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Pakistan
Katastropenhilfe für die Flutopfer in Pakistan – eine zweite humanitäre Tragödie bahnt sich an

Pakistan Überschwemmungen

In den vor allem ländlich geprägten Gebieten wurden rund 30 Mio. Menschen Opfer der Überschwemmungen, ca. 1.700 Todesopfer sind bisher zu beklagen

© picture alliance / ZUMAPRESS.com | PPI

Nach der Hitzewelle im Frühjahr wurde Pakistan von Mitte Juni bis Ende August von sintflutartigen Regenfällen in der Monsun-Zeit heimgesucht. Ganze Landstriche in den Provinzen Beluchistan, Sindh und im südlichen Punjab wurden seit Mitte Juni überflutet. Im Landesinneren, wo sich normalerweise trockene Gebiete ausdehnen, entstand ein riesiger Binnensee, der zum Teil bis jetzt noch nicht abgeflossen ist. In den vor allem ländlich geprägten Gebieten wurden rund 30 Mio. Menschen Opfer der Überschwemmungen, ca. 1.700 Todesopfer sind bisher zu beklagen. Durch die Wassermassen verloren rund 10 Mio. ihre Heimat. Das ist die größte Anzahl von Binnenflüchtlingen seit der Unabhängigkeit Pakistans nach der Teilung Britisch Indiens im Jahr 1947.

Krisenüberlagerung

Der Wasser-Katastrophe folgt nun die zweite humanitäre Katastrophe. Die Monsun-Zeit ist immer auch Malaria- und Dengue-Saison. Die diesjährige extrem lange und regenreiche Monsun-Zeit hat inzwischen im ganzen Land zu einer starken Dengue-Welle geführt. Krankenhäuser im ganzen Land haben bereits spezielle Dengue-Fieber-Stationen eingerichtet. Für die obdachlosen Flutopfer, die sich gegen die Malaria- und Dengue-Mücken nicht schützen können, wird das zu einer zusätzlichen Gefahr neben Unterernährung, mangelndem Zugang zu sauberem Trinkwasser und den Gesundheitsrisiken, die mit schlechten hygienischen und sanitären Verhältnissen einhergehen wie Durchfall, Typhus und Cholera. Frauen, Mütter und Kinder sind am stärksten von dieser zweiten humanitären Katastrophe betroffen.

Pakistan ist schon zu normalen Zeiten kaum in der Lage, die Ernährungssicherheit und Gesundheitsversorgung seiner ständig wachsenden Bevölkerung sicherzustellen. Eine Flutkatastrophe diesen Ausmasses überfordert das Land vollständig, zumal sich Pakistan gerade in einer politischen und wirtschaftlichen Krise befindet. Im Juli kam das Land nur knapp an einem Staatsbankrott vorbei, als es in letzter Minute einen IWF-Kredit erhielt. Pakistan ist deshalb dringend auf internationale Hilfe angewiesen.

Wie groß ist die Verantwortung der Industrienationen

Am 30. August rief Premierminister Shabaz Sharif deshalb den nationalen Notstand aus und bat die internationale Gemeinschaft um Hilfe. Am Rande der UN-Vollversammlung im September traf er mit verschiedenen Staats- und Regierungschefs der Industrieländer zusammen, um für finanzielle Unterstützung zu werben. Am 29. September sagte Shabaz Sharif anlässlich eines Festaktes zum 75. jährigen Bestehen des Landes in der US-Botschaft Islamabad: „Pakistan hat in der Vergangenheit erhebliche finanzielle Unterstützung von den USA erhalten, die nicht immer sinnvoll ausgegeben wurde. Doch das gehört der Vergangenheit an. Jetzt sind wir vom Klimawandel betroffen, den wir nicht verursacht haben.“ Der Klimawandel durch Treibhausemissionen wurde maßgeblich in den Industrieländern verursacht. Deshalb seien sie nun auch für die Behebung der daraus entstehenden Probleme verantwortlich. Diese Auffassung hört man sehr oft in Pakistan, nicht nur von Premier Shabaz Sharif. In Tageszeitungen und sozialen Medien konnte man im August ganz offen die Aufforderung lesen, dass man dem Globalen Norden große Schuldgefühle einreden müsse, um möglichst hohe finanzielle Unterstützung zu erhalten. Doch auch in den Geberländern sind die finanziellen Möglichkeiten bedingt durch die internationale Energiekrise und die hohe Inflation beschränkt. Zwar gibt es inzwischen vonseiten der UNO, EU und der Industrieländer Finanzzusagen und technische Hilfe, diese liegt aber unter den Hilfsangeboten, die z.B. nach der Flutkatastrophe im Jahr 2010 gemacht wurden, als ein Viertel des Landes im Wasser versank.

Die Umweltaktivistin und Journalistin Afia Salam hat eine differenziertere Sicht der Dinge. Auf einer Podiumsveranstaltung der Friedrich-Naumann-Stiftung zum Thema Wassermanagement am 23. August in Lahore sagte sie, dass man die Folgen des Klimawandels klar von hausgemachten Problemen trennen müsse. Zwar sei der starke und verfrühte Monsun sicherlich eine Folge des Klimawandels, allerdings seien die schweren Folgen der Flut mindestens ebenso sehr auf Missmanagement vor Ort zurückzuführen wie z.B. massive Abholzungen in den Wäldern des Nordens, illegale Bebaung von flussnahen Gebieten, mangelnde oder gänzlich fehlende Stadt- und Raumplanung. Afia Salam kritisierte weiterhin das schlechte Katastrophenmanagement der Behörden. Bereits im Frühjahr, so die Umweltjournalistin, hätten Metereologen vor einem starken und verfrühten Monsun gewarnt. Trotzdem trafen die starken Regenfälle die lokalen und Provinzbehörden gänzlich unvorbereitet.

Hürden für die Zivilgesellschaft

Mit ihren Vorbehalten gegenüber dem staatlichen Krisenmanagement steht Afia Salam nicht allein. Spendenwillige und humanitäre Organisationen fragen sich gleichermaßen, wie man den Flutopfern am besten helfen kann und sicherstellt, dass die Gelder auch tatsächlich effektiv bei den Opfern ankommen. Freiwillige lokale Helfer, die schon an den Hilfsaktionen in der Flut von 2010 beteiligt waren, stellen fest, dass es diesmal weniger Hilfe zivilgesellschaftlicher Organisationen gibt als damals. Der Grund liegt darin, dass die pakistanische Regierung seit 2016 ihre Politik gegenüber zivilgesellschaftlichen Organisationen verschärft hat und jetzt kompliziertere Registrierungs- und Verwaltungsvorschriften macht. Das hat dazu geführt, dass viele internationale, aber auch nationale Organisationen nicht mehr vor Ort aktiv sind und jetzt diese humanitäre Infrastruktur bitter fehlt, so die Beobachtungen.

Trotzdem gibt es zahlreiche humanitäre Hilfsaktionen, die von engagierten Menschen vor Ort durchgeführt werden. Spendenaktionen, die zu Geld oder Sachspenden aufrufen, gibt es in allen größeren Städten des Landes. Doch die Menschen sind vorsichtig, wem sie ihre Spenden anvertrauen. Zu groß sind die Vorbehalte gegenüber finanziellem Missmanagement, wie es in der Vergangenheit immer wieder vorgekommen ist.

Kreatives Empowerment

Die Friedrich-Naumann-Stiftung in Pakistan beteiligte sich am 2. Oktober in Karachi am Kulturfestival „Coming Together“, auf dem Künstler und Musiker aus den Flutgebieten kostenlos auftraten, um für Unterstützung der Flutopfer in der Provinz Sindh zu werben. Die Einnahmen aus dem Ticket-Verkauf werden von den Organisatoren gut organisierten Hilfsorganisationen zur Verfügung gestellt. Die Finanzen werden transparent veröffentlicht. FNF unterstützte das Festival mit der Organisation einer Existenzgründer-Messe, bei der Unternehmerinnen aus dem WiSE (Women in Sustainable Entrepreneurship) –Trainingsprogramm, das die Stiftung gemeinsam mit ihrem Partner Stimulus (https://stimulusorg.com/ ) durchführt, ihre Produkte vorstellen und verkaufen konnten. Die Stiftung legte besonderen Wert darauf, dass die teilnehmenden Unternehmerinnen nachhaltige und ökologische Geschäftsideen präsentierten, die innovative Ideen zur Bekämpfung des Klimawandels umsetzen. Dazu gehörten nachhaltig produzierte Textilien, Kosmetik und Kinderspielzeug, aber auch technische Produkte, die die Effizienz und den Stromverbrauch technischer Geräte und industrieller Maschinen messen, sowie nanotechnische Oberflächenversiegelungen, die Wetterkorosion verhindern.

Birgit Lamm ist Büroleiterin der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Pakistan.