AUSSENPOLITIK
Rochade in Rabat, Jubel in Jerusalem
Die Twitter-Nachricht des amerikanischen Präsidenten verbreitete sich letzte Woche wie ein Lauffeuer in Marokko und Israel: „Unsere beiden großartigen Freunde Israel und das Königreich Marokko haben vollen diplomatischen Beziehungen zugestimmt“. Gleichzeitig verkündete Trump, dass die USA die marokkanische Hoheit über die Westsahara anerkennen würden und ergänzte, dass Marokko 1777 der erste Staat gewesen sei, der die USA anerkannt habe.
Riskante Rochade in Rabat
Auf marokkanischer Seite ließ das Königshaus unmittelbar eine Verlautbarung folgen, in der man sich alle Mühe gab, die diplomatischen Erfolge als voneinander unabhängig und nicht als Tauschhandel zu verkaufen. Die Normalisierungen der Beziehungen mit Israel sei vor allem Ausdruck der engen historischer Verbundenheit zwischen Marokko und den Juden.
In der Tat ist die jüdische Kultur stark in Marokko verankert und bis heute sichtbar und allgemein geschätzt. Einer der engsten Berater von König Mohammed VI, André Azoulay, ist Jude; eine für ein arabisches Land einmalige Paarung. Marokko unterhält auch enge wirtschaftliche Beziehungen mit Israel, selbst im sensiblen Bereich der Rüstung. Im Januar dieses Jahres kündigte das Königreich den Kauf israelischer Aufklärungsdrohnen an.
Doch von diplomatischen Beziehungen zu Israel hat Rabat bisher abgesehen, wohl aus gutem Grund. Der König und seine Berater dürften sich bewusst sein, dass Teile der marokkanischen Bevölkerung die Anerkennung Israels als Verrat an den Palästinensern und Bruch der Solidarität zwischen den arabischen Völkern begreifen werden. So beklagte beispielweise die Jugendorganisation einer Mitte-Links-Partei: „Marokko hat seinen Gegnern ein riesiges Geschenk gemacht“. Das Königshaus beeilte sich in seinem Communiqué deshalb klarzustellen, dass die Entscheidung „in keiner Weise etwas an der ständigen und fortdauernden Unterstützung Marokkos für die palästinensische Sache“ ändere.
Ganz offenbar betrachtet das marokkanische Königshaus die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Israel vor allem als einen Preis, den es zu zahlen gilt, um sein vornehmliches außenpolitisches Ziel zu verfolgen: die Anerkennung der Westsahara als marokkanisches Territorium durch möglichst viele und möglichst einflussreiche Staaten.
Durch den Wahlsieg Jo Bidens und der bald endenden Amtszeit Donald Trumps war klar, dass ein solcher Deal nur jetzt zustande kommen könnte. Es erscheint unwahrscheinlich, dass ein zukünftiger Präsident Biden im Widerspruch zu den geltenden Resolutionen der Vereinten Nationen die marokkanischen Ansprüche in der Sahara anerkannt hätte. Insofern hat der marokkanische König die Gelegenheit geschickt zu seinem Vorteil ausgenutzt.
Das Kalkül Rabats scheint bisher aufzugehen. Viele Marokkaner feiern den Schachzug ihrer Regierung in den sozialen Medien. Ein größerer Aufschrei ist trotz einzelner kritischer Stimmen bisher ausgeblieben. Es bleibt abzuwarten, wie die Frente Polisario reagieren wird. Angesichts schwindender politischer und diplomatischer Möglichkeiten, könnte die Befreiungsbewegung in der Westsahara versucht sein, sich erneut militärischer Mittel zu bedienen.
Während Marokko sich also vor allem wegen der US-amerikanischen Anerkennung seiner Gebietsansprüche als Gewinner sehen darf, freut man sich in Jerusalem aus ganz anderen Gründen.
Freude in Jerusalem
Eine Normalisierung der Beziehungen mit Marokko ist für Israel von einer anderen Qualität als die in den Abraham Accords vereinbarte Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten und Bahrain sowie dem noch ungewissen Prozess einer Annäherung an den Sudan.
Wenn mit Marokko nun auch ein großer, zentraler arabischer Akteur Israel anerkennt, dann strahlt das politisch-psychologisch mit großer Wirkungskraft in die Region aus. Die Golfstaaten sind für Israel interessante wirtschaftliche Partner, Marokko aber ist ein besonderes Bindeglied in die sunnitisch-arabische Welt und deren neu entstehender Allianz gegen den Iran, die von den USA und Israel gestützt wird.
Zwischen Marokko und Israel sind ‚wärmere‘ Beziehungen denkbar als diejenigen, die Israel mit Ägypten und Jordanien verbindet. Eine Normalisierung mit Marokko hat, anders als die mit anderen Staaten, in Israeli ein starkes sentimentales Element: Marokkos jüdisch geprägte Kultur und die Hunderttausende Israelis marokkanischer Abstammung (Netanyahu nennt sie eine ‚lebendige Brücke‘ zwischen den Staaten) werden Tourismus und Begegnungen beflügeln und vielerlei neue, auch wirtschaftliche Beziehungen schaffen.
Indem Marokko Israel anerkennt, bricht die Front von Anti-Normalisierung und Boykott Israels endgültig zusammen. Auch wenn der marokkanische König an der Zwei-Staaten-Lösung und dem Recht der palästinensischen Muslime, in Jerusalem ungehindert zu beten, ausdrücklich festhält, haben die Palästinenser das politische Faustpfand verloren, dass eine arabische Anerkennung Israels von der Errichtung eines palästinensischen Staates abhänge. Wenn die Palästinenser nicht ihre absurde innere Spaltung und Politikunfähigkeit überwinden, verlieren sie täglich weitere Teile des historischen palästinensischen Landes. Wobei alle Normalisierung Israels mit den arabischen Staaten keine Lösung des Konfliktes mit den Palästinensern bringt.
Politisch-psychologisch wichtig im Sinne einer israelisch-arabischen Aussöhnung ist dieses Abkommen insofern, als es die in Israels Bevölkerung verankerte Überzeugung erodiert, „die (alle) Araber sind unsere Feinde“.
Die Palästinenser dürfen nicht auf eine Art ‚Arabisierung‘ des israelisch-palästinensischen Konfliktes hoffen, werden die neuen Partner Israels in dieser Frage doch keinen wirklichen Druck ausüben können und wollen. Die faktische, funktionelle Annexion der palästinensischen Gebiete der Westbank schreitet mit neuem Siedlungsbau und dem Ausbau der Infrastruktur für den Zugang zu den jüdischen Siedlungen täglich voran.
Für Premier Netanyahu, der in großer Bedrängnis ist, stellt das Abkommen mit Marokko einen für sein politisches Überleben wichtigen innenpolitischen Erfolg und weiteren Geniestreich dar. Zu seiner Anklage, dem Scheitern seiner Regierungskoalition, wahrscheinlichen Neuwahlen im März 2021, kommt dieser Tage hinzu, dass vormalige Weggefährten ihn innerhalb des rechts-nationalistischen Lagers herausfordern. Ihnen tritt er abermals in staatsmännischer Pose und Größe entgegen.
Es bleibt abzuwarten, wie sich das Machtgefüge im Nahen Osten und Nordafrika unter einem neuen US-Präsidenten entwickeln wird. Die jetzt geschaffenen Tatsachen sind jedoch nicht umkehrbar und werden die Zukunft der Region maßgeblich prägen.