Studie zur Schuldenbremse
Die Schuldenbremse wirkt
Über kaum ein Thema der deutschen Politik wird derzeit so leidenschaftlich gestritten wie über die Schuldenbremse. Ganz offensichtlich handelt es sich um eine Art weltanschauliches Kernproblem, an dem sich die Geister scheiden:
Die einen sehen sie als einen zentralen Anker der finanzpolitischen Stabilität, der im Jahr 2009 in Deutschland eingeführt wurde, weil die Finanzminister in den Bundes- und Landesregierungen bei dem alten Regelwerk ständig unter Druck gerieten, mehr Geld auszugeben, als für die Wahrung der Generationengerechtigkeit vertretbar war. Es gab zwar schon damals eine Art „Bremse“ – die Verschuldung durfte die eigenfinanzierten Investitionen nicht überschreiten; aber diese Bremse hatte sich nicht bewährt, weil allerlei definitorische Tricks angewandt wurden, um Ausgaben des Staatskonsums als öffentliche Investitionen neu zu etikettieren. Vorbild für die Reform 2009 war damals die kurz zuvor eingeführte Schweizer Schuldenbremse. Sie stand Pate für die neue deutsche Regelung, auch wenn sie sich davon in substanziellen Details unterscheidet.
Die anderen – die Schuldenbremsen-Skeptiker – sehen in der 2009 für Deutschland gefundenen Regelung im Wesentlichen eine unnötige Bremse für Investitionen. Sie zweifeln daran, dass der Wert der fiskalischen Solidität, die durch eine Schuldenbremse gewonnen wird, auch nur annähernd an den Verlust heranreicht, der dadurch entsteht, dass die Bremse sonst mögliche Investitionen verhindert. Sie sagen im Wesentlichen: Es ist gerechter, künftigen Generationen einen möglichst großen und modernen Kapitalstock zu hinterlassen, denn dessen gesellschaftliche Erträge übersteigen die Belastung des zusätzlich nötigen Schuldendienstes bei weitem. Gerade in einer Situation moderater Zinssätze am langfristigen Kapitalmarkt, die über lange Jahre unter denen der volkswirtschaftlichen Wachstumsrate lagen, ist es geradezu abwegig, die staatliche Verschuldung unnötig scharf zu begrenzen.
Soweit die beiden paradigmatischen Grundpositionen. Wir in der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, die wir dem Liberalismus nahestehen, neigen natürlich von unserer finanz- und wirtschaftspolitischen Grundposition dazu, die Schuldenbremse als Anker für die Stabilität zu befürworten. Ich selbst tue dies übrigens auch aus eigener leidvoller politischer Erfahrung eines Finanzministers von Sachsen-Anhalt in den Jahren 2002 bis 2006. Denn damals gab es noch keine Schuldenbremse, was mir die Arbeit als Kassenhüter eines relativ armen mitteldeutschen Bundeslandes enorm erschwerte. Ich hätte mir eine Bremse als „Rückenstärkung“ gewünscht, und ich habe ihre Einrichtung politisch im Rahmen meiner bescheidenen Möglichkeiten unterstützt. Aber das sind persönliche Eindrücke, die nicht entscheidend sein dürfen.
Wie überhaupt subjektive Gefühle keine solide Grundlage sind, um eine Regel von verfassungsrechtlicher Bedeutung zu beurteilen – auch wenn es heute ein wenig Mode geworden ist, in der Politik Emotionen in den Vordergrund zu rücken. Um genau dies zu vermeiden, fassten wir in der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit im letzten Jahr den Entschluss, von einem kompetenten wissenschaftlichen Institut die Wirkung der Schuldenbremse empirisch untersuchen zu lassen. Die Wahl fiel dabei auf das Walter-Eucken-Institut an der Universität Freiburg, das die nötige Expertise in der empirischen Schätzung finanzwissenschaftlicher Zusammenhänge vorweisen kann. Es ging uns dabei vor allem um drei zentrale finanz- und wirtschaftspolitische Fragen: (1) Hat die deutsche Schuldenbremse für einen niedrigeren Schuldenstand in Deutschland seit ihrer Einführung 2011 gesorgt? (2) Hat die Schuldenbremse die Bonität Deutschlands verbessert und damit die Kosten des Schuldendienstes gesenkt? (3) Hat die Schuldenbremse dazu geführt, dass weniger staatliche Investitionen stattfanden?
Diese drei Fragen standen und stehen im Zentrum der aktuellen Diskussion. Das Kernproblem ist dabei allerdings, dass sie bisher nur mit Hilfe von Mutmaßungen und nicht auf der Grundlage harter empirischer Evidenz beantwortet wurden. Das ist verständlich, denn harte empirische Evidenz muss ökonometrisch sein. Sie muss das tatsächliche Deutschland mit Schuldenbremse mit einem hypothetischen Deutschland ohne Schuldenbremse vergleichen, und das ist natürlich nicht beobachtbar, denn es existiert nicht. Anders als beim Test der Wirkung eines Medikaments in der Medizin und der Pharmazie kann man sich nicht einfach eine Kontrollgruppe schaffen, die keine Behandlung erhält, aber ansonsten sehr ähnliche Charakteristika aufweist. Leider gibt es eben keine kontrollierten Experimente in der finanz- und wirtschaftspolitischen Realität – und das öffnet das Tor für alle möglichen Spekulationen bis hin zur krudesten Polemik.
Was tun? Genau an dieser Stelle half die ökonometrische Expertise des Walter-Eucken-Instituts, denn es ist in den letzten Jahren eine neue Methodik entstanden, um auch ohne kontrolliertes Experiment eine nicht-beobachtbare Nation – eine Art „synthetisches“ Deutschland – entstehen zu lassen, mit dem die Realität verglichen werden kann. Diese innovative – und weithin anerkannte – Methodik wurde vom Walter-Eucken-Institut in seiner Studie angewandt. Das Ergebnis jedenfalls – das darf ich als Volkswirt vorausschicken – überzeugt und führt zu reichhaltigen Ergebnissen, meines Wissens den ersten überhaupt zur quantitativen Wirkung der deutschen Schuldenbremse.
Medienberichterstattung
Handelsblatt: Schuldenbremse keine Investitionsbremse – Lindner-Berater legt Studie vor
The Pioneer: Macht die Schuldenbremse noch Sinn, Prof. Lars Feld?
Morgenmagazin: Ökonom Feld: Schuldenbremse ist nicht an allem Schuld