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Republik Moldau
Historische Großkundgebung in Chișinău: Europa ist Moldau, Moldau ist Europa

Moldau

Rund 75.000 Moldauer nahmen am Sonntag bei einer proeuropäischen Kundgebung teil, um dadurch ihren Willen für den EU-Beitritt auszudrücken.

© picture alliance / EPA | DUMITRU DORU

„Die Moldauer sind Europäer, und die Republik Moldau muss bis 2030 ein gleichberechtigtes Mitglied der Europäischen Union werden.“ Mit diesen Worten trat die moldauische Präsidentin Maia Sandu vor die mehr als 75.000 Menschen aus dem ganzen Land, die am Sonntag ihrer Einladung zu einer proeuropäischen Kundgebung in die Landeshauptstadt Chișinău gefolgt waren. Auch die Präsidentin des Europäischen Parlaments, Roberta Metsola, war angereist, die schon in ihrer Ansprache auf Rumänisch der Menge verkündete: „Ich bin gekommen, um eine Botschaft zu überbringen: Europa ist Moldau, Moldau ist Europa".

EU-Beitritt in die Verfassung zu verankern

Unter dem Namen „Europäisches Moldau“ wurde bei der Versammlung auch eine feierliche Erklärung verlesen, in der u.a. eine Verfassungsänderung verlangt wird, „um den Beitritt der Republik Moldau zur Europäischen Union endgültig und unwiderruflich darin festzuschreiben“. Festgehalten wird darin wird auch die Erweiterung des internationalen Kontextes der Verhandlungen über eine endgültige friedliche Beilegung des Transnistrien-Konflikts und die Nutzung des EU-Beitrittsprozesses als Katalysator für die Stärkung von Wohlstand und Lebensstandard der moldauischen Bürger in der wiedereingegliederten transnistrischen Region. Desgleichen wird eine „scharfe Verurteilung des illegalen und unmenschlichen Krieges, den Russland in der Ukraine angezettelt hat und der die Stabilität untergräbt und die gesamte Region, einschließlich der Republik Moldau, ernsthaft in Mitleidenschaft zieht“, gefordert.

Von den insgesamt 101 Abgeordneten im Einkammerparlament zählt die „Partei für Aktion und Solidarität“ (PAS) der Präsidentin 63 Mitglieder. Eine Verfassungsänderung kann in der Moldau von der Regierung oder einem Drittel der Abgeordneten und mit Zustimmung von mindestens vier Verfassungsrichtern als Gesetzesinitiative eingerbracht werden. Die Abstimmung im Parlament muss dann mit Zweidrittelmehrheit bestätigt werden. Noch verfehlt die PAS allein die Verfassungsmehrheit knapp, denn neben den sechs offen kremlfreundlichen  SOR-Vertretern gehören 29 Mandate dem ebenfalls prorussischen Block der Sozialisten und Kommunisten sowie drei Unabhängige an. Im Dezember 2022 leitete allerdings der Justizminister der Republik Moldau ein Verfahren zum Verbot der Partei ȘOR ein. Sollte dies bestätigt werden, würde über die Umverteilung der Mandate die PAS alleine auf die dafür notwendige Mehrheit kommen. Auch weitere Schritte in diese Richtung sind zu beobachten: Vor einer Woche kündigte der Parlamentspräsident Igor Grosu an, dass die Republik Moldau das Verfahren zum Austritt aus dem Abkommen über die Interparlamentarische Versammlung der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS), der sie angehört, einleiten wird.

Politische Lage bleibt kompliziert

Trotz der eindrucksvollen Bilder vom Sonntag bleibt die Lage im Land angespannt. Seit Oktober 2022 finden in Chișinău und in anderen Landesteilen Proteste gegen die Regierung statt, die im März dieses Jahres einen Höhepunkt mit bis zu 10.000 Menschen in Chișinău erlebten. Initiiert und finanziert wurden diese vom prorussischen Oligarchen Ilhan Șor, der 2016 eine eigene Partei unter seinem eigenen Namen gründete. Die ȘOR-Partei steht für Föderalisierung des Landes, Einführung des Russischen als Staatssprache und ist zutiefst antieuropäisch. Șor selber wurde im April endgültig von den moldauischen Gerichten im größten Korruptionsfall in der Geschichte des Landes, über welche moldauische Banken um eine Milliarde Dollar geplündert wurden, zu 15 Jahren Haft verurteilt. In Israel geboren, findet er schon seit 2019 dort Flucht. Die Proteste vor Ort organisierte die Abgeordnete und Vizevorsitzende der Partei, Marina Tauber, die nun selber wegen illegaler Finanzierung dieser Proteste unter Anklage steht und das Land nicht verlassen darf. Die Partei verfügt selbst zwar nur über sechs Parlamentsabgeordnete, liegt aber nun in den Umfragen bei 15%. Auch konnte sie vor einer Woche nach der Stichwahl gegen die ebenfalls prorussischen Sozialisten den Gouverneur der separatistischen Republik Gagausien stellen. Der Gouverneur der Region wird nach seiner Wahl verfassungsrechtlich Teil des Regierungskabinetts, weshalb weitere Spannungen zu erwarten sind. Die Wahlergebnisse wurden von der zentralen Wahlbehörde noch nicht bestätigt. Die Region gilt zu 90% als stark prorussisch. Im prorussischen Lager käme auch der Block der Sozialisten und Kommunisten auf 25%.

Trotz Zustimmung in der Hauptstadt findet Sandu und ihre Regierung immer weniger Unterstützung bei der veralteten und verarmten Bevölkerung im Land, auch aufgrund der Pandemie, des Krieges und dadurch verursachten Flüchtlingskrise und der ökonomischen Schieflage. Dies bezeugen auch die Ergebnisse einer von der FNF zu Jahresanfang durchgeführten landesweiten Umfrage: Noch im Juli 2021 mit 55% der Stimmen ins Parlament gewählt, käme die PAS danach in der Sonntagsfrage heute nur noch auf 32% der Stimmen. Ihr wird vor allem schlechte Regierungsführung vorgeworfen (56%). Die am häufigsten genannten Probleme waren wirtschaftlicher Natur (62%): steigende Preise, niedrige Einkommen, fehlende Arbeitsplätze und Armut. Auch kann die PAS noch nicht auf weitere proeuropäische Koalitionspartner bauen, zumal keine der Parteien die 5-Prozent-Wahlhürde schaffen würde.

Mit 42% steht die Präsidentin noch hoch in der Vertrauensfrage, doch auch hier bannt sich ein wichtiger Widersacher für die kommenden Präsidialwahlen im nächsten Jahr an. Einst als Günstling Moskaus gehandelt, outet sich nun der amtierende Bürgermeister von Chișinău als unabhängig. Mit 60% in der Sonntagsfrage scheint auch seine Wiederwahl bei den Kommunalwahlen im Herbst unumstritten, um dann aus dieser Position Sandus Wiederwahl streitig zu machen. Immerhin haben schon jetzt 56% der Wähler im Land eine positive Meinung von ihm.

Unter diesen Bedingungen sollte die Großdemo am Sonntag diesen Tendenzen nicht nur entgegenwirken und den Bürgern neue Hoffnung auf europäischen Wohlstand machen, sondern auch nach außen den europäischen Partnern Stabilität und Standfestigkeit vermitteln. Am 1. Juni werden nämlich in der moldauischen Hauptstadt beim zweiten Treffen der Europäischen Politischen Gemeinschaft 47 Präsidenten und Regierungschefs erwartet, um über gemeinsame Anstrengungen für den Frieden im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine und den damit verbundenen Krisen, die Verteidigung der Demokratie, die Stärkung der Energiesicherheit und die Widerstandsfähigkeit der europäischen Staaten zu diskutieren. Während 48% der Moldauerinnen und Moldauer schon jetzt in die EU wollen, stehen 34% noch immer zu Russland. Doch für einige der 18% Unentschiedenen könnte die Wahl nach dieser Demonstration leichter fallen.