Wahl in Polen
Stopp für PiS!
Merkwürdig! Seit Monaten herrscht überall unter liberal gesinnten Zeitgenossen eine angstvolle Beklommenheit, dass - wo immer wir hinschauen - Populismus, Nationalismus und Autokratie an Gewicht gewinnen. Und ausgerechnet in diese düstere Stimmungslage platzt das Ergebnis der Parlamentswahlen in unserem großen Nachbarland Polen: krachende Niederlage der regierenden nationalkonservativen PiS-Partei - 35,4 % der Wählerstimmen, -8,2 Prozentpunkte gegenüber 2019; drastische Zugewinne (insgesamt 9,1 Prozentpunkte) der bürgerlich-liberalen Opposition aller Couleurs, die bei dem wechselhaften Farbenspiel des demokratischen Zentrums, des Wahlbündnisses "Dritter Weg", in Polen nur schwer exakt auszumachen sind.
Egal! Völlig eindeutig ist die Niederlage des rechten Lagers im politischen Spektrum gegenüber der Mitte. Und übrigens ließ auch die vereinigte Linke ("Lenica") ordentlich Federn - mit einem Minus von vier Prozentpunkten. Der Trend zur Mitte ist also eindeutig, auch wenn eine Regierungsbildung unter Führung der Bürgerplattform ("KO") unter Donald Tusk unter Einschluss des extrem heterogenen Wahlbündnisses Dritter Weg und der geschrumpften vereinigten Linken Lenica recht schwierig wird und Monate dauern kann, zumal PiS schon damit beginnt, einem Machtwechsel mit allerlei Tricks entgegenzuarbeiten.
Wie ist dieser "Ruck zur Mitte" zu erklären? Wie stets bei Parlamentswahlen spielen Spezifika der Landespolitik die entscheidende Rolle - und das hässliche Erscheinungsbild der Regierung, die wohl durch allzu schrille antideutsche und antieuropäische Töne den Bogen überspannt hat. Dadurch trat die durchaus ordentliche Wirtschaftsbilanz des Landes in den Hintergrund.
Wichtiger bei der Erklärung des Rucks zur Mitte ist aber eine ganz grundsätzliche Erkenntnis: Die liberalen Grundgedanken von Demokratie, Rechtsstaat und Marktwirtschaft sind in Polen keineswegs völlig abgestorben, wie so mancher voreilig-skeptische Beobachter aus dem Westen glaubte - auch nicht in der tief gespaltenen polnischen Gesellschaft. Die Wahlbeteiligung war extrem hoch, und in den eher urban geprägten Regionen Westpolens und unter den wahlberechtigten Auslandspolen gab es eine klare Mehrheit für einen Kurswechsel zurück zu jenem Liberalismus, der die polnische Politik in den ersten beiden Dekaden nach der Demokratisierung der frühen neunziger Jahren beherrschte.
Gäbe es nicht die aufgeregten Diskussionen um den Aufstieg des Autoritären, könnte man auf den Gedanken kommen, es handele sich schlicht um einen ganz normalen Stimmungsumschwung in einer etablierten Demokratie, zu dem man nur gratulieren kann - ohne Euphorie, aber mit Respekt. Die Polen haben eben demokratische Reife gezeigt, allen Untergangsszenarien westlicher Medien zum Trotz.
Ganz so einfach ist es allerdings auch wieder nicht. Die Gesellschaft bleibt natürlich tief gespalten - zwischen Stadt und Land, zwischen Bildungsschichten und vor allem zwischen dem Westen, wo die bürgerliche Opposition klar siegte, und dem Osten, wo weiterhin PiS dominiert. Darüber hinaus hat PiS seit 2015 regiert und institutionelle Sperrklingen gegen eine Re-Demokratisierung aufgebaut, vor allem im Justizwesen. Der Aufbau eines funktionierenden Rechtsstaats ist eben komplizierter als dessen Abbau, und da hat PiS durch massive Nominierungen von genehmen Richtern im Justizsystem acht Jahre lang ganze Arbeit geleistet.
Trotzdem ist nun klar: Der Weg in den autoritären Staat ist keine Schussbahn ohne Stopp - vor allem dann, wenn er auf zähen Widerstand einer resilienten Zivilgesellschaft trifft. Und die gibt es in Polen. Sie ist politisch die Brutstätte für die Re-Demokratisierung. Diese Zivilgesellschaft gibt es auch anderswo in postsozialistischen Ländern Mittel- und Südosteuropas - in Tschechien und der Slowakei, in Rumänien und Bulgarien, in Slowenien und Kroatien, und vielleicht selbst in Ungarn, wo der bekennende Illiberale Viktor Orbán sein Land viel länger beherrscht als anderswo in der Region. Sie mag dort kleiner sowie weniger lautstark und selbstbewusst sein als im großen Polen, aber sie ist da und lebt. Die zwanziger Jahre des 21. Jahrhunderts sind eben im östlichen Mitteleuropa doch ganz anders als die zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts.
Und dies gilt übrigens auch für Deutschland: Die heutige Berliner Republik ist eben doch nicht mit der historischen Weimarer Republik zu vergleichen. Vielleicht kommt auch hierzulande nach der rechtspopulistischen Welle wieder eine Gegenbewegung der demokratischen Vernunft. Noch ist dies Spekulation, aber wenn die Politik in Berlin sich zusammenreißt und Zukunftsweisendes liefert, kann auch hier die demokratische Mitte große Massen von abgedrifteten Wählern zurückgewinnen. Nichts ist in Stein gemeißelt, und schon gar nicht die politischen Stimmungstrends der letzten beiden Jahre.