Südasien
Extreme Hitzewellen in Südasien bedrohen wirtschaftliches Wachstum
Heiße Sommer vor dem Monsun sind eigentlich ganz normal in Indien. Gerade die letzten Wochen vor dem Einsetzen des Monsuns sind im Norden Indiens geprägt von trockener Hitze mit Temperaturen von rund 40 Grad Celsius. Die Menschen sind darauf vorbereitet, die Wirtschaft und Landwirtschaft planen entsprechend. Das Einsetzen, die Stärke und der Verlauf des Monsuns werden verfolgt und sind ein wichtiges Thema in den Zeitungen. Es gibt wöchentliche Updates vom India Meteorological Department mit genauen Vorhersagen an welchem Tag der Regen wo einsetzt und wie er sich vom Süden her langsam in den Norden vorschiebt. Während die Menschen in Deutschland sich über einen blauen Himmel und Sonne freuen, ist es die Regenzeit mit dunkelgrauen Wolken im bedeckten Himmel, die die Menschen in Indien herbeisehnen.
Der alljährliche Regen ist außerordentlich wichtig für die Landwirtschaft. Ein schwacher Monsun beeinflusst die landwirtschaftliche Produktion und damit die Gesamtwirtschaft Indien negativ. Viel Regen bedeutet hingegen ein höheres Wirtschaftswachstum und ein guter Monsun kann die Wirtschaft Indiens sogar über mehrere Jahre hinweg positiv beeinflussen.
Die Hitzewellen seit März sind jedoch extrem. Einerseits in der Höhe der Temperaturen und andererseits im ungewöhnlich frühen Zeitpunkt und der langen Dauer der Hitze. Auch wenn es durchaus immer wieder kleinere Regenschauer gibt, erlebte Indien die heißesten März- und Apriltemperaturen seit Beginn der Aufzeichnungen vor mehr als 120 Jahren.
Nordindien und Pakistan zählen zu den am dichtesten besiedelten Regionen der Welt. Die hohen Temperaturen stellen das tägliche Leben der Menschen auf den Kopf, ein normaler Tagesablauf ist kaum noch möglich. Die Folgen der Hitze sind weitreichend. Sich im Freien aufzuhalten ist gefährlich für die Gesundheit. Dehydrierung, Hitzschlag, Hitzekrämpfe und schlechte Luftqualität sind die Folgen. Die Stromnachfrage ist in die Höhe geschossen weil die Klimaanlagen auf Hochtouren laufen. Das resultiert in häufigen Stromausfällen und lässt die Kohlevorräte sinken, da der Strom vor allem in Kohlekraftwerken produziert wird. Die gesamte Infrastruktur des Landes ist extrem überlastet, es kommt neben der Hitze zu Wasserknappheit. Delhi, Süd-Haryana und West-Uttar Pradesh gehören zu den am stärksten betroffenen Gebieten. Durch die hohe Bevölkerungsdichte leben die Menschen eng beieinander. Selbst in den Nächten kühlt es nicht ab, so dass die Menschen auch nachts keine Erholung finden. Die genaue Anzahl der schon an der Hitze gestorbenen Personen ist nicht abschätzbar, da kaum wirklich Statistiken existieren.
Es sind die Millionen armen Menschen, die am meisten unter der Hitze leiden. Der Großteil der Menschen in Indien arbeitet im Freien und oft als Tagelöhner: Im Straßenbau, in der Landwirtschaft, als Händlerinnen oder Händler auf der Straße oder als Rikschafahrer. Unter den derzeitigen Umständen ist dies lebensgefährlich, jedoch gibt es ohne Arbeit kein Einkommen.
Die Arbeitsproduktivitätsverluste aufgrund von extremer Hitze gehen in die Milliarden, was bereits heute und verstärkt in Zukunft das Wirtschaftswachstum Indiens stark belasten wird. Schätzungen laut einer Studie in Nature Communications (Dez. 2021) gehen von mehr als 101 Milliarden verlorenen Arbeitsstunden pro Jahr aus. Laut einem McKinsey-Bericht aus dem Jahr 2020 könnten dies bis 2030 etwa 2,5 bis 4,5 % der Wirtschaftsleistung bzw. etwa 150 bis 250 Milliarden US-Dollar kosten. Die Experten schätzen, dass die Zahl der Tageslichtstunden, in denen das Arbeiten im Freien unsicher ist, bis 2030 um etwa 15 Prozent zunehmen wird.
Die Hitze bedroht auch eklatant die Ausbildung künftiger Generationen. Die Anzahl an Schulstunden und Unterrichtszeiten wurde in den betroffenen Regionen bereits angepasst. Online-Unterricht ersetzt in großen Teilen wieder den Präsenzunterricht und die Sommerferien sind vorgezogen. Normaler Unterricht oder das Abhalten von Prüfungen ist in den notorisch schlecht ausgestatten Unterrichtsräumen nicht möglich. Grundsätzlich sind solche Maßnahmen in den besonders heißen Monaten Mai und Juni teilweise eingeplant. Nach zwei verlorenen Pandemie-Jahren gefährden nun die ungewöhnlich langen und frühen Hitzewellen in diesem Jahr die Ausbildung junger Inderinnen und Inder.
Besonders verheerend ist die Hitze für die Landwirtschaft. Nach China und den USA ist Indien der größte Getreideproduzent der Welt. Die Ernte ist jedoch in Gefahr. Es gibt Schätzungen, dass bis zu zwei Drittel weniger von den Feldern kommen könnten. Bereits jetzt ist absehbar, dass in der Kornkammer Punjab sowie den weiteren Anbauregionen in Haryana und den Einzugsgebieten der Flüsse Indus und Ganges Verluste zwischen 20 und 25 Prozent zu erwarten sind. Das Getreide vertrocknet sprichwörtlich am Halm.
Diese Auswirkungen könnten weltweit zu spüren sein, da die indische Regierung geplant hatte, die Lieferausfälle aus der Ukraine nicht nur mit der eigenen Produktion zu kompensieren, sondern zudem die indischen Weizenexporte erhöhen wollte. Nun hat die Regierung jedoch, entgegeng früherer Aussagen, den Export von Weizen verboten. Bestehende Lieferverträge würden noch erfüllt und auch Länder, deren "Nahrungsmittelsicherheit" in Frage steht, würden beliefert. Die Ausfuhr weiterer Mengen ist aber gestoppt. Diese Restriktionen haben den Weltmarktpreis für Weizen weiter anziehen lassen und zusätzliche Preissteigerungen werden erwartet. Mit Ausfall Indiens als Exporteur gerät der der Welternährungsmarkt weiter unter Druck.