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Eine Kolumne von Karl-Heinz Paqué

Nach Solingen
Eine Schande

In Hamburg wird nach den Solinger Messermorden das Grindelfest wegen Sicherheitsbedenken abgesagt. Der Staat weicht vor der Gewalt zurück.
Blumen und Kerzen sind in der Nähe des Tatortes abgelegt worden. Am Freitagabend waren bei einem Stadtfest im nordrhein-westfälischen Solingen drei Menschen mit einem Messer getötet worden

In Solingen sind drei Menschen bei einem Angriff getötet worden und weitere verletzt worden. Die Staatsanwaltschaft spricht von einem terroristischen Anschlag.

© picture alliance/dpa | Federico Gambarini

Spätestens seit dem Aufstieg des modernen Territorialstaates im 17. Jahrhundert ist die Gewähr öffentlicher Sicherheit eine der Kernaufgaben jedes Staates. Es mehren sich in jüngerer Zeit Indizien dafür, dass der deutsche Staat in zunehmendem Maße nicht mehr bereit ist, diese Kernaufgabe wahrzunehmen.

Ein besonders krasses Beispiel dafür bietet derzeit die Freie und Hansestadt Hamburg. Nachdem vor wenigen Tagen in Solingen bei einem Stadtfest furchtbare Messermorde geschahen, der Täter aus Syrien stammte und der IS (Islamische Staat) sich zu dieser Tat bekannte, haben die Veranstalter des Grindelfests in Hamburg-Eimsbüttel beschlossen, dieses alljährlich stattfindende Event - geplant für den 13. bis 15. September 2024 - in diesem Jahr abzusagen. Der Grund: Sie können die Sicherheit der Teilnehmer nicht garantieren. Wohlgemerkt: Es handelt sich um ein Straßenfest in Kooperation mit der jüdischen Gemeinde und weiteren Kulturorganisationen. Der Titel: "Grindelfest: Kultur. Jüdisch. Bunt".

Den Veranstaltern selbst ist kein Vorwurf zu machen. Es ist verständlich, dass sie davor zurückschrecken, die Verantwortung für etwaige gewalttätige Zwischenfälle zu übernehmen. Aber die Kernfrage ist: Wo bleibt der schützende Staat? Es sind noch mehr als zwei Wochen Zeit zur Vorbereitung des Festes, der Termin ist lange bekannt - an "technischen" Engpässen kann es deshalb eigentlich nicht liegen. Stattdessen fehlt anscheinend der politische Wille, das Fest doch stattfinden zu lassen und damit gegen die Gewalt ein entschlossenes Zeichen zu setzen - mit maximal erreichbarer Sicherheit, wenn auch nicht mit totaler Sicherheit, die es nie geben kann.

Für Hamburg - und für Deutschland - ist dies eine Schande. Gerade mal acht Jahrzehnte nach dem Massenmord an Juden in den Konzentrationslagern der Nazis ist unser demokratischer Rechtsstaat nicht in der Lage oder nicht bereit, jüdisches Leben bis zur Grenze des Möglichen zu schützen.

Und nicht ausschließlich jüdisches Leben, sondern bürgerliches Leben überhaupt. Der Staat zieht sich aus seiner Verantwortung für die Sicherheit zurück. Er unterlässt die nötige Unterstützung für diejenigen, die den öffentlichen Raum friedlich und fröhlich nutzen wollen - allein weil es in der jüngeren Vergangenheit zu grässlichen Verbrechen gekommen ist. Das ist ein Offenbarungseid. Man stelle sich nur vor, der Staat würde sich in jenen Ländern genauso verhalten, wo permanent gewaltige terroristische Gefahren lauern. In Israel zum Beispiel könnte praktisch nichts mehr Öffentliches stattfinden.

Man kann nur an die Freie und Hansestadt Hamburg appellieren, sich nochmals mit dem Veranstalter zusammenzusetzen und das Grindelfest doch stattfinden zu lassen. Wenn dies nicht geschieht, wird ein entmutigendes Zeichen der Feigheit gesetzt - gegenüber der rohen Gewalt, aus welchen niederträchtigen Motiven sie auch immer gespeist wird. Es wäre ein miserables Beispiel für viele Kommunen in Deutschland. Viele würden dem "Hamburger Modell" folgen und ihre Straßen und Plätze faktisch zur veranstaltungsfreien Zone erklären. Denn wann können wir schon völlig sicher sein, dass es keinerlei "Restrisiken" von Anschlägen gibt? Es wäre der Beginn des Endes der Freiheit, jedenfalls im öffentlichen Raum.