Foto 
  Karl-Heinz
 
  Paqué
Eine Kolumne von Karl-Heinz Paqué

Politischer Diskurs
Die Hybris der Hedwig Richter

Grün-geneigte Intellektuelle sollten nachdenklicher argumentieren. Sonst helfen sie, die Gesellschaft zu spalten.
'Die Geschichte vom Suppen-Kaspar

Der Suppenkasper.

© picture alliance / akg-images | akg-images

Hedwig Richter, Professorin für Geschichte an der Universität der Bundeswehr in München, hat ein grün orientiertes Weltbild. Das ist völlig legitim. Gleichzeitig beklagt sie den Zustand unserer Demokratie. Auch das ist völlig legitim. Wir leben ja tatsächlich in einer gespaltenen Gesellschaft, in der die Verständigung von Menschen aus unterschiedlichen weltanschaulichen Blasen recht schwierig geworden ist.

Es erstaunt dann allerdings umso mehr, wenn man ihren Beitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) zur aktuellen Auseinandersetzung zwischen FDP und Grünen in der Ampelkoalition liest. Da werden die Freien Demokraten rundheraus als Partei der „Suppenkasper“ bezeichnet, also jener Figur, die in der Erzählung von Heinrich Hofmann immer nur dumm und grundlos herumschreit: „Ich esse keine Suppe! Nein! Ich esse meine Suppe nicht. Nein, meine Suppe ess‘ ich nicht.“ Und das vier Tage lang. Am fünften Tag ist der Suppenkasper tot – verhungert, so jedenfalls im Struwwelpeter.

Adressat des Bildes vom Suppenkasper ist übrigens ganz konkret Volker Wissing, der Bundesverkehrsminister, der Fahrverbote als Übel ansieht, während Hedwig Richter ihnen mit Rückblick auf die Sonntagsfahrverbote in der Ölkrise 1973 einen „zauberhaften Glanz“ des Kollektiverlebnisses zuspricht. Schlimm dabei ist in den Augen Richters vor allem, dass Wissing und die FDP für die Werte einer „Suppenkasper-Freiheit“ nicht alleinstehen, sondern für die breite Masse der Menschen in Deutschland, die zu bequem sind, aus ihrem Sofa hochzukommen und sich den Herausforderungen durch Konsumverzicht zu stellen, sei es aktuell in der ökologischen Klimapolitik oder seinerzeit beim Kampf gegen Corona. Da liegt in Richters bombastischer Terminologie „das hässliche Unterbewusstsein der Deutschen, das permanent das vernünftige Über-Ich torpediert“.

Da reibt man sich wirklich die Augen. Merken grüne Intellektuelle nicht, dass sie mit derartigen Begriffen, Figuren und Kategorien nichts machen, als die große Mehrheit der Menschen in ihren Lebensgewohnheiten zu beschimpfen? Glauben sie wirklich, dass sie mit solch hingeworfenen Zurufen – sinngemäß: „Raus aus dem Sofa, Ihr Spießer!“ – den Menschen das Gefühl geben, in ihren alltäglichen Sorgen ernst genommen zu werden? Merken sie wirklich nicht, dass sie die von ihnen beklagte Bockigkeit der breiten Masse durch ihre Arroganz eher fördern als mindern? Glauben sie wirklich, dass solche Rufe aus der luftigen Höhe des FAZ-Feuilletons auch nur irgendjemanden überzeugen, für die Veränderung der Gesellschaft sein Herz über die Hürde zu werfen? Das FAZ-Feuilleton selbst scheint Zweifel daran zu haben – so jedenfalls die Botschaft von dessen Herausgeber Jürgen Kaube, der inzwischen unter der Überschrift „Die Gouvernante“ eine mit Ironie gewürzte, scharfe Kritik publiziert hat.

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Inhalt ergänzt. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen.

Auch die Rückwirkung solcher Begrifflichkeit auf den demokratischen Diskurs im politisch-parlamentarischen Raum ist überaus fragwürdig: Soll etwa die FDP einfach dazu betreten schweigen, wenn ihr grundlegendes Bekenntnis zur individuellen Freiheit als „Suppenkasper-Freiheit“ in den Schmutz gezogen wird – statt sachlich über die konkret strittigen Inhalte zu diskutieren? Soll die überaus polemische Wortwahl einer Hedwig Richter der neue Maßstab sein für die politische Auseinandersetzung? Wird damit nicht genau jene Spaltung des demokratischen politischen Spektrums erreicht, die an anderer Stelle dann mit einer Menge (Krokodils-)Tränen beklagt wird?

Mit Verlaub: Mehr Nachdenklichkeit auch unter grün-geneigten Intellektuellen täte gut. Sonst begeben sie sich schnurstracks auf das rustikale Diskusniveau der Rechtspopulisten – und richten einen ähnlich großen Flurschaden an.