Italien
In Rom hält Meloni die Zügel fest in der Hand
Die aktuelle Regierung Italiens ist in 76 Jahren die 68. seit dem Zweiten Weltkrieg. Wie lange Italiens erste weibliche Ministerpräsidentin im Amt bleiben wird, darauf sollte man besser keine Wetten abschließen: Mit einer durchschnittlichen Amtsdauer von ca. 1,5 Jahren sind häufige Regierungswechsel in Italien eher die Regel und nicht die Ausnahme. Ob es Giorgia Meloni nach ihrem klaren Wahlsieg im vergangenen September gelingt, ihr Fünf-Jahres-Mandat zu erfüllen, wird die Zeit zeigen. Die Feuertaufe als Regierungschefin auf dem politischen Parkett hat sie jedenfalls bestanden; bisher hat sie sich keine größeren Schnitzer geleistet. Die Zustimmung unter den Wählern für ihre bisherige Arbeit ist hoch. Meloni pflegt einen medienwirksamen Führungsstil und einen modernen, seriösen Auftritt. Sie gibt sich verbindlich und volksnah und schafft es, dank ihrer rhetorischen Eloquenz, die richtige Sprache für die jeweilige Zielgruppe zu finden.
Die Vorstellung, dass Giorgia Meloni sich als Vorsitzende der rechtsextremen Partei „Brüder Italiens“ (Fratelli d’Italia) und Regierungschefin der drittgrößten Volkswirtschaft Europas an die Spitze des rechtspopulistischen EU-kritischen Lagers setzen könnte, löste in weiten Teilen der EU Sorgenfalten aus. Doch in der Realität der Regierungsverantwortung angekommen, führt Meloni die politischen Geschicke ihres Landes bisher weit weniger konfrontativ als befürchtet. Zu Melonis politischem Spürsinn gehört, dass sie seit dem Beginn ihrer Präsidentschaft immer wieder den Rat ihres Vorgängers Mario Draghi gesucht haben soll. Auch die Zusammenarbeit mit Staatschef Sergio Mattarella läuft bisher reibungslos; so legte z.B. der Präsident kein einziges Veto bei ihrer Kabinettsliste ein.
Melonis realpolitischer Kurs
Meloni hat sich bemüht, Schlüsselministerien mit Fachleuten zu besetzen, die teils noch aus dem Draghi-Kabinett stammen. Mit der Ernennung Antonio Tajanis (Forza Italia) zum Außenminister wurde ein klar pro-europäischer Kurs der Rechtskoalition eingeleitet. Tajani ist ehemaliger Präsident des EU-Parlaments und ehemaliger Vizepräsident der Europäischen Volkspartei. Auch Meloni selbst schlägt in Richtung Europa bisher freundliche, kooperative Töne an. Demonstrativ führte sie ihre erste Auslandsreise nach Brüssel, wo sie bei ihrem Antrittsbesuch bei Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ihren Willen zur Kooperation und Italiens Rolle als verlässlicher Partner für innen- und außenpolitische Maßnahmen der EU versicherte. Meloni ist sich den wirtschaftlichen Zwängen Italiens wie der immensen Staatsverschuldung bewusst. Um weiterhin auf die Hilfsgelder aus dem EU-Recovery-Fund in Höhe von rund 209 Milliarden Euro zuzugreifen, führt Melonis Regierung die von Draghi bereits eingeleiteten Reformen größtenteils fort. So wurde jüngst mit der Umsetzung einer umfangreichen Steuerreform begonnen, die mit niedrigeren Steuern das Wirtschaftswachstum ankurbeln soll, um die ausufernde Staatsverschuldung zu bremsen.
Kurz, Melonis bisheriger Kurs ist realpolitischer, als es ihr kontroverser Wahlkampf im letzten Jahr vermuten ließ.
Zu Melonis politischer Versatilität gehört, dass sie sich nach jahrelangem rechtspopulistischen Getöse im Ton massiv gezügelt hat. Doch droht womöglich kein radikaler Wandel, sondern eine schleichende Beschneidung von Bürger- und Freiheitsrechten, wenn sie z.B. die Förderung der traditionellen Familie fordert? Meloni vertritt ultrakonservative, traditionalistische Positionen, ähnlich wie Familienministerin Eugenia Roccella zu Fragen wie Abtreibung, künstliche Befruchtung, Sterbehilfe, LGBTI-Rechte und gleichgeschlechtliche Partnerschaften. Die Frage also bleibt: Wofür steht Giorgia Meloni eigentlich langfristig?
Koalitionspartner sind schwach und die Opposition zerstritten
Geht es nach Meloni, könnten die „Brüder Italiens“ von einer rechtsextremen Kleinstpartei zu einer konservativen Volkspartei erwachsen. In Umfragen liegt die Partei gegenwärtig bei 30 bis 32 Prozent. Um diesen breiten Zuspruch zu halten und sich im rechten Parteienspektrum zu etablieren, müsste die bislang stramm rechtsnationale Partei insgesamt moderater werden. Das Feld ihrer Kontrahenten braucht Meloni jedenfalls derzeit nicht zu fürchten; ihre Koalitionspartner sind schwach und die Opposition zerstritten. Die rechtspopulistische Lega-Partei hat mit dem sinkenden Stern ihres Parteisekretärs und Minister für Infrastruktur, Matteo Salvini, seit den Wahlen ebenso wie die allmählich implodierende Forza Italia („Vorwärts Italien“) um den alternden Silvio Berlusconi an Wählerzuspruch weiter verloren. Gleichzeitig erlebt der sozialdemokratische Partito Democratico unter der neuen Führung von Elly Schlein einen Linksruck und nähert sich der linkspopulistischen Fünf-Sterne-Bewegung (Movimento 5 Stelle/ M5S) für ein mögliches Bündnis an.
Eine tragfähige liberale Alternative wollten Ex-Premierminister Matteo Renzi (Italia Viva, „Lebendiges Italien“) und sein früherer Wirtschaftsminister Carlo Calenda (Azione, „Aktion“) mit dem kurzfristig aus der Taufe gehobenen „Terzo Polo“ („Dritter Pol“) ins Leben rufen. Das Bündnis der beiden Parteien war vor dem Hintergrund der mangelnden Einflussmöglichkeiten der stark fragmentierten liberalen Akteure in Italien ein vielversprechender Ansatz auf dem Weg zu einer geeinten liberalen Partei. Doch so schnell wie das Vereinigungsprojekt begonnen hatte, war es auch schon wieder vorbei: Nach einem öffentlich ausgetragenen „Hahnenkampf“ zwischen Calenda und Renzi ist vor wenigen Tagen der Zusammenschluss geplatzt. Dabei hatten die Wahlen im letzten September gezeigt, dass die Nachfrage nach liberaler Politik in Italien vorhanden ist: Die liberalen Kräfte, die sich für ein geeintes Europa, Rechtsstaatlichkeit, ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum und gegen den Populismus und eine weitere Staatsverschuldung positioniert hatten, traten auf unterschiedlichen Listen an und konnten mit gut zehn Prozent einen Erfolg für sich verbuchen. Auch bei den Regionalwahlen im Februar in der Lombardei und im Latium wurde dieser Trend mit einem guten Ergebnis von knapp fünf Prozent für das liberale Bündnis bestätigt. Infolge der Polarisierung in Italiens Parteienlandschaft zwischen Links und Rechts gibt es viel Potenzial für eine liberale Kraft, die bürgerlich-liberal orientierten Wählern in der Mitte des politischen Spektrums eine politische Heimat geben könnte. Bleibt die Frage, wann es einer Partei gelingen wird, diesen Raum nachhaltig zu besetzen.
Rahel Zibner ist Projektmanagerin für Spanien, Italien und Portugal der Friedrich-Naumann-Stiftung in Madrid.