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Türkei
Alevis wollen ihre Gebetshäuser für LGBTI+-Begräbnisse öffnen

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Die Entscheidung ist mehr als ein symbolischer Meilenstein, denn sie zielt darauf ab, LGBTI+- und insbesondere Transgender-Personen vor den oft diskriminierenden Praktiken bei Beerdigungen zu schützen

©  picture alliance / ZUMAPRESS.com | Tunahan Turhan

Gute Nachrichten über die Lage der LGBTI+-Community in der Türkei gibt es selten. Zwar stehen Homo- und Transsexualität in der Türkei nicht unter Strafe, jedoch sind Ressentiments tief in der Gesellschaft verwurzelt, und unter der AKP-Führung wächst der Druck auf die Gemeinschaft seit Jahren. Pride-Paraden, auf denen zu Spitzenzeiten 100.000 Menschen Seite an Seite für Diversität und Gleichstellung demonstrierten, wurden ab 2015 verboten. Im Juli 2021 wurde der Austritt aus der Istanbul-Konvention zum Schutz von Frauenrechten beschlossen. Die Begründung: Die Konvention werde von einem Teil der Bevölkerung instrumentalisiert, um Homo- und Transsexualität zu normalisieren, was mit den sozialen und familiären Werten der Türkei nicht vereinbar sei. Zu Beginn der Pandemie im Frühjahr 2020 machte Diyanet, die oberste staatliche Einrichtung zur Verwaltung von religiösen Angelegenheiten, die LGBTI+-Gemeinschaft gar für den Ausbruch der Covid-19-Pandemie verantwortlich.

Unterstützung kam nun überraschenderweise von den drei größten türkischen Aleviten-Organisationen, die im Mai auf ihrem Symposium in Izmir verkündeten, alevitische Gebetshäuser zukünftig auch für LGBTI+-Bestattungen zu öffnen. Das Alevitentum ist mit ca. 14 Millionen Menschen die zweitgrößte Glaubensrichtung in der Türkei, hat sich aus dem Schiismus entwickelt und vereint verschiedene vor-islamische Religionen Mesopotamiens und den Sufismus (islamische Mystik) in sich. Das Alevitentum gilt in der Türkei noch immer als Kultur-, nicht als Glaubensgemeinschaft, was weitreichende Folgen für die Ausübung des alevitischen Glaubens hat. So hat der türkische Staat alevitische Gebetshäuser (türkisch: Cemevi) offiziell bis heute nicht als solche anerkannt.

Applaus brach unter den teilnehmenden NGOs aus, als Ercan Geçmez, der Vorsitzende der Hacı-Bekaş-Veli-Kulturstiftung die überraschende Ankündigung auf dem 3-tägigen Symposium machte. Er erklärte, dass Aleviten nach Jahren der Diskriminierung ihrer religiösen Rituale in Moscheen gezwungen waren, ihre eigenen Gebetshäuser zu bauen. „Heute stehen LGBTI+-Personen vor denselben Problemen wie wir. Aleviten handeln solidarisch, weil sie solche Missstände niemandem wünschen würden. Deshalb haben wir die Ankündigung gemacht.“

Die Entscheidung ist mehr als ein symbolischer Meilenstein, denn sie zielt darauf ab, LGBTI+- und insbesondere Transgender-Personen vor den oft diskriminierenden Praktiken bei Beerdigungen zu schützen. Yıldız Tar, Chefredakteur von KaosGL, der größten LGBTI+-Organisation im Lande, zeigte sich angenehm überrascht. Oft komme es vor, dass Imame vermeiden, Bestattungen von LGBTI+- und insbesondere von Trans-Personen durchzuführen, so Tar. Außerdem würden auch Leichenwäscher oft davor zurückscheuen, die traditionelle Waschung bei Trans-Personen abzuhalten. Getragen werden solche Praktiken durch einen von Diyanet herausgegebenen Leitfaden für Bestattungen aus dem Jahr 2008. Dort wurde u.a. festgehalten, dass auch Trans-Personen, die sich einer Geschlechtsumwandlung unterzogen haben, im Todesfall als Nicht-Trans-Personen bestatten werden sollen.

Außergewöhnlich ist auch die Entscheidung der drei Alevi-Organisationen, LGBTI+-Begräbnisse unabhängig ihrer Glaubensrichtung zu akzeptieren: „Für Aleviten werden wir eine Bestattung mit alevitischen religiösen Ritualen sicherstellen. Wenn sie keine religiösen Rituale wollen, dann können sie [ihre Beerdigungen organisieren], wie sie wollen. Unsere Plätze gehören ihnen“, berichtete Geçmez.

Mit ihrer Entscheidung bringen die Alevi-Organisationen Homo- und Transsexualität in der Türkei wieder auf die Tagesordnung und machen den Weg frei für eine Auseinandersetzung mit dem Thema, die nicht politisch-ideologisch aufgeladen ist. LGBTI+-Personen nicht nur im juristischen, sondern auch im religiösen Kontext gleichzusetzen, hat das Potential, dass sich konservativere Teile der Gesellschaft mit dem Thema auseinandersetzen und LGBTI+ zu einem Teil ihrer Lebensrealität wird. Bisher gab es noch keine offizielle Stellungnahme seitens der Regierung oder Diyanet, aber über kurz oder lang wird sich auch die sunnitische Mehrheitsgesellschaft und deren Institutionen mit der LGBTI+-Gemeinschaft beschäftigen müssen, werden doch Alevitinnen und Aleviten bis heute vom türkischen Staat als Moslems registriert und behandelt.