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Krieg in Europa
Warum Indien und Pakistan Russlands Angriff nicht verurteilen

A protester with poster at Anti War protest march in New Delhi's Mandi House against the war in Ukraine
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V. Arun Kumar

Regierungen in Südasien zeigen sich besorgt über den Krieg in der Ukraine. Mit direkter Kritik an Wladimir Putin halten sie sich aber zurück.

Der Krieg in der Ukraine stellt die Regierungen in Südasien vor einen politischen Balanceakt. Die Eskalation der Gewalt löst in den Hauptstädten der Region Besorgnis aus – unter anderem wegen drohender negativer Auswirkungen auf die eigene Wirtschaft. Doch eine klare Verurteilung des russischen Vorgehens bleibt aus. Die Gründe dafür sind vielfältig.

Besonders stark involviert in die Krise ist Indien, das noch bis Ende des Jahres Mitglied im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ist. Während kurz nach Beginn des Angriffs auf die Ukraine elf Mitglieder des obersten UN-Gremiums Russland dazu aufforderten, seine Truppen zurückzuziehen, enthielt sich Indien bei der Abstimmung über die Resolution – ebenso wie China und Vereinigten Arabischen Emirate.

Bei dem Abstimmungsverhalten blieb Indien auch in der Dringlichkeitssitzung der UN-Vollversammlung: 141 Mitgliedstaaten stimmten darin einer Resolution zu, die Russland zum sofortigen Abzug seiner Truppen auffordert. Fünf Länder stimmten dagegen. Indien und 34 andere Staaten enthielten sich – darunter auch Indiens Nachbarn Pakistan, Sri Lanka und Bangladesch.

Indien vermeidet direkte Kritik an Russland

Die Regierung in Neu-Delhi vermied es bisher auch in ihren öffentlichen Stellungnahmen, Russlands Militäraktion offen zu kritisieren. In einem Telefonat mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin forderte Indiens Premierminister Narendra Modi laut einer Regierungsmitteilung lediglich ein "sofortiges Ende der Gewalt". Anders als die EU-Staaten und die USA prangerte Modi den Angriff jedoch nicht direkt an. Stattdessen rief er "alle Seiten zu gemeinsamen Anstrengungen auf, um auf den Weg der diplomatischen Verhandlungen zurückzukehren".

Hinter Modis Zurückhaltung in der Krise stehen traditionell enge Beziehungen mit der Regierung in Moskau, die Indien bereits zu Zeiten der Sowjetunion pflegte. Im vergangenen Dezember betonten die beiden Länder ihre "besondere und privilegierte strategische Partnerschaft" bei einem Besuch Putins in der indischen Hauptstadt.

Geprägt wurde die Partnerschaft zuletzt in erster Linie von Rüstungsgeschäften: Indiens Militärausrüstung stammt Schätzungen zufolge zu rund 70 Prozent aus Russland. 2018 sagte Indien den Kauf von fünf russischen Luftabwehrsystemen des Typs S-400 für 5,5 Milliarden US-Dollar zu.

Die Vereinbarung stieß auf massiven Widerstand der USA. Die Regierung in Washington sieht Indien als einen zentralen Partner in ihrer Indo-Pazifik-Strategie, mit der sie darauf abzielt, einen Gegenpol zu China zu schaffen. Dass Indien gleichzeitig militärisch mit Russland kooperiert, wollten die Amerikaner aber nicht hinnehmen und stellten sogar Sanktionen in Aussicht.

Die indische Regierung zeigte sich davon unbeeindruckt: Die Lieferung des Luftabwehrsystems begann nach russischen Angaben Ende 2021. Zudem schlossen die beiden Länder im Dezember einen Vertrag über die Lieferung von 600.000 Kalaschnikow-Sturmgewehren ab, die in Indien produziert werden sollen.

Dass Indien bisher kaum auf Distanz zu Russland geht, liegt aber nicht nur an der Abhängigkeit von russischen Waffen. Die Regierung in Neu-Delhi will die guten Beziehungen nach Moskau auch nutzen, um zu verhindern, dass sich Russland zu sehr an China bindet – dem neben Pakistan größten Rivalen Indiens. Gleichzeitig riskiert Indien jedoch, durch seine Nähe zu Russland dem Verhältnis zu westlichen Staaten zu schaden. US-Präsident Joe Biden sagte dazu mit Blick auf den Ukraine-Konflikt, seine Regierung sei diesbezüglich in Gesprächen mit Indien: "Die Sache ist noch nicht ganz geklärt."

Neben geopolitischen Erwägungen beschäftigt Indiens Regierung auch die Frage, wie sie Tausenden in der Ukraine gestrandeten Staatsbürgern – vor allem Studentinnen und Studenten – helfen kann. Deren sichere Ausreise sei "höchste Priorität" für seine Regierung, sagte Modi im Gespräch mit Putin. Ähnlich äußerte sich der Premierminister in einem Telefonat mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, in dem er auch betonte, dass Indien bereit sei, "in jeder Hinsicht zu den Friedensbemühungen beizutragen".

Pakistan will mit Russland im Energiesektor zusammenarbeiten

Mit dem Versuch, sich als neutrale Kraft in dem Konflikt zu präsentieren, wählte Indien eine ähnliche Strategie wie sein Nachbar Pakistan, mit dem sich die Regierung in Neu-Delhi normalerweise nur selten einig ist. Der pakistanische Premierminister Imran Khan erklärte, er bedauere die Situation zwischen Russland und der Ukraine und sagte, sein Land habe auf eine diplomatische Lösung gehofft. Er machte aber auch klar, sich trotz des Angriffs auf die Ukraine, nicht von Russland abwenden zu wollen: An dem Tag, als Putin den Einmarschbefehl gab, traf er sich mit dem russischen Präsidenten persönlich im Kreml.

Bei dem Staatsbesuch diskutierten die beiden Politiker unter anderem Zusammenarbeit im Energiesektor. So wünscht sich Pakistan Russlands Unterstützung beim Bau einer 1100 Kilometer langen Gaspipeline. Die Hürden bei dem seit Jahren diskutierten Projekt seien nun zu 90 Prozent überwunden, hieß es nach dem Treffen zwischen Khan und Putin. Es war der erste Staatsbesuch eines pakistanischen Premierministers in Moskau seit mehr als zwei Jahrzehnten. Die Regierung in Islamabad sieht engere Kontakte zu Russland als Möglichkeit, sich in ihren internationalen Beziehungen breiter aufzustellen. Sie will sich aber auch nicht komplett auf Putins Seite schlagen: Denn auch mit der Ukraine war Pakistan zuletzt eng verbunden.

Steigende Energie- und Nahrungsmittelpreise werden zum Problem

Für Afghanistan rechnen Beobachter vorwiegend mit indirekten Auswirkungen: Das Land leidet seit der Machtübernahme der Taliban und dem Inkrafttreten internationaler Sanktionen unter einer humanitären Krise. Hilfsgelder, die die massive Armut lindern sollten, kommen bisher nicht in ausreichendem Maße an. Befürchtet wird nun, dass die Notlage in dem Land angesichts des Kriegs in der Ukraine in der öffentlichen Aufmerksamkeit und auf der Agenda der Politik weiter ins Hintertreffen gerät. Das Taliban-Regime forderte in einer Stellungnahme zum Ukraine-Krieg "beide Seiten" zur Zurückhaltung auf.

In anderen südasiatischen Ländern wie Bangladesch, Nepal und Sri Lanka stehen angesichts des Kriegs und der internationalen Sanktionen gegen Russland Sorgen vor höheren Energie– und Lebensmittelpreisen im Vordergrund. Bangladesch importiert beispielsweise Weizen im Wert von rund einer Milliarde Dollar pro Jahr aus Russland und der Ukraine. Gleichzeitig litt die Wirtschaft bereits vor Beginn des Konflikts unter steigenden Strom- und Kraftstoffpreisen. Höhere Ölpreise infolge des Kriegs würden auch in Indien die Wirtschaft treffen: Das Land bezieht 80 Prozent seines Erdölbedarfs aus dem Ausland.

Das finanziell kriselnde Sri Lanka muss zusätzlich um den Wegfall wichtiger Einnahmequellen fürchten: Fast ein Viertel der Touristen in dem Land kommen aus Russland oder der Ukraine. Russland gehört außerdem zu den größten Abnehmern von Sri Lankas Tee, einem wichtigen Exportgut. Der Kurssturz des russischen Rubel dürfte die Nachfrage russischer Konsumenten nach Produkten aus dem Ausland aber drastisch senken. Für Sri Lanka dürfte es dadurch noch schwerer werden, milliardenschwere Zahlungen auf Kredite zu leisten, die in diesem Jahr fällig wer