Tag der Deutschen Einheit
Keine Katerstimmung, bitte!
Vor 34 Jahren wurde Deutschland wiedervereinigt. In den vier Jahrzehnten der deutschen Teilung gab es allein in den fünfziger Jahren rund drei Millionen DDR-Flüchtlinge, anschließend 140 Todesopfer an der unmenschlichen Berliner Mauer nach deren Bau am 13. August 1961 bis zu ihrem Fall am 9. November 1989 – ganz zu schweigen von den vielen tragischen Fluchtversuchen an der mit Schusswaffen scharf bewachten innerdeutschen Grenze sowie dem Leid all jener Menschen in der DDR, denen der Weg in selbstgewählte Berufe und Karrieren durch das SED-Regime verwehrt wurde. Damit war 1989/90 endgültig Schluss, und die deutsche Wiedervereinigung besiegelte dieses Ende der sowjetsozialistischen Unmenschlichkeit.
Also: rundum Grund zur Freude und zum Feiern, auch am 3. Oktober 2024. Allerdings fällt auf, dass die letzten Wahlergebnisse in den drei ostdeutschen Ländern Brandenburg, Sachsen und Thüringen derzeit die Stimmung massiv trüben. Tatsächlich fragen sich vor allem Westdeutsche, was denn mit den Ostdeutschen los ist, die in Scharen zwei Parteien wählen, die in hohem Maße populistisch sind – scharf Rechts die AfD, mit merkwürdiger Melange von extremer Linke und Rechte das BSW. Sie übersehen dabei geflissentlich, dass auch im Westen die Sympathie für AfD und BSW drastisch gestiegen ist, auch wenn deren Niveau dort noch niedriger liegt. Sie übersehen auch, dass beide – Ost- und Westdeutschland – einen internationalen Trend zum Rechtspopulismus nachholen, der sich in anderen Ländern wie Frankreich, Italien, den Niederlanden, Österreich, der Schweiz sowie Polen, Ungarn und den USA längst Bahn gebrochen hat. Sie übersehen auch, dass sich das Alltagsleben in West und Ost Deutschlands kaum unterscheidet: Es gibt auf den Straßen des Ostens keinen rechten Terror wie im Deutschland der Nazizeit. Und auch in den Bürgervertretungen nehmen die politischen Entscheidungsprozesse ihren wohlgeordneten demokratischen Verlauf, von den großen Städten bis zu kleinen Gemeinden, von den Landkreisen bis zu den Landtagen.
Wo ist nur die allseits gefürchtete „rechte Revolution“ im Lebensstil und Politikverständnis? Tatsächlich zeigt eine Untersuchung des Allensbach-Instituts, dass sich die West- und Ostdeutschen in ihren Sorgen, Werten und Ängsten nur mäßig unterscheiden – die Ostdeutschen sind in der Tendenz ein wenig konservativer und skeptischer gestimmt, was leicht damit zu erklären ist, dass viele von ihnen biografisch tiefere Einschnitte und Unsicherheiten erlebt haben als die meisten Westdeutschen. Lediglich beim Vertrauen in die Demokratie als bestmögliche Staatsform ist der West/Ost-Unterschied größer. Von dieser Gefühlslage der vagen Unzufriedenheit zum Wunsch nach „Umsturz“ ist aber noch ein weiter Weg.
Allerdings ist dieser Gemütszustand auch ein Weckruf für die Politik: Sie muss liefern, und zwar in jenen Kernbereichen, in denen die Menschen derzeit zu Recht den größten Handlungsbedarf sehen: Kontrolle der irregulären Zuwanderung, Schutz der öffentlichen Ordnung, Förderung des Wirtschaftswachstums und der Beschäftigung. Daneben muss die Politik aufhören, die Menschen in ihrem Lebensstil zu gängeln. Alle Versuche, die Freiheit der Meinung und des Lebensstils durch Aufstellen von Regeln der politischen Korrektheit einzuschränken, werden übelgenommen. Dies gilt überall, in West wie Ost, aber die erwähnte Allensbach-Umfrage zeigt auch, dass die Ostdeutschen noch erheblich allergischer darauf reagieren. Dass ihnen eine selbsternannte Elite vorschreibt, was moralisch „gut“ und was „böse“ ist, mögen sie überhaupt nicht. Und da ist es auch gleichgültig, ob diese „Elite“ – wie vor 1989 der Sowjetsozialismus – dezidiert undemokratisch ist oder sich nur aus grün gesinnten Stadtbewohnern rekrutiert.
Diese Erkenntnis sollten sich alle zu Herzen nehmen. Einen paternalistischen Moralwächter brauchen wir in Deutschland nicht, egal wie er sich selbst ermächtigt. Immerhin hat Deutschland vor 34 Jahren seine Einheit in Freiheit erreicht, und die sollten wir bewahren. Und gemeinsam feiern!