Türkei
Die griechisch-türkischen Beziehungen aus griechischer Perspektive
Griechenland und die Türkei befinden sich seit langer Zeit im Konflikt miteinander. Immer wieder kommt es zu Spannungen, die durch die offensichtliche Machtdynamik zwischen den beiden Ländern zugenommen haben und dauerhaft von internationalen Konflikten beeinflusst werden. Bisher waren die Länder in der Lage, offene Konflikte zu verhindern – mit Ausnahme von zwei Fällen: Erstens die türkische Invasion Zyperns während des Kalten Kriegs im Jahr 1974 und die anhaltende illegale Präsenz von 40.000 Soldaten im nördlichen Teil der Insel. Wenngleich dies kein direkter Konflikt zwischen den beiden Ländern war, schrillten in Griechenland die Alarmglocken hinsichtlich der Bereitschaft und Fähigkeit der Türkei, ihre Macht auf seine kleineren und schwächeren Nachbarn auszudehnen. Zweitens die Imia-Krise Anfang 1996, die jedoch mithilfe von US-diplomatischen Bemühungen entschärft werden konnte.
Neubewertung strategischer Relevanz
Seit 1996 arbeiteten die beiden Länder einvernehmlich an der Verbesserung ihrer bilateralen Beziehungen mit Erfolgen um die Jahrtausendwende herum, als sich die Türkei um eine EU-Mitgliedschaft bemühte. Aufgrund der Unfähigkeit der Türkei die Beitrittskriterien zu erfüllen und der ambivalenten Haltung der EU zur Türkei, sind die Spannungen zwischen den beiden Ländern jedoch wieder in den Vordergrund getreten. Tatsächlich entsprechen sie auch der zunehmenden Tendenz der Türkei zu einer Art strategischer Autonomie, die darauf abzielt, ihre Verhandlungsmacht im Westen zu stärken und sich als unverzichtbare Regionalmacht zu profilieren. Der transaktionale Charakter der Weltordnung im letzten Jahrzehnt in Verbindung mit dem rücksichtslosen Führungsstil der Trump-Präsidentschaft ermöglichte es der türkischen Regierung, sich auf die seit Jahrzehnten (mindestens seit den frühen 1950er Jahren) gängige Meinung zu verlassen, dass die strategische Bedeutung der Türkei für den Westen eine Selbstverständlichkeit sei. Dies bedeutet auch, dass die Vereinigten Staaten der Türkei weiterhin entgegenkommen würden, obwohl es zu wachsenden politischen Meinungsverschiedenheiten im Irak, in Syrien und auch in Bezug auf Russland kam. Die Dynamik veränderte sich zusehends, als die USA die Sicherheit ihrer Ressourcen (einschließlich ihrer Atomwaffen) auf dem türkischen Luftwaffenstützpunkt Incirlik durch die Kappung der Stromleitung von der türkischen Regierung nicht mehr gewährleisten konnte und durch den Erwerb des russischen Luftabwehrsystems S-400. Die Vereinigten Staaten begannen, die strategische Relevanz der Türkei zu überdenken und ihre Verteidigungsabkommen mit mehreren Nachbarländern, darunter Griechenland, zu stärken.
Unverlässlicher Partner
Der vollumfängliche Einmarsch Russlands in die Ukraine hat die Divergenzen zwischen der Türkei und ihren europäischen Verbündeten sowie den Vereinigten Staaten weiter verstärkt. Daraus resultierten auch die Wiederentdeckung eines wertebasierten westlichen Gegenpols und die Entschlossenheit, der russischen Bedrohung zu begegnen. Im Laufe des Jahres 2022 hat der Westen versucht, den folgenden fünf Herausforderungen zu begegnen, die von Russlands Handlungen ausgingen: Energiesicherheit, Lebensmittelsicherheit, nukleare Bedrohung, Verbreitung von Desinformation und die Verteidigung der Ukraine. Die koordinierte Reaktion des Westens findet jedoch überwiegend ohne den Beitrag der Türkei statt, da diese sich den verhängten Sanktionen gegen Russland nicht anschließt.
Sicherheitspolitischer Futterneid
Ausgehend von den skizzierten Problemen, verdeutlicht die Zuspitzung der griechisch-türkischen Spannungen die Versuche der Türkei, ihre schwindende strategische Relevanz zurückzugewinnen. Dies spiegelt sich vor allem darin wider, dass die Türkei als Störfaktor an der Südostflanke des NATO-Bündnisses auftreten kann, wenn ihre Positionen nicht berücksichtigt werden. Tatsächlich ging der Anstieg der antigriechischen Rhetorik der türkischen Führung stets mit der Verurteilung des Vorgehens der USA oder Frankreichs einher, wie z.B. nach der Erhöhung der US- und NATO-Ressourcen in Griechenland beziehungsweise die mögliche Einbeziehung Griechenlands in das F-35-Programm.
Ein Konter gegen die türkische Doktrin
Für Griechenland bedeutet diese verstärkte militärische Präsenz eine erhöhte Abschreckungsfähigkeit gegenüber der Türkei – in den 2010er Jahren musste es wegen der wirtschaftlichen Krise die Verteidigungsausgaben des Landes erheblich reduzieren. Darüber hinaus war der koordinierte Versuch der türkischen Regierung im März 2020, die Grenze zwischen Griechenland und der Türkei mit illegalen Migranten zu „überschwemmen“, ein Weckruf für die griechische Öffentlichkeit und erinnerte an die türkische Instrumentalisierung der Flüchtlingskrise 2015. Die Spannungen im östlichen Mittelmeer im Herbst 2020, als Ankara angrenzenden Seegebieten nach Erdgasvorkommen suchte, die Infragestellung der griechischen Souveränität über eine Reihe griechischer Inseln oder die kontinuierliche Zunahme illegaler Überflüge türkischer Jets und Drohnen über griechisches Hoheitsgebiet haben die griechische Entschlossenheit gestärkt, dem wachsenden türkischen Selbstbewusstsein entgegenzutreten.
Antigriechische Rhetorik befeuert die Spannungen
So ergibt sich derzeit eine Patt-Situation. Zusätzlich machen innenpolitische Entwicklungen in der Türkei, die beiden Jahrestage der türkischen Siege gegen die Griechen im Jahr 1922 und die Gründung der türkischen Republik im Jahr 1923, Griechenland zu einem geeigneten "Sündenbock", um die Unterstützung der öffentlichen Meinung in der Türkei zu gewinnen, da sich das Land kurz vor einer ausgedehnten Wahlperiode und inmitten eines schweren wirtschaftlichen Abschwungs befindet. Dies wird den Konflikt zwischen den beiden Ländern weiter aufrechterhalten und weitere Spannungen begünstigen.