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Eine Kolumne von Karl-Heinz Paqué

Walther Rathenau
Vor 100 Jahren: Walther Rathenau wird ermordet

von Karl-Heinz Paqué
Walther Rathenaus

Der Gedenkstein Walther Rathenaus in Berlin

© picture alliance / imageBROKER | Schoening Berlin

Es war ein heimtückischer Mord. Und es war eine Katastrophe für die junge Weimarer Republik. Am 24. Juni 1922 wurde gegen Mittag der deutsche Außenminister Walther Rathenau in der Koenigsallee in Berlin-Grunewald auf offener Straße im offenen Wagen erschossen. Verantwortlich waren Mitglieder der Organisation Consul (O. C.), einer rechtsradikalen, republikfeindlichen Vereinigung.    

Schockwelle in der deutschen Gesellschaft

Der Mord sorgte für eine ungeheure Schockwelle in der deutschen Gesellschaft. Sofort kam es zu Massenkundgebungen, die Trauerfeier im Reichstag wurde zu einer Demonstration für die Demokratie, das breite politische Spektrum der Parteien wurde - bis auf die extreme Rechte - vorübergehend in Schockstarre zusammengeschweißt. Die meisten Beobachter, darunter auch Harry Graf Kessler, der spätere Rathenau-Biograf und sein Parteifreund in der liberalen Deutschen Demokratischen Partei (DDP), orteten die geistige Schuld für den Mord sofort bei der rechten Deutschnationalen Volkspartei (DNVP), allen voran bei deren prominenten Mitglied Karl Helfferich, der offenbar in den Tagen und Wochen zuvor auf das Schärfste gegen Rathenau polemisiert hatte. Längst waren in der extremen Rechten antisemitische Angriffe auf den jüdischen Außenminister zum üblichen Repertoire der politischen Diffamierung geworden.

Im Grund erholte sich die Weimarer Republik nie mehr ganz von der Schockwelle dieses Mordes. Es folgten Regierungskrise und Ruhrkampf sowie Hyperinflation, Stresemanns durchaus erfolgreiche Währungsreform, einige vielversprechende Jahre, in denen es aufwärts ging, aber dann kurz nach dem Tod Stresemanns am 3. Oktober 1929 die Weltwirtschaftskrise mit extrem hoher Arbeitslosigkeit und großem Elend, gerade mal ein Jahrzehnt nach der Zerstörung aller Finanzvermögen des Mittelstands durch die Inflation. Und schließlich kam es 1933 zur Machtergreifung Hitlers. Es gab vor allem in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre hoffnungsvolle Ansätze der politischen und wirtschaftlichen Stabilisierung, aber das vergiftete Erbe der Morde an zwei höchst profilierten frühen Repräsentanten der Republik - 1921 Finanzminister Matthias Erzberger (Zentrum) und 1922 Außenminister Walther Rathenau (DDP) - blieben ein permanenter Schatten über dem Staatswesen.

Lange blieben der Bundesrepublik Deutschland politische Morde erspart

Es ist eine glückliche Fügung, dass der Bundesrepublik Deutschland nach ihrer Gründung 1949 politische Morde lange Zeit erspart blieben - trotz durchaus scharfer Auseinandersetzungen über Grundsatzentscheide vor allem in der Frühphase ihrer Existenz. Erst in den siebziger Jahren gab es wieder politische Morde, nicht weniger heimtückisch als fünf Jahrzehnte zuvor, diesmal allerdings verübt von Linksterroristen der RAF, die in ihrem unendlichen Hass gegen den Kapitalismus führende Repräsentanten des Staates und der Wirtschaft geradezu planmäßig exekutierten. Letztes Opfer wurde am 1. April 1991 der Chef der Treuhandanstalt Detlev Karsten Rohwedder.

Aber erst der Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke am 1. Juni 2019 erinnerte die Öffentlichkeit in Deutschland daran, dass es mit dem Nationalsozialistischen Untergrund NSU wieder eine rechtsradikale Organisation gab, die bereit war, Repräsentanten des Staates heimtückisch zu ermorden. Zwischenzeitlich hatten Mitglieder des NSU bereits ab Mai 2013 wegen Morden und schweren Brandanschlägen vor Gericht gestanden hatten. Spätestens mit dem Mord an Lübcke rückte der Mord an Rathenau wieder aus den Geschichtsbüchern heraus ganz explizit in das Bewusstsein der breiteren Bevölkerung. Dort muss er bleiben, auch nach 100 Jahren.