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Internationale Politik
Georgiens Rechtsstaat und der EU-Beitritt

People attend a rally to support Georgia's membership in the European Union
© picture alliance / EPA | ZURAB KURTSIKIDZE

Als die EU-Kommission im Juni 2022 Georgien eine europäische Perspektive, aber noch keinen Kandidatenstatus verlieh, lobte sie in ihrer Mitteilung die Reformen der letzten Jahre, aber sieht auch noch Probleme. Die Fortschritte bei den Justizreformen und deren Umsetzung sind nach Ansicht der Kommission ins Stocken geraten, und es waren einige Rückschritte zu verzeichnen (…) Es bestehe Handlungsbedarf in verschiedenen Bereichen: Verfahren bei der Besetzung des Obersten Gerichtshofs, System der zufälligen Zuweisung der Fälle an Richter, Ernennungsprozess der Staatsanwaltschaft usw.

Die Erwartungen der EU-Kommission

Die Europäische Kommission hat den Kandidatenstatus von Georgien an die Erfüllung von 12 Bedingungen geknüpft. Im Laufe des Jahres 2023 soll die Lage erneut bewertet werden. Die Regierungspartei versucht bis dahin zumindest den Anschein zu erwecken, im Parlament die notwendigen Schritte zu unternehmen, um die Anforderungen zu erfüllen. Dabei ist allerdings zu beobachten, wie zynisch die Regierung versucht, die EU-Anforderungen dafür zu nutzen, die eigene Macht noch mehr zu festigen und im Kern genau das Gegenteil von dem zu tun, was der Zielsetzung der 12 Bedingungen entspräche.

Wie ehrlich werden sie erfüllt?

Beispielsweise ist es geplant, eine neue Antikorruptionsstelle aufzubauen. Auch die EU-Kommission empfiehlt die stärkere Bekämpfung der Elitenkorruption. Das Problem ist nur, dass nach dem Entwurf der Regierungspartei - welche die dafür notwendige Mehrheit im Parlament hat - der Leiter dieser Behörde vom Ministerpräsidenten ernannt werden soll. Mit so einer Regelung macht die Schaffung dieser Behörde von vornherein wenig Sinn. Denn mit der Elitenkorruption sind die illegalen Machenschaften von hohen Beamten, Ministern oder den ihnen nahestehenden Personen gemeint, die ihrerseits dem Premierminister unterstehen bzw. zu seinem inneren Zirkel gehören oder große Parteispender sind. Nicht-Regierungsorganisationen und Opposition protestieren lautstark dagegen, aber je lauter sie werden, desto hartnäckiger und schneller werden solche Gesetze von der Regierungsmehrheit im Parlament verabschiedet - so zumindest die Erfahrung der letzten Jahre.  

Auch die Besetzung der freien Stellen im Obersten Justizrat, der zuständig für die Ernennung von Richtern ist, ist höchst umstritten. Auf der Europäisierungsagenda des georgischen Rechtssystems steht die Unabhängigkeit der Justiz ganz oben, aber in der Realität sind die meisten Mitglieder des Justizrats regierungsnahe Richter. Unter diesen Bedingungen auf die tatsächliche Unabhängigkeit der Gerichte zu hoffen, wäre naiv.

Insgesamt entsteht der Eindruck, dass die Regierung gezielt verschiedene Anforderungen der Europäischen Union torpediert, um die eigene Macht zu festigen, weil zu viel Liberalisierung und Unabhängigkeit verschiedener Behörden oder der Justiz als Gefahr gesehen wird. Gleichzeitig wird aber versucht, jeden Schritt formell als europarechtskonform zu verpacken.

Perspektive mit EU-Beitritt

Trotz der Rückschritte im georgischen Rechtssystem sollte die EU bedenken, dass Georgien im regionalen Vergleich (Südkaukasus, Osteuropa) immerhin etwas besser dasteht als andere Nachbarländer (Armenien, Aserbaidschan). Ernsthafte Justizprobleme haben sogar EU-Mitgliedsstaaten (z.B. Ungarn, Polen). Daher wäre es empfehlenswert, dem Land unter strenger weiterer Beobachtung den Kandidatenstatus zu geben, was vielleicht weitere Reformen anregen würde. Mit stärkerer Unterstützung der EU hätte die Zivilgesellschaft oder die Opposition eine größere Chance, die Gesamtlage zu beeinflussen.

Die Friedrich-Naumann-Stiftung unterstützt die Rechtsstaatsentwicklung seit einigen Jahren in Form des deutsch-georgischen Rechtsdialogs, der auch dieses Jahr im November wieder stattfand. Namhafte Experten aus Deutschland, Österreich und Liechtenstein sprechen zusammen mit georgischen Experten aus der Praxis und Wissenschaft über aktuelle Probleme bzgl. Strafjustiz, Strafrecht und Menschenrechten. Gemeinsam entwickeln sie Vorschläge für die Entwicklung des Strafrechts mit Fokus auf die Menschenrechte und mit Blick auf das Assoziierungsabkommen zwischen Georgien und der EU. Die Tagungsmaterialen werden als zweisprachige Publikation veröffentlicht und sind sowohl online als auch in Druckform kostenfrei erhältlich. Der deutsch-georgische Rechtsdialog bietet nachhaltige Kooperations- und Austauschmöglichkeiten zwischen georgischen und europäischen Experten und Studierenden.

Prof. Dr. Bachana Jishkariani, LL.M. (München), University of Georgia, Leiter des Instituts für georgisches, deutsches und nternationales Strafrecht Tbilissi, Georgien.