle Situation auszutauschen und einen Dialog über eine gemeinsame Strategie zu führen. Wir haben EU-Mitglieder, Kandidatenländer und Länder, die die Union verlassen haben. Aber wir teilen den gleichen Raum, oft auch die gleiche Geschichte. Wir müssen über eine gemeinsame Zukunft sprechen.“ Gleichzeitig fügte er hinzu, er hoffe, dass sich die Länder alle sechs Monate treffen werden. Moldau wird voraussichtlich der nächste Gastgeber sein.
Die Abwesenheit von Russland konnte natürlich nicht unbemerkt bleiben. Wie Thomas Hacker, MdB in einer gemeinsamen Veranstaltung des Prager Büros und des Münchener Landesbüros der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit über die tschechische EU-Ratspräsidentschaft meinte: „Es war ein Signal, dass Europa zusammensteht und dass wir miteinander Solidarität haben - als Demokratien, die die Freiheit, Menschenrechte, Bürgerrechte ehren, anders als sich Putin in Russland und Russland dann in der Ukraine benimmt.“
Verheimlichter Erfolg
Man könnte rundherum sagen, dass die Tschechische Republik ihre zweite Ratspräsidentschaft sehr erfolgreich gemeistert hat und in die EU zurückgekehrt ist. Es würde sich daher naheliegen, voller Stolz diesen Erfolg den tschechischen Bürgern zu vermitteln und sie für die Idee der EU zu begeistern. Leider ist dies nicht geschehen. Experten sind sich einig, dass die begrenzten finanziellen Möglichkeiten und die in dieser Hinsicht unzureichend verwaltete Tätigkeit des Ministers für europäische Angelegenheiten, Mikulas Bek, dabei eine Rolle gespielt haben. Seit etwa Juni hat man nicht mehr viel von ihm gehört.
Nur zwei Themen fanden in der tschechischen Gesellschaft großen Anklang: der EPC-Gipfel und der Beitritt Kroatiens zum Schengen-Raum. Der EPC-Gipfel war nicht einmal offizieller Teil der Ratspräsidentschaft, aber die Medienberichterstattung über ihn war allgegenwärtig und man konnte sich ihm nicht entziehen. Der Beitritt Kroatiens zum Schengen-Raum wurde vor allem von Regierungspolitikern präsentiert, die in der Finanzkrise versuchten, die Herzen der Wähler zu erweichen. Das Versprechen einer problemlosen und schnelleren Reise zu einem Urlaubsziel, das 10 % der Tschechen jedes Jahr besuchen, dürfte ihnen dabei geholfen haben.
Entspannung? Das ist für ein anderes Mal
Nach einer gut geleisteten Arbeit sollte die Regierung zumindest eine kurze Atempause einlegen. Aber sie wird sie nicht bekommen, denn die Tschechische Republik steht vor ernsten finanziellen Problemen. Die Energiepreise sind dort am stärksten in Europa gestiegen, die Inflation liegt seit vielen Monaten bei 16-18 %, und die Regierung hat einen Haushaltsentwurf für 2023 mit einem Defizit von 295 Mrd. CZK verabschiedet. Das ist das zweithöchste Defizit in der Geschichte eines unabhängigen Staates, und Experten warnen, dass die Schuldenlast der Tschechischen Republik auf Dauer nicht tragbar ist. Die derzeitige Regierung steht also vor schwierigen und unpopulären Entscheidungen.
Ester Povýšilová ist Projektmanagerin der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit im Büro für die Mitteleuropäischen und Baltischen Staaten in Prag.