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Gewalt an Frauen
Spanien macht Tempo im Kampf gegen Gewalt an Frauen

Gewalt gegen Frauen

Demonstranten versammelten sich, um gegen geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen und gegen die Schuldzuweisung an die Opfer zu protestieren

© picture alliance / ZUMAPRESS.com | Sachelle Babbar

Frauenrechte und Gewalt gegen Frauen erregen in Spanien seit Jahren viel Aufmerksamkeit. Mit jedem neu bekannt gewordenen Fall geschlechtsspezifischer Gewalt geht in Spanien ein Aufschrei quer durch die Gesellschaft und treibt Tausende zu Protesten auf die Straße. „Ni Una Más“- „nicht eine mehr“ skandieren die Menschen regelmäßig. Der „Violencia de genero“, der geschlechtsspezifischen Gewalt und Geschlechtergerechtigkeit wird in den Medien und im Fernsehen viel Raum und Sendezeit eingeräumt und ist Thema in den Abendnachrichten ebenso wie in dem spanischen Netflix-Hit „Alba“.

Gewalt gegen Frauen ist auch in Deutschland tägliche, traurige Realität. Doch im Gegensatz zu Spanien erfährt das Thema hierzulande kaum gesellschaftliche Beachtung. In Talk-Shows wird über das Gendern diskutiert, während Gewalt gegen Frauen eher als eine private Tragödie interpretiert und nicht als ein strukturelles Problem wahrgenommen wird. Dabei sind die Zahlen erschreckend hoch: Jede dritte Frau in Deutschland ist in ihrem Leben mindestens einmal von Gewalt betroffen. Das hat sich in den letzten Jahren auch kaum geändert. Das Bundeskriminalamt (BKA) registrierte für das Jahr 2020 146.655 Fälle von Gewalt in Partnerschaften, 5 % mehr als im Vorjahr. Zwar sind auch Männer von häuslicher Gewalt betroffen; die überwältigende Mehrheit der Opfer sind aber weiblich – im letzten Bericht des BKA über 80 %. Auch geschlechtsspezifische Gewalt im virtuelle Raum wird zunehmend ein Problem, insbesondere gegen Frauen, die in der Öffentlichkeit stehen. Die sogenannten Femizide, also Morde an Frauen aufgrund ihres Geschlechts, betrugen in 2020 laut des letzten „Lagebild Partnerschaftsgewalt“ des BKA 139. Im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung sind das deutlich mehr als im vermeintlichen „Macho-Land“ Spanien, wo das seit 2006 eingerichtete »Amt für geschlechtsspezifische Gewalt« in seiner letzten Erhebung von 2021 „nur“ 43 Todesopfer dokumentiert. Schon seit 2003 gibt die spanische Regierung eine jährliche Auswertung statistischer Daten zu Femiziden durch (Ex)-Partner heraus und hat vor einiger Zeit die Definition von geschlechtsspezifischer Gewalt erweitert. Seit Januar 2022 werden alle Formen von Femiziden erfasst, also frauenfeindliche Morde in der Familie, im sozialen Umfeld oder in Verbindung mit Prostitution und Ausbeutung.

Ausmaß an frauenfeindlicher Gewalt in Deutschland „erschütternd"

Geschlechtsspezifische Gewalt auch so zu benennen, um sie entsprechend ahnden zu können, dafür setzt sich Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) ein. "Wer aus männlichem Besitzdenken Frauen angreift, handelt unserer Werteordnung in besonders eklatanter Weise zuwider", sagte er vor einiger Zeit und nannte das Ausmaß an frauenfeindlicher Gewalt in Deutschland „erschütternd". Er plant daher eine Ergänzung im Strafgesetzbuch, mit der geschlechtsspezifische und gegen die sexuelle Orientierung gerichtete Beweggründe einer Tat bei der Strafzumessung besonders berücksichtigt werden sollen. Außerdem sollen Frauenrechte im digitalen Raum besser geschützt werden, Präventionsarbeit und Frauenhausplätze ausgebaut und ein landesweites Monitoring für sexuelle und häusliche Gewalt eingeführt werden. Besonders wichtig sind dabei eine stärkere Sensibilisierung und einheitliche Standards in der von Schulung Polizei und Justizob einer Frau geholfen wird, darf nicht von einem einzelnen Polizisten abhängen.

In Spanien ist man einen Schritt weiter. Getragen von der Mobilisierung der breiten Masse hat der spanische Kongress eine Reihe von richtungsweisenden Maßnahmen zum Schutz von Frauen verabschiedet. Neben dem Gesetz gegen geschlechtsspezifische Gewalt ist der Kampf gegen häusliche Gewalt „Staatsauftrag“. Für Inés Arrimadas, Vorsitzende der spanischen liberalen Partei „Ciudadanos“, muss der Schutz von Frauen in einer Demokratie „Staatsaufgabe und Konsens über alle Parteidifferenzen hinweg“ sein. Es wurde ein Pakt gegen geschlechterspezifische Gewalt aller im Parlament vertretenen Parteien und der Kommunen geschlossen – in der polarisierten Parteienlandschaft Spaniens keine Selbstverständlichkeit. Der Vertrag sieht u.a. die Förderung des Opferschutzes, der Forschung, der Sensibilisierung für das Problem sowie die Weiterbildung von Fachkräften vor. So erhalten in Spanien auch Betroffene staatliche Hilfe, die keine Strafanzeige erstatten, etwa weil sie Angst vor den Tätern haben. Das Thema steht auf dem Lehrplan in Schulen und in Rathäusern und Gesundheitszentren wurden Beratungsstellen eingerichtet. Mit »VioGén« verfügt Spanien über ein nationales Präventionsprogramm, das mithilfe eines einheitlichen Handlungskatalogs ein konsequentes Vorgehen bei Gewalt gegen Frauen erleichtern soll, zu dem auch die Zusammenarbeit mit Beratungsstellen, regelmäßige Kontrollen und klare Konsequenzen für Täter gehören. Ein Hilfetelefon bei »Gewalt gegen Frauen«, unter dem anonyme und kostenlose Beratung angeboten wird, gibt es in Spanien schon knapp zehn Jahre länger als in Deutschland und ist in gut dreimal so vielen Sprachen verfügbar.

Gesetz für die Garantie der sexuellen Freiheit

Zuletzt wurde das »Gesetz für die Garantie der sexuellen Freiheit« eingeführt, durch das sexualisierte Gewalt härter bestraft und klar definiert wird, was eine Vergewaltigung ist: nämlich immer dann, wenn eine Person nicht „Ja“ sagt. Dafür muss auch keine Gegenwehr als Beweis geführt werden, denn viele Menschen reagieren in Momenten des Schocks mit Resignation. Nein heißt in Spanien also Nein. Die Maßnahmen zeigen Wirkung: Immer mehr Frauen trauen sich, ihre Peiniger anzuzeigen. Auch „Catcalling“, also wenn Menschen (oft vor allem Frauen) von Fremden anzügliche Kommentare über ihren Körper oder ihre Sexualität anhören müssen, wird untersagt.

Die aktuelle spanische Regierung des Sozialisten Pedro Sanchez sieht sich als Avantgarde in Sachen Frauenrechte, was zuweilen auch fragwürdige Maßnahmen zutage treten ließ, wie zuletzt den „Menstruationsurlaub“, den Frauen nehmen können, wenn sie unter besonders starken Menstruationsschmerzen leiden. Diese Maßnahme könnte zu einer Benachteiligung führen, wenn Arbeitgeber Frauen aufgrund solcher Regelungen weniger gerne einstellen als Männer.

Der lautstarke Einsatz für Frauenrechte hat vermutlich auch historische Gründe: Zu frisch ist die Erinnerung an Einschränkungen; nach einer langen Durststrecke wollen sich die Frauen ihre hart erkämpfte Gleichberechtigung unter keinen Umständen nehmen lassen. Lange hinkte die Stellung der Frau in Spanien im europäischen Vergleich hinterher und gestand Frauen bis zur späten Demokratisierung Spaniens nur die Rolle als Hausfrau und Mutter zu. Auch unter den Republikanern waren im spanischen Bürgerkrieg kaum Frauen unter den Kämpfern. Ein populärer Spruch im spanischen Bürgerkrieg lautete "de la cintura para arriba": progressives Gedankengut sei nur „oberhalb der Gürtellinie“ vorhanden. Der Sieg der Nationalisten katapultierte Spanien in Sachen Frauenrechte um Lichtjahre zurück: Unter Franco hatten Frauen kaum Rechte, durften ohne Erlaubnis ihres Ehemanns keiner bezahlten Arbeit nachgehen, sich einen Pass ausstellen lassen oder ein eigenes Konto eröffnen. Die „Sección Feminina" der Falange, die Frauenorganisation innerhalb der faschistischen Bewegung, propagierte ein traditionelles Familienbild und lehnte die Gleichstellung zwischen Mann und Frau ab. Erst mit dem Ende der Franco-Diktatur 1975 wurden schrittweise die Frauenrechte und Gleichberechtigung gestärkt. Mit der ersten demokratischen Verfassung von 1978 wurden Frauen den Männern dem Gesetz nach gleichgestellt; in den 80er Jahren wurde die Möglichkeit der Scheidung eingeführt, bis 1988 durften keine Frauen ins Parlament gewählt werden. 1983 erfolgte die Gründung des spanischen Fraueninstituts auf Empfehlung der Vereinten Nationen. Seitdem rollt Spanien das Feld von hinten auf und ist heute Vorreiter in Sachen Gleichberechtigung. Im spanischen Parlament sind beispielsweise 166 Abgeordnete weiblich, was 47,4 % der Sitze entspricht. Damit ist das spanische Parlament in der EU führend bei der Geschlechterparität und steht nach Angaben von UN Women weltweit an fünfter Stelle. Auch das Gehaltsgefälle zwischen Frauen und Männern ist in Deutschland mit 18 % größer als in Spanien mit rund 15 %.

Die Unsichtbarkeit ist für Opfer von Gewalt besonders schmerzhaft

Das Beispiel Spanien zeigt: Eine moderne Gesetzgebung ist ein wichtiger Teil im Kampf für Frauenrechte. Im Hinblick auf geschlechtsspezifische Gewalt bedarf es vor allem eines Wandels in der gesellschaftlichen Wahrnehmung. Die Unsichtbarkeit ist für Opfer von Gewalt besonders schmerzhaft, wenn die Gesellschaft das Problem als etwas Intimes und Familiäres abtut. Die breite Mehrheit in Spanien begreift Gewalt gegen Frauen als gesellschaftliches Versagen und folgt damit einem Ansatz, dass es bei der Bekämpfung von geschlechtsspezifischer Gewalt um gesellschaftliche Machtdynamiken und nicht um persönliche Beziehungen geht.

Frauen werden noch viel zu häufig Opfer von Gewalt – in Spanien, in Deutschland, überall auf der Welt. Frauenrechte sind Menschenrechte. Keiner hat das Recht, über das Leben eines anderen zu bestimmen und jeder muss die Freiheit haben, über sein Leben zu entscheiden, unabhängig vom Geschlecht. Im Jahr 2022 sollte das selbstverständlich sein- und doch ist Gewalt gegen Frauen auch in Deutschland viel verbreiteter, als man auf den ersten Blick denken mag. Höchste Zeit also, bei der Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt aufs Tempo zu drücken.