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Südkorea
“Yoon wollte Südkoreas Demokratie massiv beschneiden”

Interview mit Frederic Spohr, Leiter des Stiftungsbüros in Seoul, über die Situation in Südkorea
Der südkoreanische Präsident Yoon Suk Yeol spricht im Präsidialamt in Seoul, Südkorea

Der südkoreanische Präsident Yoon Suk Yeol spricht im Präsidialamt in Seoul, Südkorea.

© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Uncredite

Nach der kurzzeitigen Ausrufung des Kriegsrechts durch Südkoreas Präsident Yoon Suk Yeol steckt das Land in einer tiefen politischen Krise. Am Samstag könnte erneut ein Amtsenthebungsverfahren gegen den Präsidenten eingeleitet werden. Yoon meldete sich mit einer kämpferischen Ansprache zu Wort und verteidigte die Ausrufung des Kriegsrechts.

Freiheit.org sprach mit Frederic Spohr, Leiter des Stiftungsbüros in Seoul, über die Situation im Land.

FNF: Wie wahrscheinlich ist es, dass die notwendige Zweidrittelmehrheit für die Amtsenthebung am Samstag zustande kommt?

Frederic Spohr: Der Druck auf die konservativen Abgeordneten wächst. Sogar Parteichef Han Dong Hoon spricht sich inzwischen für eine Amtsenthebung aus. Mehrere Abgeordnete haben angekündigt, diesmal für ein Impeachment zu stimmen. Es ist also gut möglich, dass die nötigen Stimmen für die Zweidrittelmehrheit zusammenkommen.

Was würde dann folgen?

Sobald das Parlament das Amtsenthebungsverfahren eingeleitet hat, übernimmt der amtierende Regierungschef Han Duck Soo kommissarisch die Amtsgeschäfte des Präsidenten. Danach muss das Verfassungsgericht innerhalb von sechs Monaten über die Amtsenthebung entscheiden. Derzeit sind allerdings nur sechs von eigentlich neun Verfassungsrichtern im Amt, da sich Oppositions- und Regierungspartei nicht auf eine Nachbesetzung einigen konnten. Es wird diskutiert, ob das Verfassungsgericht mit nur sechs Richtern überhaupt über eine Amtsenthebung entscheiden kann. Sollte es bei nur sechs Richtern bleiben, müssten diese einstimmig entscheiden.

Warum haben sich fast alle Abgeordneten von Yoons konservativer Partei nicht an der Parlamentsabstimmung am vergangenen Samstag beteiligt?

Es ist sehr enttäuschend, dass fast alle Abgeordneten der Regierungspartei die Abstimmung boykottiert haben. Nur ein Abgeordneter hat teilgenommen – und gegen eine Amtsenthebung gestimmt. Die Situation ist für die konservative Partei schwierig. Sollte Yoon des Amtes enthoben werden, wäre es das zweite Mal hintereinander, dass ein Präsident aus ihren Reihen auf diese Weise entmachtet wird. Koreanische Parteien sind sehr hierarchisch organisiert und der Druck von oben ist enorm. Abgeordnete fürchten, als Verräter zu gelten, wenn sie gegen ihren eigenen Präsidenten stimmen. Viele hofften wohl darauf, dass Yoon freiwillig zurücktritt. Diese Hoffnung hat sich nicht erfüllt.

Was wird nun geschehen?

Der Druck auf Yoon wird weiter zunehmen. Die Menschen werden weiterhin auf die Straße gehen, bis Yoon sein Amt aufgibt oder entmachtet wird. Aktuell sind etwa drei Viertel aller Südkoreaner für eine Amtsenthebung. Gleichzeitig hat Yoon einen harten Kern von Unterstützern, die etwa 20 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Diese wird er versuchen zu mobilisieren, etwa durch Gegendemonstrationen. Seine Rede am heutigen Donnerstag zielte genau auf diese Gruppe ab, als er die Ausrufung des Kriegsrechts verteidigte.

Demonstranten marschieren nach einer Kundgebung, bei der die Amtsenthebung des südkoreanischen Präsidenten Yoon Suk Yeol gefordert wurde, zum Präsidialamt in Seoul, Südkorea,

Demonstranten marschieren nach einer Kundgebung, bei der die Amtsenthebung des südkoreanischen Präsidenten Yoon Suk Yeol gefordert wurde, zum Präsidialamt in Seoul, Südkorea.

© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Ahn Young-joon

Es laufen mittlerweile zahlreiche Ermittlungen. Gegen ranghohe Militärs, Polizisten und Politiker gibt es Verfahren – selbst gegen den Präsidenten.

Gegen Yoon wird wegen Hochverrates ermittelt. Er darf deswegen das Land nicht verlassen. Die präsidentielle Immunität greift in einem Fall von Hochverrat nicht. Es ist nicht auszuschließen, dass er verhaftet wird. Auch der zurückgetretene Verteidigungsminister Kim Yong-Hyun wurde verhaftet. Ihm wird vorgeworfen, sich mit Yoon verschworen zu haben, um einen Aufstand zu organisieren und die Verfassung zu untergraben.

Wie rechtfertigt Yoon die Ausrufung des Kriegsrechts?

In seiner TV-Ansprache am Donnerstag sagte Yoon, dass er der Opposition eine Warnung erteilen wollte und ja nur 300 Soldaten eingesetzt worden seien. Zudem bezog er sich auf angebliche “anti-staatliche Aktivitäten” und eine scheinbare Kooperation zwischen der Opposition und Nordkorea. Das ist eine antikommunistische Rhetorik, die bei einem Teil der Bevölkerung noch zieht, aber wenig Substanz hat. Er behauptete auch, einen möglichen Wahlbetrug bei den Parlamentswahlen im Frühjahr aufdecken zu wollen. Das erklärt, warum er in der Kriegsrecht-Nacht Soldaten zur Wahlkommission geschickt hat. Konkrete Hinweise auf Wahlbetrug gibt es jedoch nicht.

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Menschen, die sich vor dem Gebäude der Nationalversammlung versammelt haben, protestieren nach der Verhängung des Kriegsrechts in Seoul, Südkorea, am 04. Dezember 2024

In Südkorea galt sechs Stunden das Kriegsrecht. Wegen des starken Widerstands nahm Präsident Yoon Suk Yeol die Maßnahme zurück. Freiheit.org sprach mit Frederic Spohr über die politische Lage in Seoul.

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Wie ist die TV-Ansprache zu bewerten?

Yoon versucht, die Angelegenheit herunterzuspielen, um dem schwerwiegenden Vorwurf des Hochverrats entgegenzutreten. Gleichzeitig ist seine Argumentation inkonsistent: Einerseits spricht er von einer existenziellen Bedrohung des Staates, andererseits wollte er bloß eine „Warnung“ erteilen. Details, die mittlerweile ans Licht gekommen sind, deuten jedenfalls darauf hin, dass Yoon Südkoreas Demokratie und Grundrechte massiv beschneiden wollte.

Welche weiteren Details sind mittlerweile bekannt?

Yoon hat, laut dem Vize-Geheimdienstchef, den Befehl erteilt, den Vorsitzenden und weitere wichtige Politiker der Oppositionspartei festzunehmen. Selbst der Vorsitzende der eigenen Partei, Han Dong Hoon, stand auf der Verhaftungsliste. Ein ranghoher Offizier gab an, dass er vor der Erklärung des Kriegsrechts gefragt wurde, ob es in Seoul unterirdische Bunker gebe, in denen festgenommene Politiker untergebracht werden könnten.

Präsident Yoon nahm das Kriegsrecht nach sechs Stunden zurück, nachdem eine Mehrheit im Parlament sich dagegen ausgesprochen hatte. Wie kam es dazu?

Er wollte diese Abstimmung offenbar gezielt verhindern. Ein Kommandeur der Spezialkräfte sagte bei einer Parlamentsanhörung aus, dass Yoon ihn angewiesen habe, „Abgeordnete aus dem Parlament zu schleifen, damit diese nicht an der Abstimmung teilnehmen können“. Der Kommandeur weigerte sich, diesen Befehl auszuführen. Mehrere Soldaten und Sicherheitskräfte verweigerten in der Nacht Befehle oder führten sie nur zögerlich aus. Viele hatten wohl Zweifel an der Legalität und Sinnhaftigkeit der Ausrufung des Kriegsrechts.

Wie hat Nordkorea reagiert?

Erst eine Woche nach den Ereignissen berichteten nordkoreanische Staatsmedien darüber. „Das Marionettenregime von Yoon Suk Yeol, das plötzlich das Kriegsrecht verkündete und ohne Zögern die Waffen und Messer seiner faschistischen Diktatur einsetzte, verursachte Chaos in ganz Südkorea,“ schrieb die Korean Central News Agency (KCNA) am Mittwoch. Die nordkoreanische Zeitung Rodong Sinmun zeigte Bilder von Massenprotesten, jedoch keine Aufnahmen der südkoreanischen Bürger, die bewaffnete Soldaten aus dem Parlament drängten. Es besteht offenbar die Sorge, dass solche Bilder die eigene Bevölkerung zum Widerstand ermutigen könnten.

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Florian von Hennet
Florian von Hennet
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