Public History
Ralf Dahrendorf: Apologet der Freiheit
Mit seiner von Jubel begleiteten Rede auf dem Freiburger Parteitag 1968 traf Ralf Dahrendorf die Stimmung und signalisierte den Aufbruch, für den die FDP in den nächsten Jahren stehen sollte und der sie in die sozial-liberale Koalition führte. Auch Dahrendorf selbst katapultierte dies in eine neue Rolle – bisher Soziologieprofessor und Berater, trat er für einige Jahre in die aktive Politik ein, im Parteivorstand, im Bundestag, als Staatssekretär im Auswärtigen Amt und schließlich in der EU-Kommission.
Virtuos spielte er in seinen verschiedenen Rollen auf der öffentlichen Klaviatur: Als Wissenschaftler und Politiker, noch stärker aber als Intellektueller und liberaler Ideengeber prägte er Debatten mit dem Ziel, die Grundlagen für die Freiheit und die Lebenschancen jedes Einzelnen zu sichern. Seine kritischen Wortmeldungen bilden klare liberale Positionsbestimmungen, einem Kompass gleich, an dem sich die Öffentlichkeit orientieren konnte. Mit ihnen wurde die Debatte geschärft und mit „Leidenschaft und praktischer Vernunft“ (Fritz Stern) der Wandel vorangetrieben.
Dahrendorf traf den Nerv der jeweiligen Zeit, wo es besonders empfindlich war: „Bildung ist Bürgerrecht“, forderte er 1965; in den 1980er Jahren verkündete er das Ende des sozialdemokratischen Jahrhunderts und konstatierte 1990 nach dem Untergang der sozialistischen Regime in Osteuropa den „Wiederbeginn der Geschichte“. Am Ende des Jahrhunderts legte er die Schwächen des von Anthony Giddens propagierten „Dritten Weges“ offen. Den zentralen Bezugsrahmen seiner Plädoyers bildete die Idee der liberalen Demokratie europäisch-amerikanischer Prägung, wie sie im „langen Weg nach Westen“ schließlich auch in Deutschland Fuß fasste. Dieses Leitbild führte er in seiner großen Analyse „Gesellschaft und Demokratie“ – über die notwendigen Voraussetzungen einer freiheitlichen Gesellschaft – bereits vor einem halben Jahrhundert, 1965, aus, ein Werk, dessen Ideen und Anstöße bis heute wirken: „Konflikt und Auseinandersetzung sind nicht Notlösung, […], sondern Chance des Fortschritts.“ Produktive Streitkultur und der Wettbewerb der Ideen und Argumente, nicht vorschnelle Harmonisierung, ermöglichen die Zukunft in Freiheit und Selbstbestimmung. Die Menschen sind der Geschichte nicht ausgeliefert, besitzen vielmehr die Chance und die Verantwortung, diese selbst zu gestalten. Daher müsse die entscheidende Kraft liberaler Gesellschaften die Bürgergesellschaft sein, nicht der Staat oder Wirtschaftskonzerne. Demokratie, Rechtsstaat und Gewaltenteilung gewährleisteten am sichersten die Lebenschancen des Einzelnen und dessen Freiheit.
Gegen alle Kritik, wie sie sich etwa in der Stärke populistischer Strömungen zeigt, verteidigte Dahrendorf die parlamentarische Demokratie vehement als das entscheidende „Mittel, um ein vorherrschendes Meinungsklima in konkrete und realistische Entscheidungen zu übersetzen. Wo das wirksam geschieht, ist für die großen Vereinfacher kein Platz.“