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Stoltenberg-Nachfolge
Aus der Traum für Mark Rutte? Auch Rumäniens Staatspräsident Klaus Iohannis erhebt Anspruch auf den NATO-Chefposten

Rumäniens Präsident Klaus Iohannis (Mitte), NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg (links) und der niederländische Premierminister Mark Rutte (rechts)

Rumäniens Präsident Klaus Iohannis (Mitte), NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg (links) und der niederländische Premierminister Mark Rutte (rechts).

© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Peter Dejong

Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte galt bislang als gesetzt als neuer NATO-Generalsekretär. Ab Oktober sollte Rutte den Posten von dem Dänen Jens Stoltenberg übernehmen; die USA, Deutschland, Frankreich und Großbritannien hatten schon offen ihre Unterstützung für den Niederländer angezeigt. Doch nun verkündete der rumänische Präsident in einer Pressekonferenz, dass er offiziell im Namen Rumäniens seine Kandidatur einreicht. Nur ein Postenpoker oder hat der 64-Jährige Deutschrumäne tatsächlich Chancen für die Stelle?

Die Bewerbung von Iohannis ist die erste offiziell angekündigte Kandidatur, die der Rumäne selbstbewusst so begründet:

Ich glaube, dass die NATO eine neue Perspektive für ihre Mission braucht. Osteuropa kann einen wertvollen Beitrag zu den Diskussionen und Entscheidungen der NATO leisten. Mit einer ausgewogenen und einflussreichen Vertretung aus dieser Region wird die NATO in der Lage sein, die besten Entscheidungen zu treffen. Ich habe beschlossen, mich um den Posten des NATO-Generalsekretärs zu bewerben und übernehme diese Kandidatur im Namen Rumäniens mit voller Verantwortung. Diese Entscheidung stützt sich auf die Leistungen Rumäniens, die Erfahrungen, die ich während meiner beiden Amtszeiten als Präsident gesammelt habe, mein tiefes Verständnis für die Herausforderungen, vor denen die NATO, Europa und insbesondere unsere Region stehen, und mein festes Bekenntnis zu den Werten der NATO.

Klaus Iohannis
Der rumänische Präsident Klaus Iohannis

Der rumänische Präsident Klaus Iohannis.

© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Andreea Alexandru

Seine Vision für die Zukunft der NATO

Die Ansage scheint sorgfältig vorbereitet worden zu sein, denn zeitgleich veröffentlichte Iohannis im Brüsseler Politikmagazin POLITICO seine Vision für die Zukunft des transatlantischen Militärbündnisses. Dort führt er aus, dass die Erfüllung der Kernaufgaben des Bündnisses beschleunigt werden müsse: Abschreckung und Verteidigung sollen im Einklang mit den Beschlüssen von Madrid und Vilnius deutlich ausgebaut und die militärische Einsatzfähigkeit an die Komplexität des heutigen Umfelds angepasst werden.

Für den rumänischen Kandidaten gehen „Macht und Abschreckung Hand in Hand, und die Stärkung der Ersteren wird die Letztere nähren. Heute sind unsere östlichen und südlichen Grenzen am stärksten bedroht, und sie müssen entsprechend und in ihrer Gesamtheit gestärkt werden. Außerdem dürfen wir den hohen Norden und den westlichen Balkan nicht vergessen, denn ihre Bedeutung für unsere Sicherheit ist unbestreitbar.“ Weiterhin ist „nichts heute wichtiger, als den Sieg der Ukraine in ihrem existenziellen Kampf zu sichern“.

Ebenso möchte Iohannis die Interoperabilität verbessern und rasch eine starke industrielle Verteidigungsbasis im gesamten Bündnis aufbauen. Für die Verteidigungsausgaben soll „möglichst“ ein Minimum von 2 Prozent des BIPs von den Bündnispartnern eingesetzt werden, wobei mindestens 20 Prozent davon in Großgerät investiert werden soll. Auch spricht er von hybriden und Cyber-Bedrohungen, künstlicher Intelligenz und die Notwendigkeit des Schutzes von kritischen Infrastrukturen. Die NATO könne nur dann an der Spitze bleiben, wenn sie ihre digitale Transformation beschleunigt und ihre Investitionen in Innovationen erhöhe. Dabei müsse sie sich jedoch gleichzeitig mit dem Klimawandel und seinen sicherheitspolitischen Auswirkungen auseinandersetzen. Iohannis pocht auch auf stärkere politische Konsultation und Koordination auf der Grundlage eines verstärkten Dialogs zwischen politischen und militärischen Strukturen, und schlägt dafür die Stärkung der Schlüsselrolle der NATO als Forum für Konsultation, Koordinierung und Bereitschaft im Bereich der Rüstungskontrolle, Abrüstung und Nichtverbreitung vor.

Zugleich hat die regierende rumänische Große Koalition aus Sozialdemokraten (PSD) und Konservativ-Liberalen (PNL) in Abstimmung mit Iohannis die Präsidialwahlen aus dem Dezember in den September dieses Jahres vorverlegt. Dies wird als Zeichen gelesen, dass man es mit seiner Kandidatur ernst meint und nicht nur auf einen hohen Brüsseler Posten hin pokert. Dafür spricht auch die geringe Risiko-Bereitschaft des Kandidaten, der dafür bekannt ist, die Dinge vom Ende her zu durchdenken.

Wie gut stehen seine Chancen?

Um die Stelle besetzen zu können, braucht es ein einstimmiges Votum der 32 Mitgliedsstaaten, und dieses hat Mark Rutte nach derzeitigem Stand nicht: Ungarn hat sich bereits offen gegen den Niederländer ausgesprochen, und auch die baltischen Staaten sind mit seiner Kandidatur nicht glücklich. Die estnische Ministerpräsidentin Kaja Kallas, die selber mit der NATO-Führung liebäugelte, kritisierte offen im POLITICO-Podcast, Rutte wäre schon der vierte Niederländer, der diese Stelle innehätte. Bulgariens Beitritt zum Schengen-Abkommen wurde auch von ihm blockiert. Insgesamt sind die osteuropäischen Staaten unzufrieden darüber, dass derzeit keiner der wichtigen Führungsposten auf europäischer Ebene von einem Osteuropäer belegt wird.

Estlands Ministerpräsidentin Kaja Kallas

Estlands Ministerpräsidentin Kaja Kallas.

© picture alliance / Anadolu | Askin Kıyagan

Rumänische Beobachter verweisen darauf, dass die Bewerbung von Präsident Iohannis nicht nur von den östlichen Verbündeten des von Polen und Rumänien gegründeten B9-Formats (Bulgarien, Tschechische Republik, Estland, Ungarn, Lettland, Litauen, Polen und Slowakei) unterstützt werden könnte, sondern dass gerade die Türkei, ein weiterer starker Verbündeter aus dem brodelnden Schwarzmeerraum, über ein Veto die Kandidatur von „Teflon-Mark“ kippen könnte. Und Iohannis genießt durchaus auch Unterstützung bei denen, die sich schon öffentlich für Rutte stark gemacht haben, insbesondere in den USA.

Rumänien nach 10 Jahren Iohannis-Präsidentschaft und zwei Jahrzehnten NATO-Mitgliedschaft hat weitere Trümpfe im Rennen: Während die Niederlande noch in der Kritik liegen, weil sie bislang noch weniger als zwei Prozent ihres BIP für Verteidigung ausgeben und in ihrem Land scheinbar florierende Geschäften von Gazprom-Ablegern zulassen, liegen die Militärausgaben Rumäniens schon bei 2,5 Prozent des BIP. Und: Rumänien entpuppt sich als einer der wichtigsten Unterstützer der Ukraine, über zahlreiche Waffenlieferungen, Sicherung der Cyber Security, Ausbildung von F16 Kampfjetpiloten, Reparatur von Kriegstechnik, Pflege der Kriegsverwundeten, Aufnahme von Flüchtlingen und Sicherung der Routen für unbegrenzten Getreidehandel. Auch sonst war das Land international ein verlässlicher und stabiler Partner.

Bis zu den Reaktionen der einzelnen Bündnispartner scheint die angekündigte Kandidatur des Rumänen nun doch nicht ohne Chancen zu sein. Allerspätestens im Juli, zum Gipfel aus Anlass des 75. Bestehens der Allianz, soll dann die Entscheidung verkündet werden.