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Israel
Neuer Aufstieg der Liberalen von "Yesh Atid" in Israel

Israel nach den Kommunalwahlen: Eine Analyse
Unterstützer der liberalen Partei Yesh Atid des Oppositionsführers Yair Lapid auf einer Wahlkampfveranstaltung in Jerusalem

Unterstützer der liberalen Partei Yesh Atid des Oppositionsführers Yair Lapid auf einer Wahlkampfveranstaltung in Jerusalem

© picture alliance / AA | Mostafa Alkharouf

Israel hat gewählt. Am Dienstag waren sieben Millionen Israelis berechtigt, Bürgermeister oder Gemeindevorsteher in 197 Stadtverwaltungen und 44 Gemeinderäten zu wählen. Die ersten landesweiten Kommunalwahlen in Israel seit 2018 waren ursprünglich für den 31. Oktober 2023 angesetzt, wurden aber nach dem verheerenden Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober zweimal verschoben. Die Kommunalwahlen standen daher von Beginn an unter besonderen Vorzeichen.

Sicherheit und Krieg: Auswirkungen auf den Wahlprozess

Ganze Gebiete im Norden Israels stehen weiterhin unter Beschuss und die Wahlen in den evakuierten Gebieten in der Nähe des Gazastreifens und der Grenze zum Libanon werden erst in neun Monaten stattfinden. Rund 180.000 Menschen stimmten am Dienstag deshalb gar nicht ab. Wie volatil die Lage an der Nordgrenze ist, zeigte sich am Morgen des Wahltags. Die Terrormiliz Hisbollah feuerte 35 Raketen in Richtung einer israelischen Militärbasis im Norden des Landes ab, die israelischen Luftwaffe reagierte prompt mit Angriffen auf die südlichen Vorstädte Sidons. Dazu kommt: viele Reservistinnen und Reservisten gaben Ihre Stimmen im Kampfgebiet ab. Die israelischen Streitkräfte stellten im Gazastreifen Wahlurnen bereit, damit möglichst viele von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen konnten. Die Auszählung der Wahlkreise dauert deshalb länger als gewöhnlich und mit einem Endergebnis kann erst am Sonntag gerechnet werden.

Yair Lapid spricht Klartext

Yair Lapid spricht Klartext

© FrankNuernberger.de

Dominanz des Themas Sicherheit im Wahlkampf

Auch die Themen des Wahlkampfes waren vom Krieg dominiert. Bis zum Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober konzentrierte sich der Löwenanteil der politischen Aufmerksamkeit auf den radikalen Plan der Netanyahu-Koalition zum Umbau des Justizwesens. Doch der 7. Oktober und der andauernde Krieg veränderten so ziemlich alles. Die wichtigsten Themen für viele Israelis sind heute Sicherheit, der aktuelle Kriegsverlauf und die Situation der Geiseln. Die Kampagnen im Vorfeld der Kommunalwahlen am Dienstag wurden entsprechend angepasst, größere Wahlkampfveranstaltung abgesagt. Auch die israelische Presse berichtete nur sehr sporadisch über die Kommunalwahlen.  

Einblicke in die Wahlbeteiligung und politische Trends

Bei den israelischen Kommunalwahlen haben die Einwohner der Städte und Gemeinden zwei Stimmen, d. h. die Wähler wählen direkt den Bürgermeister und zusätzlich eine Parteiliste für die Sitze im Stadt- oder Gemeinderat. Stimmberechtig sind sowohl israelische Staatsbürger als auch Personen mit ständigem Wohnsitz in Israel, die keine Staatsbürger sind (z. B. Palästinenser aus Ost-Jerusalem). Trotzdem haben die Ostjerusalemer diese Wahlen stets boykottiert, da sie fürchten mit der Stimmabgabe dem israelischen Staat Legitimität in Ostjerusalem zu verleihen. Zwar wird das Endergebnis erst in den kommenden Tagen erwartet, doch bereits heute lassen sich vier Trends ablesen, die Auswirkung auf die nationale Politik haben werden.

Wandel in der politischen Landschaft: Eine Analyse der Ergebnisse

Erstens lassen die vorläufigen Ergebnisse darauf schließen, dass die israelische Bevölkerung trotz Krieg und den verbundenen Unsicherheiten nicht davor zurückschreckt, für einen Wandel zu stimmen. In vielen Wahlkreisen gewannen neue Listen deutlich hinzu und amtierende Bürgermeister mussten ihre Mandate abgeben. Zwar lag die Wahlbeteiligung unterhalb des letzten Urnenganges, doch angesichts der aktuellen Situation ist eine Beteiligung von knapp 50% kein schlechter Wert. Das ist ein positives Zeichen für diejenigen, die für einen Wandel eintreten und darauf hoffen, bei der nächsten Wahl zum Knesset die aktuelle Regierung ablösen zu können.

Verschiebungen im liberalen Lager und der Aufstieg von Yesh Atid

Zweitens kam es im liberalen Lager zu größeren Verschiebungen. Die großen Gewinner der Kommunalwahlen im liberalen Lager sind die Partnerpartei der Friedrich-Naumann-Stiftung „Yesh Atid“ und die neue Wahlliste „New Contract“. Yesh Atid und „New Contract“ investierten viel Zeit und Geld, um wichtige Gemeinden zu übernehmen und die Vorherrschaft des Likud selbst in ihren Hochburgen herauszufordern. Das hat sich ausgezahlt. Yesh Atid wird einige neue Bürgermeister stellen und konnte in vielen Gemeinderäten deutliche Zugewinne verzeichnen. In Tel Aviv, zum Beispiel, könnte Yesh Atid zukünftig sogar die größte Fraktion im Stadtrat stellen. Der Erfolg der neuen Liste „New Contract“, die sich vor allem aus traditionellen Wählerinnen und Wähler von der Arbeiterpartei und Meretz rekrutieren, ist ein Fingerzeig für die Zukunft des linksliberalen Lagers in Israel. Nach dem Erfolg vom „New Contract“ wird ein Zusammenschluss der beiden traditionellen linken Parteien für die Wahlen auf der nationalen Ebene wahrscheinlicher.

Netanyahu celebrating with his supporters
© picture alliance/dpa | Ilia Yefimovich

Veränderungen im rechten Lager und das Likud-Dilemma

Drittens ist es auch im rechten Lager in Israel zu Verschiebungen gekommen. Zwar konnten viele Likud-Bürgermeister ihre Mandate verteidigen, doch die Erfolge sind weniger wegen der Likud-Verbindung als trotz der Verbindung zur Partei zu Stande gekommen. Viele Kandidaten distanzierten sich bewusst von der Regierungspartei. Der sonst begnadete Wahlkämpfer Netanjahu vermied Wahlkampfveranstaltungen wie die Pest, was auch daran liegen mag, dass keiner der Kandidaten mit dem zutiefst unpopulären Premierminister in Verbindung gebracht werden möchte. Selbst die loyalsten Likudniks wissen, dass Netanjahu im Moment kein Stimmenmagnet ist. Gleichzeitig stellte der Likud in vier Wahlkreisen gemeinsame Listen mit der rechtsnationalen Partei von Itamar Ben-Gvir auf. Viele Beobachter sehen darin einen neuen Tiefpunkt für eine Partei, die sich immer weiter nach rechts bewegt.

Traditionelle Allianzen und deren Bruch in den ultra-orthodoxen Parteien

Viertens haben die ultra-orthodoxen Parteien im Vorfeld der Wahlen ihre traditionellen Allianzen aufgekündigt, was zu interessanten Ergebnissen führte. Die treibende Kraft hinter diesen Parteien sind drei nationale Parteien: Schas (Mizrachim - aus Nordafrika und Nahost stammende Juden), Fahne der Tora (aschkenasisch - aus Europa und Amerika stammende Juden) und Israelische Union (aschkenasisch). Jahrelang haben diese drei ihre Kampagnen in gemischten Städten koordiniert, während sie in den ultra-orthodoxen Städten vor den Wahlen Absprachen getroffen haben. In Bnei Brak beispielsweise wechselten die Bürgermeister alle fünf Jahre zwischen den beiden aschkenasischen Parteien, ohne dass es zu einem wirklichen Wahlkampf kam. Diesmal forderte Schas die beiden anderen Parteien in allen Hochburgen der Ultra-Orthodoxen heraus und das mit Erfolg. In den ultra-orthodoxen Städten führte die Aufkündigung der Allianz zu unverhofften Erfolgen der politischen Mitbewerber. Ein Beispiel dafür ist Beit Shemesh, wo die derzeitige Bürgermeisterin an der Macht bleiben könnte, obwohl sie nicht von der ultra-orthodoxen Mehrheit unterstützt wurde, da sich die Stimmen auf zwei ultra-orthodoxe Kandidaten verteilten. Nichtsdestotrotz blieben die ultra-orthodoxen Parteien stark und in Jerusalem können diese Parteien sogar auf eine absolute Mehrheit im Stadtrat hoffen.

Schlussfolgerung und Ausblick: Was bedeuten die Kommunalwahlen für Israel?

Die Kommunalwahlen waren ein erster Stimmungstest für die politische Stimmung in Israel. Die Ergebnisse lassen sich zwar nur bedingt auf die nationale Ebene übertragen, haben aber trotzdem aufgezeigt, in welche Richtung sich das Land nach dem 7. Oktober entwickelt. Während das liberale Lager gestärkt aus dem Urnengang geht und bei den linken Parteien eine Konsolidierung bevorstehen dürfte, bewegt sich das rechte und konservative Lager in Israel immer weiter nach rechts, eine Entwicklung, die viele Menschen mit Sorge betrachten. Letztlich darf aber nicht außer Acht bleiben: Dass in fast allen Bezirken überhaupt Kommunalwahlen stattfanden, ist an sich schon eine Errungenschaft für die israelische Demokratie in Zeiten des Krieges.