Nordkorea
Kim Jong Un gibt Ziel einer friedlichen Wiedervereinigung auf
Der Machthaber schickt zum Jahreswechsel aggressive Warnungen an Südkorea und an die Vereinigten Staaten. An einem Dialog mit den liberalen Demokratien scheint er kaum noch interessiert. Dies markiert einen drastischen Bruch mit der jahrzehntelangen Staatsdoktrin und beunruhigt Südkorea. Stattdessen wendet sich Nordkorea weiter Russland zu. Die Spannungen auf der koreanischen Halbinsel erreichen damit einen neuen Höhepunkt.
Aggressive Töne ist man vom nordkoreanischen Staatschef Kim Jong Un gewohnt. Auch seine Rede vor Silvester steckte voller Drohgebärden: Sollten die USA und Südkorea die Konfrontation suchen, würden Nordkoreas Armeen “ihnen einen tödlichen Schlag versetzen, um sie gründlich zu vernichten”, sagte er laut Agenturberichten nach der Jahresendsitzung des Zentralkomitees der Arbeiterpartei.
Damit hat Kim Jong Un seine Rhetorik im Vergleich zu früheren Reden zum Jahreswechsel noch einmal verschärft. In seiner jüngsten Rede steckte zudem eine überraschende Ankündigung, welche die Drohungen noch ernster erscheinen lässt: Nordkorea werde das Ziel einer Wiedervereinigung nicht weiter mit dem Süden diskutieren.
“Wir sollten nicht wieder den Fehler machen, sie als Gegenspieler für Versöhnung und Vereinigung zu sehen, da Südkorea uns zu seinem Hauptfeind erklärt hat", sagte Kim laut Agenturberichten. Zudem: "Die Beziehungen zwischen Süd- und Nordkorea sind nicht mehr die Beziehungen zwischen Menschen der gleichen Nation.”
Nachdem die Besatzungsmächte USA und Sowjetunion separate Wahlen abhalten ließen, sind Nord- und Südkorea seit 1948 getrennte Staaten. Der Bürgerkrieg zwischen 1950 und 1953 endete mit einem Waffenstillstandsabkommen, aber ohne Friedensvertrag. Offiziell erkannten beide Staaten die Souveränität des anderen nie an. Stattdessen betonten beide Staaten stets, dass sie über Verhandlungen ein vereinigtes Korea erreichen wollten.
Doch dies gilt mit Kims jüngsten Aussagen nicht mehr. Statt von einer friedlichen Vereinigung sprach Kim nun davon, dass das nordkoreanische Militär sich darauf vorbereiten muss, Südkorea im Falle eines Krieges zu unterwerfen, notfalls auch mithilfe von Atomwaffen.
Es gibt seit Monaten aber ohnehin keine direkte Kommunikation mehr zwischen den beiden Staaten und auch in den Jahren zuvor spielte eine Wiedervereinigung in den Gesprächen keine Rolle. Kims Rede ist damit eher die formale Anerkennung des Status Quo.
Dennoch sind Kims Aussagen bezüglich der Wiedervereinigung bemerkenswert. Der Machthaber beendet damit eine jahrzehntelange Staatsdoktrin. Er bricht zudem mit dem Traum seines Großvaters, Kim Il Sung, und seines Vaters, Kim Jong Il. Seine Vorfahren verfolgten noch die Vision, dass man die Südkoreaner von der Überlegenheit des nordkoreanischen Systems überzeugen könne, um so ein vereintes Korea zu erreichen.
In Südkorea löst Kims Ankündigung Besorgnis aus. Die Befürchtung: Gelten die Südkoreaner nicht mehr als Landsleute, ist es für Nordkoreas Führung einfacher, einen Atomwaffeneinsatz gegen den Süden moralisch gegenüber der eigenen Bevölkerung zu rechtfertigen.
Spannungen nehmen zu
Südkorea wird trotz der aggressiven Rede Kims formal am Ziel einer Wiedervereinigung festhalten. Das Ziel eines vereinten Koreas ist fest in der Verfassung verankert. Doch auch die Dialogbereitschaft der südkoreanischen Regierung war zuletzt begrenzt. Der amtierende konservative Präsident Yoon Suk Yeol setzt vor allem auf Härte und Abschreckung gegenüber dem Norden. Kims aggressive Rede wird diese Haltung nicht ändern.
Kim kann derzeit selbstbewusst auftreten. Der Versuch der USA und Südkoreas, Nordkorea international zu isolieren, ist spätestens mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine gescheitert. Bei seiner verzweifelten Suche nach Munition ist Russlands Präsident Wladimir Putin in Nordkorea fündig geworden. In südkoreanischen und amerikanischen Sicherheitskreisen geht man davon aus, dass Nordkorea hunderttausende Artillerie-Granaten nach Russland geliefert hat - und als Gegenleistung russische Technologie erhält.
Auch in seiner Rede zum Jahreswechsel kündigte Kim an, die Freundschaften mit anti-imperialistischen Staaten weiter zu stärken. Zwar nannte er Russland nicht beim Namen, doch dürfte er das Land zweifellos dazuzählen. Bei einem Treffen im September bezeichneten Putin und Kim sich als anti-imperialistische Front.
Die Spannungen auf der koreanischen Halbinsel dürften im neuen Jahr damit weiter zunehmen. Militärische Zwischenfälle wegen Missverständnissen oder bewusster nordkoreanischer Provokationen sind so wahrscheinlich wie lange nicht mehr. Nach dem Start eines nordkoreanischen Spionagesatelliten im November haben beide Staaten wieder Truppen in direkter Grenznähe zusammengezogen. Für dieses Jahr kündigte Kim drei weitere Starts an.
Frederic Spohr leitet das Büro der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Seoul.