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NATO-Beitritt
Was lange währt: Türkisches Ja zum schwedischen NATO-Beitritt

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan (links) schüttelt dem schwedischen Ministerpräsidenten Ulf Kristersson (rechts) die Hand, während NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg vor einem Treffen im Vorfeld eines NATO-Gipfels zusieht.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan (links) schüttelt dem schwedischen Ministerpräsidenten Ulf Kristersson (rechts) die Hand, während NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg vor einem Treffen im Vorfeld eines NATO-Gipfels zusieht.

© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Yves Herman

Mit der Entscheidung des türkischen Parlaments vom 23. Januar 2024 rückt der NATO-Beitritt Schwedens in greifbare Nähe.  287 Abgeordnete der regierenden AKP und MHP sowie der größten Oppositionspartei CHP hatten dafür gestimmt, 55 Abgeordnete dagegen. Dass die Entscheidung annähernd zwei Jahre dauern würde, hatte wohl niemand vermutet, als Schweden gemeinsam mit Finnland im Mai 2022 die Aufnahme ins Militärbündnis beantragte. Unter dem Eindruck des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine schien es eine Selbstverständlichkeit, dass die bislang 30 Mitglieder dem veränderten Sicherheitsbedürfnis der beiden Länder Rechnung tragen und der „Norderweiterung“ zustimmen würden. Überraschend hatte jedoch die Türkei ihr Veto eingelegt und Bedingungen für eine effektivere Terrorbekämpfung insbesondere an Schweden gestellt. Doch auch der türkische Wunsch nach amerikanischen F-16-Kampfflugzeugen und andere Faktoren trugen zur fast zweijährigen Blockade aus Ankara bei. Ob der Gewinn der Türkei durch das schwedische Entgegenkommen im Bereich Terrorbekämpfung und ein noch nicht abgeschlossener F-16-Kauf größer sind als der Schaden in den Beziehungen mit den NATO-Partnern, ist fraglich.

Mit der Entscheidung des türkischen Parlaments vom 23. Januar 2024 rückt der NATO-Beitritt Schwedens in greifbare Nähe.  287 Abgeordnete der regierenden AKP und MHP sowie der größten Oppositionspartei CHP hatten dafür gestimmt, 55 Abgeordnete dagegen, unter anderem aus der nationalistischen İYİ-Partei. Fünf Parlamentarier enthielten sich. Dass die Entscheidung annähernd zwei Jahre dauern würde, hatte wohl niemand vermutet, als Schweden mit Finnland im Mai 2022 die Aufnahme ins Militärbündnis beantragte. Unter dem Eindruck des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine schien es eine Selbstverständlichkeit, dass die bislang 30 Mitglieder dem veränderten Sicherheitsbedürfnis der beiden Länder Rechnung tragen und der „Norderweiterung“ zustimmen würden. Überraschend hatte damals die Türkei ihr Veto eingelegt und Bedingungen gestellt: Die beiden Kandidaten müssten zunächst ihre Unterstützung für die PKK und alle mit ihr verbundenen Gruppen und Personen einstellen; Personen, gegen die in der Türkei Terrorvorwürfe bestünden, müssten ausgeliefert werden; und schließlich müssten die bestehenden Waffenembargos gegen die Türkei aufgehoben werden.

Hochrangiger schwedischer Besuch in Ankara und intensive Gesprächsdiplomatie unter Leitung von NATO-Generalsekretär Stoltenberg brachten zunächst keinen Durchbruch. Unmittelbar vor dem NATO-Gipfel am 28. bis 30. Juni 2022 zog die Türkei dann ihr Veto zurück und machte vermeintlich den Weg frei für den Beitritt beider Länder. In einem gemeinsamen Memorandum zwischen Türkei, Schweden und Finnland wurden verstärkte Anstrengungen bei der Terrorbekämpfung und eine Aufhebung des Waffenembargos zugesagt und die Schaffung eines gemeinsamen Dialog- und Kooperationsmechanismus vereinbart. Doch der türkische Außenminister Mevlet Çavuşoğlu machte mit Hinweis auf die ausstehende parlamentarische Ratifizierung deutlich: „Das Veto fängt jetzt erst an.“ Während der türkische Präsident seinen Widerstand gegen die finnische NATO-Mitgliedschaft im weiteren Verlauf aufgab und das Land zum 4. März 2023 dem Bündnis beitrat, zog sich der Prozess mit Schweden schier ins Unendliche. Und das, obwohl Stockholm den durchaus berechtigten türkischen Interessen zur Bekämpfung des PKK-Terrorismus mit Änderungen der Antiterrorgesetzgebung und Verfassung sowie der Auslieferung einiger Personen ohne Zeitverzug nachkam.

Diplomatische Taktiken und innenpolitische Faktoren als Gründe für die Verzögerung

Die Gründe für die Verzögerung liegen einerseits in der Tatsache, dass die Türkei mit ihrem Veto weitere Ziele zu erreichen versuchte, namentlich die Lieferung von F-16-Kampfflugzeugen und Ersatzteilen für die bestehende Flotte aus den USA. Diese sind seit Jahren sanktioniert; die Beziehungen zwischen Washington und Ankara blieben unterkühlt, spätestens, seit die Türkei das russische Raketenabwehrsystem S400 eingekauft hat und beide Staaten in Syrien unterschiedliche militärische Ziele verfolgen.

Erdogan
© picture alliance/AP Photo | Kayhan Ozer

Doch auch „weichere“ Faktoren trugen dazu bei, den Prozess in die Länge zu ziehen. So war die öffentliche Zurschaustellung einer einflussreichen internationalen Position der Türkei sicher nicht von Schaden in einem Wahlkampf, in dem Recep Tayyip Erdoğan angesichts der hausgemachten Inflationskrise und sinkender Umfragewerte für seine Volksallianz unter Druck stand. Nach den Wahlen im Mai 2023 führten Ereignisse wie die Koranverbrennung in Stockholm zur Verhärtung der türkischen Position. Bei dergleichen provozierenden Aktionen kann auch eine russische Einflussnahme nicht ausgeschlossen werden, wie die finnische Zeitung Yle im Dezember 2023 mit Verweis auf  geleakte russische Geheimdienstdokumente berichtete. Kurz vor dem NATO-Gipfel in Vilnius am 12. und 13. Juli 2023 brachte Erdoğan zudem die Wiederaufnahme des EU-Beitrittsprozesses der Türkei als neue Bedingung ins Spiel. Nachdem er seinen Widerstand am Vorabend des Gipfels vermeintlich aufgegeben  hatte, war die Ratifizierung im türkischen Parlament für die neue Sitzungssaison im Herbst 2023 erwartet worden. Sie trat allerdings angesichts des Hamas-Angriffs auf Israel am 7. Oktober und der divergierenden Ansichten der Türkei und ihrer westlichen Partner dazu in den Hintergrund. Nun konnte Ankara die vermeintliche Bedeutung des türkischen Parlaments demonstrieren. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses der Großen Nationalversammlung Fuat Oktay wird von der Nachrichtenseite Middleeasteye mit der Aussage zitiert: “Sie erwarten immer, dass wir unsere westlichen Verbündeten überzeugen. Jetzt müssen sie lernen, dass man uns auch überzeugen muss.“ Der persönliche Anruf Präsident Bidens bei seinem türkischen Amtskollegen im Dezember wird seinen Anteil am Überzeugen gehabt haben.

Nach monatelangem Vetospiel: Was hat die Türkei wirklich gewonnen?

Fraglich bleibt, was die Türkei durch das monatelange Vetospiel tatsächlich gewonnen hat. Die gewünschten 40 neuen F-16-Kampfflieger und 79 Modernisierungs-Sets sind vermutlich avisiert worden, in Ankara erwartet man unmittelbar die formelle Benachrichtigung des Kongresses über den milliardenschweren Verkauf. In der Hand hat die Türkei die Flieger jedoch noch nicht. Auch die ebenso geforderte Aufhebung des kanadischen Waffenembargos steht aus. Selbst wenn Erdoğan über die schwedischen Zugeständnisse bei der Terrorbekämpfung hinaus am Ende den Einkauf der F-16 erreicht hat: Die Angelegenheit hat die Beziehungen zu den USA und anderen NATO-Partnern erheblich belastet und die Verlässlichkeit der Türkei in Frage gestellt.

Was lange währt, wird endlich gut? Ganz so sieht es aus, denn die Entscheidung wurde nach finaler Unterschrift des Präsidenten am Abend des 25. Januar im Amtsblatt veröffentlicht und ist somit rechtskräftig. Vermutungen, es könnte auf den letzten Metern zu einer weiteren Verzögerung kommen, bewahrheiteten sich nicht. Nun steht nur noch das ungarische Veto einem NATO-Beitritt Schwedens im Wege.