Die Wahl eines neuen Premierministers im Libanon: Herausforderungen und mögliche Implikationen
Libanons neuer Premier: Erwartungen für die Zukunft
Viel schneller als erwartet, hat der libanesische Präsident einen neuen Premierminister ernannt. Die Bestätigung vom Parlament steht noch aus. Was das für das Land und die gesamte Region bedeutet erklärt Mirna Mneimneh, Mitglied des Future Movement und Präsidentin von AHLN, dem liberalen Netzwerk in der MENA-Region. Das Interview führt Jörg Dehnert, Regionaldirektor der FNF-MENA.
Nach seiner Wahl scheint Präsident Aoun keine Zeit mit seiner Regierungsbildung verlieren zu wollen. Gestern stimmte das libanesische Parlament mit überwältigender Mehrheit für einen neuen Ministerpräsidenten, Nawaf Salam. Was für eine Person ist er, wie ist sein Ruf und wofür steht er?
Mirna Mneimneh: Nawaf Salam, der neu ernannte Ministerpräsident, gehört nicht zur traditionellen politischen Klasse Libanons, steht jedoch dem ehemaligen Ministerpräsidenten und Future Movement-Führer Saad Hariri nahe und teilt dessen Ziele mit den Kräften der März 14-Bewegung. Salam, 71 Jahre alt, war in seiner Jugend linksgerichtet und verfügt über beeindruckende akademische Qualifikationen, darunter ein Doktorat in Politikwissenschaft von der französischen Universität "Sciences Po", ein weiteres Doktorat in Geschichte von der Sorbonne und einen Masterabschluss in Rechtswissenschaften von der Harvard Law School. Er hat umfangreiche Erfahrung, sowohl als Dozent als auch als Libanons Vertreter bei den Vereinten Nationen in den Jahren 2007 bis 2017. Besonders bemerkenswert ist, dass Salam 2019 erstmals von Saad Hariri für das Amt des Ministerpräsidenten nominiert wurde, nicht zuletzt aufgrund seiner sauberen rechtlichen Bilanz, seiner reformorientierten Ansichten und Neutralität. Diese Nominierung war zunächst erfolglos, gewann jedoch nach der Wahl von Präsident Aoun an Fahrt, als sie von westlich unterstützten Gruppen und libanesischen Reformkräften sowie von traditionellen Parteien wie der Libanesischen Kräfte und der Kataeb-Partei unterstützt wurde. Trotzdem lehnten die Hisbollah und die Amal-Bewegung unter Nabih Berri Salam ab und entschieden sich dafür in der Opposition zu bleiben.
Was sind die Hauptprobleme bei der Bildung einer neuen Regierung? Wie lange wird es dauern, Minister zu ernennen und wie läuft der Prozess ab?
Mirna Mneimneh: In der libanesischen Verfassung gibt es keine spezifische Zeitvorgabe für die Bildung der Regierung, was den Prozess erschwert. Der schiitische Teil im libanesischen Parlament, vertreten durch die beiden schiitischen Blöcke, weigerte sich, einen Ministerpräsidenten zu nominieren und verkündete, in der Opposition bleiben zu wollen, was den Regierungsbildungsprozess erheblich verkompliziert. Dies stellt sowohl den Präsidenten als auch den Ministerpräsidenten vor große Herausforderungen, insbesondere aufgrund wegen der fehlenden Kooperation eines wichtigen politischen Teils der libanesischen Gesellschaft. Der Ministerpräsident ist dafür verantwortlich, nicht bindende Konsultationen mit den Abgeordneten hinsichtlich der Ressorts und der Ministervertretung zu führen. Ein weiteres Problem ist die Ministererklärung, die historisch gesehen oft langwierig ist, insbesondere in Bezug auf die Rolle der Hisbollah als Widerstandskraft.
Was sind die größten Herausforderungen für die neue Regierung in den nächsten sechs bis zwölf Monaten?
Mirna Mneimneh: Nachdem die neue Regierung gebildet wurde und das Vertrauen der Abgeordneten erhalten hat, hat sie bis Mai 2026, wenn die Parlamentswahlen stattfinden sollen, mehrere bedeutende Herausforderungen zu bewältigen. Die Regierung wird für die Umsetzung internationaler und lokaler Resolutionen verantwortlich sein, einschließlich der UN-Resolution 1701, und des Waffenstillstandsabkommens zwischen Libanon und Israel. Sie muss mit den Rekonstruktionsbemühungen beginnen, um Vertriebene in ihre Heimat zurückzubringen und die Autorität des Staates über das gesamte libanesische Territorium zu sichern. Weitere Prioritäten sind Verhandlungen mit dem Internationalen Währungsfonds, die Rückgewinnung von Einlagen und die Umsetzung von Reformen, um das Vertrauen in das politische System Libanons wiederherzustellen. Darüber hinaus müssen die Kommunalwahlen sowie die Vorbereitungen für die bevorstehenden Parlamentswahlen durchgeführt werden. Die Regierung wird auch wichtige Ernennungen vornehmen müssen, um eine stabile Verwaltung zu gewährleisten, darunter Ernennungen des Gouverneurs der Zentralbank und des Kommandanten der Armee.
Was könnte die Wahl von Präsident Aoun für die MENA-Region bedeuten?
Mirna Mneimneh: Die Wahl von Präsident Joseph Aoun, die durch internationale, regionale und lokale Vereinbarungen ermöglicht wurde, stellt einen stabilisierenden Faktor sowohl für Libanon als auch für die gesamte MENA-Region dar. In seiner Eröffnungsansprache vor dem libanesischen Parlament betonte Aoun zentrale Prioritäten wie die Umsetzung der Verfassung, die Einhaltung des Taif-Abkommens, den Wiederaufbau von Beziehungen zu regionalen Nationen auf der Grundlage gegenseitigen Respekts und die Förderung des wirtschaftlichen Wohlstands durch internationale Zusammenarbeit. Die Präsidentschaft von Aoun eröffnet eine historische Gelegenheit für einen ernsthaften Dialog mit Syrien, insbesondere in Bezug auf die Grenzziehung und das Schicksal der syrischen Flüchtlinge im Libanon. Aoun hat versprochen, dass Libanon einen Weg der "positiven Neutralität" verfolgen wird und die Priorität auf das Recht des Staates legt, das Tragen von Waffen zu monopolisieren. Diese Entwicklungen könnten zu einem stabileren und friedlicheren Libanon führen, was auch regionale Auswirkungen haben könnte.
Was bedeuten die neuen Entwicklungen für liberale Werte und Ideen?
Mirna Mneimneh: Die neuen Entwicklungen in Libanon haben bedeutende Auswirkungen auf liberale Werte und Ideen, insbesondere im Bereich der Governance, Demokratie und Reformen. Der Fokus auf die Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit, die Umsetzung des Taif-Abkommens und die Bewältigung der libanesischen Wirtschaftskrise bieten die Möglichkeit, liberale Prinzipien wie individuelle Freiheiten, Menschenrechte und politische Pluralität zu stärken. Der Schwerpunkt der Regierung auf Souveränität, Neutralität und der Nicht-Interferenz in regionale Konflikte steht im Einklang mit liberalen Ideen von nationaler Autonomie und Frieden. Allerdings könnten Herausforderungen wie politische Fragmentierung, Sektierertum und der Einfluss nichtstaatlicher Akteure und der Hisbollah die Verwirklichung dieser liberalen Werte behindern. Sollten die Reformen erfolgreich sein, könnte dies den Weg für ein inklusiveres, demokratischeres und transparenteres Libanon ebnen, in dem liberale Werte wie Gleichheit, Gerechtigkeit und wirtschaftliche Freiheit gedeihen können. Der Weg dorthin wird jedoch erhebliche politische und gesellschaftliche Hindernisse überwinden müssen.