EN

WESTBALKAN
Der Innenhof der Europäischen Union

Veranstaltung zu Perspektiven des Westbalkans im Kontext von Krise und Krieg
Der Innenhof der Europäischen Union - Duskussion

Michael Martens, Alexandra Tomanić, Adelheid Wölfl und Jelena Spasović

© FNF

Der Westbalkan steht wieder verstärkt im Fokus europäischer Politik. Insbesondere durch den brutalen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine sind Befürchtungen verstärkt worden, dass dies auch Auswirkungen auf die nach wie vor instabile Westbalkanregion haben könnte. Denn bereits in den vergangenen Jahren hat der Einfluss autoritärer Mächte - insbesondere von Russland und China - ständig zugenommen. Beobachter warnen daher schon länger vor einem Abdriften Südosteuropas hin zu autoritären Bündnispartnern.

Wie aber soll diesen Herausforderungen und Gefahren angemessen begegnet werden? Ist eine EU-Beitrittsperspektive noch ein realistisches Ziel für alle Länder? Sollte die Integration dieser Länder vor dem Hintergrund der genannten Entwicklungen gar beschleunigt werden, wie manche fordern? 

Darüber diskutierten Vertreterinnen und Vertreter aus Wissenschaft, Medien und Zivilgesellschaft vergangenen Juni auf Einladung der Stiftung in Belgrad:„Der Innenhof der Europäischen Union – Der Westbalkan im Spannungsfeld von Krisen und Konflikten“ war das Thema einer Paneldiskussion, die von der erfahrenen Südosteuropakorrespondentin Adelheid Wölfl vom Wiener Standard moderiert wurde.

Der Innenhof der Europäischen Union - Diskussionsrunde

Prof. Dr. Solveig Richter, Michael Martens, Aleksandra Tomanić, Adelheid Wölfl, Jelena Spasović

FNF-Vorstandsmitglied Manfred Richter und die aus Leipzig zugeschaltete Südosteuropaexpertin Prof. Solveig Richter zeichneten die Entwicklung der Länder der Westbalkanregion in kurzen Strichen nach und wiesen darauf hin, dass gerade diese - von EU-Mitgliedstaaten umzingelte - Region für die Sicherheit und Stabilität der Europäischen Union insgesamt von besonderer Bedeutung ist.

Manfred Richter

Manfred Richter

© FNF

Die „europäische Perspektive“ samt späterer EU-Vollmitgliedschaft, die den Ländern des Westbalkans seit fast 20 Jahren bei vielerlei Anlässen immer wieder zugesichert wird, rückt aber offensichtlich in immer weitere Ferne. Der jüngste Beitritt ist fast 10 Jahre her (Kroatien, 2013), Montenegro verhandelt seit 2012, Serbien seit acht Jahren.

„Erweiterungsmüdigkeit“ und „-skepsis“ der Europäischen Union auf der einen Seite korrespondiert mit mangelnder bzw. nachlassender Reformbereitschaft wie auch Enttäuschung auf Seiten der Beitrittskandidaten.

Was könnten vor diesem Hintergrund realistische Zwischenschritte unterhalb einer Vollmitgliedschaft sein, die einen motivierenden Schub auslösen könnten, für beide Seiten akzeptabel und den neuen geopolitischen Herausforderungen gewachsen wären?

Der Südosteuropakorrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Michael Martens, schlug als Zwischenlösung, die nicht als Verzicht auf eine spätere Vollmitgliedschaft missverstanden werden sollte, vor, den Fokus auf den europäischen Binnenmarkt mit seinen vier Säulen zu richten: freier Verkehr von Personen, Gütern, Kapital und Dienstleistungen. Die Balkanstaaten hätten dadurch volle wirtschaftliche Teilhabe, was gewaltige positive Effekte nach sich ziehen könnte. Die politische Mitwirkung wäre ihnen allerdings bis auf Weiteres versagt.

Der Innenhof der EU

Adelheid Wölfl, Jelena Spasović

© FNF

Diesem Ansatz konnte wiederum die Direktorin des European Fund for the Balkans, Aleksandra Tomanić, wenig abgewinnen. Wenn die politischen Kriterien an Bedeutung verlören, gäbe es für die politischen Eliten des Balkans gar keine Veranlassung mehr, rechtsstaatliche Reformen tatsächlich und wirksam anzugehen. Die ganze paternalistisch-nationalistische Politik, die für diese Region typisch sei – immer nur werde bspw. vom „Volk“, aber nie vom mündigen „Bürger“ gesprochen – könnte dann ungehindert fortgesetzt werden.   

Auf einen weiteren Aspekt wies die seit vielen Jahren im internationalen Jugendbereich tätige Jelena Spasović aus Brüssel hin. Die EU habe über längere Zeit sehr widersprüchliche Signale an die serbische Öffentlichkeit gesendet. Zunächst sei Vučić als glaubwürdiger pro-europäischer Partner behandelt worden, später als wankelmütiger nicht erwünschter Autokrat. In der Öffentlichkeit sei auch dadurch der Eindruck entstanden, dass die EU eine Mitgliedschaft Serbiens eigentlich nicht wolle. Der jungen pro-europäischen Generation bleibe so meist nur die Auswanderung als Alternative.

Einig war man sich auf dem Podium bezüglich der Gefahreneinschätzung Russlands, das jede Initiative, die geeignet erscheint, die angestrebte EU-Integration der Westbalkanländer zu untergraben, unterstützt und für ihre Ziele nutzt.

Viel stärker als bisher müsse die EU deshalb auch die Entwicklung in Bosnien-Herzegowina in den Blick nehmen, wo seit Jahren an der Auflösung zentralstaatlicher Institutionen gearbeitet werde. Die Abspaltung der serbischen Teilrepublik etwa betreibe der bosnische Serbenführer Milorad Dodik mit großer Energie und mit tatkräftiger Unterstützung Russlands.

Der Innenhof der EU

Michael Roick

© FNF

Die Veranstaltung war auch das Schlussevent von Michael Roick, der dreieinhalb Jahre die Projektarbeit der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit auf dem Westbalkan von Belgrad aus verantwortete. In Anwesenheit vieler Vertreterinnen und Vertreter aus Zivilgesellschaft, Politik, Wissenschaft und Medien stellte er seinen Nachfolger Markus Kaiser vor, der im August seine Arbeit in Belgrad aufnehmen wird.

Projektleiter FNF

Michael Roick und Markus Kaiser

© FNF