Nordkorea
Kim Jong Un macht Denkmal platt
Im Gegensatz zu den Visionen seines Großvaters, Kim Il Sung, und seines Vaters, Kim Jong Il, hat Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un in der Jahresendsitzung des Zentralkomitees der Arbeiterpartei einen bedenklichen Kurswechsel vollzogen. Nun betrachtet Kim Jong Un Südkorea und dessen Gesellschaft als Feinde, begleitet von einer verstärkten Verbreitung martialischer Propaganda und einer neuen Medienausrichtung. Jegliche Schritte in Richtung Wiedervereinigung scheinen nun ausgeschlossen zu sein. Die neue Staatsdoktrin dürfte auf der koreanischen Halbinsel zu wachsenden Spannungen führen. Frederic Spohr, der Leiter des Korea-Büros der Friedrich Naumann Stiftung für die Freiheit in Seoul, kommentiert die neue Lage auf der koreanischen Halbinsel in einem Gastbeitrag für FOCUS.
Wer das Zentrum von Nordkoreas Hauptstadt Pjöngjang Richtung Südkorea verlässt, durchquerte bis vor wenigen Tagen einen gewaltigen Bogen. Mehr als 60 Meter breit erstreckte sich das Denkmal über eine Autobahn. Der sogenannte Wiedervereinigungsbogen bestand aus zwei riesigen Frauenstatuen. Sie symbolisierten die beiden Koreas und hoben eine Karte der koreanischen Halbinsel auf einer Tafel empor.
Doch nun existiert der monumentale Bogen nicht mehr. Das Denkmal war in den Augen des nordkoreanischen Machthabers Kim Jong Un zu einem „Schandfleck“ geworden, wie Kim bei einer Rede vor der Obersten Volksversammlung Mitte Januar sagte. Satellitenfotos zeigen, dass das Bauwerk beseitigt wurde .
Kim Jong Un vollzieht gefährlichen Kurswechsel
Kurz vor dem Jahreswechsel hatte Kim die Weltöffentlichkeit mit einer richtungsweisenden Ankündigung überrascht. Künftig werde Nordkorea keine Gespräche über eine friedliche Wiedervereinigung mehr anstreben, sagte er in einer Rede nach der Jahresendsitzung des Zentralkomitees der Arbeiterpartei. Stattdessen erklärte er Südkoreas Regierung und Gesellschaft zu Feinden.
Zwar haben beide Staaten ohnehin schon seit Jahren nicht mehr über mögliche Schritte in Richtung einer Wiedervereinigung verhandelt. Dennoch hat die Ankündigung erhebliche Konsequenzen: Sie dürfte die Spannungen zwischen den beiden Staaten weiter erhöhen, die Entfremdung verstärken und eine Deeskalation des Konflikts erschweren.
Mit dem neuen Kurs beendete der Machthaber eine jahrzehntelange Staatsdoktrin. Bei aller Feindschaft zwischen den Staaten, die auch immer wieder zu militärischen Zusammenstößen führte, sahen sich doch beide Staaten offiziell als eine Nation an - die später einmal wieder friedlich zusammenwachsen sollte. Mit seinen jüngsten Äußerungen lässt Kim den Traum seines Großvaters, Kim Il Sung, und seines Vaters, Kim Jong Il, platzen. Letzterer hatte einst den monumentalen Wiedervereinigungsbogen errichten lassen.
Nordkorea: Neue martialische Propaganda
Die Beseitigung des Wiedervereinigungsbogens ist nur ein Teil einer breit angelegten neuen Propaganda-Ausrichtung des Regimes. Auf Karten im Hintergrund von nordkoreanischen Nachrichtensendungen ist nun eine Grenze zwischen Süd- und Nordkorea auszumachen - und nicht mehr eine ungeteilte koreanische Halbinsel. Nordkoreanische Medien, die sich speziell an den Süden richteten oder hauptsächlich über inter-koreanische Angelegenheiten berichteten, wurden eingestellt.
Zudem hat Kim Jong Un seine Rhetorik noch einmal verschärft. Mehrfach sprach er davon, Südkorea im Falle eines Krieges zu „unterwerfen“. Ein neues Propaganda-Plakat zeigt zudem einen nordkoreanischen Panzer, der einen Amerikaner und einen Südamerikaner überrollt. Zuletzt veröffentlichte Nordkorea laut dem Fachportal NKPro 2018 derartig martialische Propaganda.
Die Sorge in Südkorea: Indem Kim die Südkoreaner als fremde Nation bezeichnet, könnte er ein martialisches Vorgehen gegen die dortige Zivilbevölkerung rechtfertigen. Die Drohungen mit dem Einsatz von Atomwaffen erscheinen nun glaubwürdiger – schließlich würde sie Kim laut der neuen Definition nicht mehr gegen die eigenen Landsleute verwenden, sondern gegen die Feinde. Auch dass Kim den aktuellen defacto-Grenzverlauf zwischen Nord- und Südkorea im Gelben Meer in Frage stellte , ließ Experten aufhorchen.
„Kim Jong Un hat die strategische Entscheidung getroffen, in den Krieg zu ziehen“
Angesichts der jüngsten Eskalation warnen zwei renommierte Nordkorea-Beobachter vor einer Invasion. „Kim Jong Un hat die strategische Entscheidung getroffen, in den Krieg zu ziehen“, schrieben die Nordkorea-Experten Robert L. Carlin und Siegfried S. Hecker in einem Aufsatz für die Plattform 38North . Beide sind keine Unbekannten in der Szene. Carlin führte einst als hochrangiger Beamter im US-Außenministerium Verhandlungen mit den Nordkoreanern.
Noch sind die beiden Experten in der Minderheit. Wahrscheinlicher ist, dass Kim die Spannungen eskalieren lassen will, um mit Hilfe eines Feindbildes die Reihen hinter sich zu schließen. Zudem untermauert Kim mit der Eskalationsrhetorik seine Entschlossenheit, Nordkoreas Raketen- und Atomprogramm ungeachtet der internationalen Kritik voranzutreiben.
Dass Kim Jong Un tatsächlich Krieg will, gilt als unwahrscheinlich. Der Konflikt würde wohl das Ende seines Regimes bedeuten. Und noch ein Argumentspricht gegen Krieg. Laut amerikanischen und südkoreanischen Geheimdiensten hat Nordkorea Russland für seinen illegalen Angriffskrieg gegen die Ukraine sehr viel Munition geliefert - so handelt kein Staat, der sich auf einen Krieg vorbereitet.
Frederic Spohr leitet das Büro der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Seoul.
Dieser Artikel erschien erstmals am 1. Februar 2024 bei FOCUS Online.