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Eine Kolumne von Karl-Heinz Paqué

US-Wahlen
Trump vs. Biden: Die unsichtbare Mitte

Ob es uns gefällt oder nicht: Trump hat die Erwartungen seiner Wähler von 2016 erfüllt. Sie haben ihn 2020 nicht abgestraft.
US-Election Countdown

Noch wird ausgezählt, noch ist nichts entschieden. Aber alles deutet darauf hin, dass der neue amerikanische Präsident Joe Biden heißen wird. Das Ergebnis wird äußerst knapp ausfallen, um 50 Prozent für Biden und ein wenig darunter für Trump, der aber wegen der hohen Wahlbeteiligung wohl mehr Stimmen erhalten wird als 2016. Präsident Biden, so hört man schon von überall, muss dann das gespaltene Amerika versöhnen. Das wird die innenpolitische Hauptaufgabe seiner Amtszeit.

Dazu passt das Bild der Nachwahlbefragung. Die tiefe Spaltung wird in allen wahlentscheidenden Themen sichtbar. Die Einstellungen zu Wirtschaft, Corona und Rassismus könnten kaum unterschiedlicher sein. 62 Prozent der Trump Wähler nennen als wichtigsten Wahlgrund Trumps Wirtschaftspolitik. Dagegen beschreiben 80 Prozent der Biden-Wähler die wirtschaftliche Lage als schlecht. 87 Prozent der Trump-Wähler stellen der Trump-Administration in Sachen Corona gute Noten aus. 82 Prozent der Biden-Wähler sind dagegen der Meinung, dass die Eindämmung überhaupt nicht funktioniert habe. Und: Für 36 Prozent der Biden-Wähler war das Thema Rassismus wahlentscheidend. Klar ist: Biden wird auf vielen unterschiedlichen Politikfeldern aktiv sein müssen, um die Interessen nicht nur seiner Wählerklientel, sondern der diversen amerikanischen Bevölkerung zu wahren – und die Gesellschaft so wieder zu versöhnen.

Okay. Aber was genau heißt „versöhnen“? Und vor allem: Wer muss mit wem versöhnt werden? Anhaltspunkte dafür geben die Wahlprognosen, gerade weil sie gründlich daneben lagen. Die Demoskopen sahen unisono einen Erdrutschsieg von Biden voraus. Seine Führung in den „Polls“ war über Monate ziemlich stabil bei acht Prozent. Woran lag die Fehleinschätzung? Bestimmt nicht an mangelnder Qualität der „Pollster“-Arbeit, denn kein anderes Land in der Welt verfügt über derart umsichtige Umfrage-Profis wie die USA. Am plausibelsten ist wohl die These, dass Trump-Wähler bei Weitem nicht so bekenntnisfreudig sind wie die Wähler des linksliberalen Establishments. Es gibt eine Art Schweigespirale, deren Größenordnung schwer einzuschätzen ist. Sie macht die Trump-Mitte der Gesellschaft merkwürdig unsichtbar – mangels Bekenntnisfreude.

Viele Amerikaner haben Donald Trump ins Herz geschlossen

Wie erklärt sich das? An dieser Stelle wird es wirklich interessant. Viele Beobachter orten nämlich eine Spaltung der Gesellschaft zwischen „Gewinnern“ und „Verlierern“ der Globalisierung, wobei Erstere zum linksliberalen Establishment neigen, Letztere zum rechten Populismus. Da ist auch sicherlich was dran, und es mag einige große Muster der Wahl erklären, nämlich die Hochburgen des Demokraten Biden an den Küsten und die des Republikaners Trump im Süden und im mittleren Westen. Allerdings fragt man sich: Ist das wirtschaftliche Gefälle wirklich so gewaltig, um das Muster hinreichend zu begründen? Geht es Kentucky oder Missouri wirklich so viel schlechter als Maine oder Vermont, und dies dann auch noch als Ergebnis der Globalisierung?

Vielleicht müssen wir uns doch daran gewöhnen, dass sehr viele ganz normale Amerikaner, die wirtschaftlich gar nicht schlecht dastehen, Donald Trump ins Herz geschlossen haben. Und dies gerade deshalb, weil sie selbst relativ unpolitisch und vage konservativ fühlen - und eben dezidiert nicht progressiv. Sie hängen an den klassischen amerikanischen Werten, von der Freiheit über Familie bis zur Religion. Sie wollen, um nur ein Beispiel zu nennen, wirklich keine Sozialversicherung wie in europäischen Ländern - das ist ihnen viel zu kollektivistisch. Übrigens sind es gleichwohl zumeist überaus herzliche Menschen - offen und gastfreundlich gegenüber Besuchern, keineswegs verbiesterte Besserwisser und frustrierte Verlierertypen.

Es ist dieses Amerika, das 2016 Donald Trump eine Chance gegeben hat zu zeigen, wie es ihm gelingt, sein Versprechen umzusetzen: „Make America great again“. Und sie finden in der großen Mehrheit: Das hat er gar nicht schlecht gemacht; jedenfalls hat er es mit Courage versucht. Für uns europäische Beobachter – und unsere linksliberalen Freunde in den USA – ist dieses Urteil völlig unverständlich. Mehr als das: Es ist uns weder intellektuell noch emotional zugänglich. Denn zu offensichtlich ist aus unserer Sicht Trumps Versagen: sein raues, rücksichtsloses, rüdes Auftreten, seine unzähligen Fakes und Lügen, sein neurotisches Getwitter und natürlich sein außenpolitisches Getrampel fernab subtiler Diplomatie. 

Kampagne der Demokraten scheiterte

Für uns ist dies alles widerlich schlechter Stil. Für den durchschnittlichen Amerikaner, also den relativ unpolitischen, wertkonservativen Bürger der Vereinigten Staaten, ist es dies offenbar nicht. Im Gegenteil, es strahlt jene männliche Entschlossenheit und Härte aus, die eben zwingend zum „political business“ gehört, so jedenfalls die weitverbreitete Vorstellung. Und wenn einem dann diese Vorstellung auch noch als Kontamination der amerikanischen Werte und Würde im Wahlkampf vorgehalten wird, dann bestärkt das noch die Entschlossenheit, Trump zu wählen, ohne es allerdings bei Umfragen laut zu bekunden.

Tatsächlich liefen große Teile des Wahlkampfs der Demokraten darauf hinaus, mit Pathos eine staatstragende Pose einzunehmen. Nach dem Motto: Wählt uns, sonst geht die amerikanische Wertewelt unter. Eigentlich eine anmaßende Botschaft. Und obendrein eine rein negative, die an die hilflose Anti-Brexit-Kampagne von David Cameron 2016 erinnert, als es sinngemäß hieß: Liebe Briten, bleibt bitte in der EU, damit nichts ganz Schlimmes passiert. Auch diese Kampagne scheiterte kläglich.

Diesmal hat eine gescheiterte Kampagne wohl wenigstens noch eine hauchdünne Mehrheit gesichert. Joe Biden wird also zeigen dürfen, wie er die USA „versöhnt“. Mit Moral und Pathos wird dies allerdings nicht funktionieren. Es bedarf schon ein Stück jener „männlichen“ Führungskraft, die Donald Trump – wenn auch in pervertierter Form – ausgestrahlt hat. Dies werden wir vor allem in der Außen-, Handels- und Sicherheitspolitik Amerikas zu spüren bekommen. Denn die wertkonservative Mitte Amerikas erwartet vor allem, dass die freiheitliche Weltmacht nach ihrem eigenen Verständnis nicht düpiert und herumgeschubst wird, und zwar egal von wem - sei es China, Europa oder Russland. Das muss alles nicht schlecht sein, solange es in einer kooperativeren Form geschieht, als dies Donald Trump jemals in seiner Amtszeit tat. Warten wir es ab – mit Spannung.