Wirtschaft
Geopolitische Globalisierung
Die Zeitenwende: Vor einem knappen Jahr, am 27. Februar 2022, wurde sie im Deutschen Bundestag ausgerufen. Es war die unmittelbare Reaktion auf Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine. Seither hat sich tatsächlich die Welt verändert: Aufstockung der Verteidigungsausgaben, Umorientierung der Energiepolitik, globale Preisinflation, Rettungs- und Entlastungspakete, Boykotte und Sanktionen. Nach fast einem Jahr dürfte klar sein, dass die Welt künftig anders aussehen wird.
Aber wie? Beim Weltwirtschaftsforum in Davos – und andernorts – wird in dieser Woche darüber intensiv diskutiert. Gut so! Das wichtigste Ergebnis: Die Globalisierung muss weitergehen. Sie wird allerdings anders aussehen. Es ist Zeit, sich darüber aus liberaler Sicht Gedanken zu machen, wie es die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in einem Grundsatzpapier zur Zeitenwende schon getan hat.
Mit fast einem Jahr Abstand zum Kriegsbeginn werden nun auch die politischen Forderungen konkreter. Drei Grundlinien sind dabei auszumachen:
- Wir brauchen eine neue Offensive für Freihandelsverträge. Dies hat Bundesfinanzminister Christian Lindner in Davos deutlich gemacht. Und zwar benötigen wir sie bevorzugt mit jenen Nationen der Welt, die unsere Werte von Freiheit und Demokratie sowie Rechtsstaat und Marktwirtschaft im Kern teilen. Das CETA-Abkommen mit Kanada ist vom Bundestag im letzten Jahr ratifiziert worden, endlich! Unterwegs sind EU-Initiativen zu Freihandelsverträgen mit Australien, Chile, Mexiko, Neuseeland und den La Plata-Mercosur-Ländern einschließlich der großen Länder Argentinien und Brasilien. Weitere Nationen und Regionen müssen schnellstmöglich folgen. Die Welt der globalen Handelspartnerschaft darf nicht autokratischen Mächten wie China und Russland überlassen werden, was in der Vergangenheit viel zu oft und lange geschah.
- Wir brauchen eine überzeugende liberale Lösung für die extrem wichtigen Wirtschaftsbeziehungen mit den Vereinigten Staaten. Eine Rückkehr zum Konzept von TTIP, der “Transatlantic Trade and Investment Partnaership”, die bis 2016 die Diskussion beherrschte, ist nach dem “Chips and Science Act” und dem “Inflation Reduction Act” der USA wohl undenkbar, enthalten diese doch eine Fülle von zum Teil diskriminierenden Regeln der Subventionierung amerikanischer Unternehmen im Volumen von insgesamt 655 (!) Mrd. Dollar. Gleichwohl bedarf es dringend einer konstruktiven Verständigung mit den USA darüber, wie deren Gesetzgebung und Verwaltungspraxis mit Blick auf protektionistische Wirkungen für Europa entschärft werden kann. Mit einer ebenso protektionistischen Subventionsinitiative in Europa zu antworten, wie es Ursula von der Leyen, die EU-Kommissionspräsidentin, anscheinend vorhat, wäre dabei der völlig falsche Weg. Er würde in einem veritablen transatlantischen Handelskrieg münden. Der wirtschaftliche und geopolitische Schaden wäre enorm, Xi Jinping und Wladimir Putin würden sich die Hände reiben.
- Wir brauchen eine offensive Standortpolitik in Deutschland und der Europäischen Union, die im fairen Wettbewerb mit der außereuropäischen Welt die Modernisierung Europas voranbringt. Dafür bedarf es keiner massiven Finanzierung über zusätzliche Subventionen und Schulden. Wohl aber brauchen wir einen Ausbau der Mobilisierung von privatem Kapital durch öffentliche und private Kredite sowie moderne Finanzinstrumente. Auf EU-Ebene steht dafür die Europäische Investitionsbank bereit, auf nationaler Ebene unter anderem eine Vielzahl von Förderbanken. Dies muss durch eine wirtschaftsfreundliche Steuerpolitik flankiert werden, die das Gründungsklima insgesamt verbessert und die benötigte Infrastruktur systematisch und schnell ausbaut, ohne bürokratische Hürden und lange Genehmigungsverfahren. Es geht um eine umfassende Verbesserung der Angebotsbedingungen, nicht um den Einstieg in einen globalen Subventionswettlauf.
Folgt man diesen drei Grundlinien, steht einer grundlegenden Modernisierung der europäischen und vor allem der deutschen Wirtschaft nichts entgegen. Zusammen mit den nötigen sicherheitspolitischen Weichenstellungen, die verhindern, dass in sensiblen Bereichen Importabhängigkeiten wiedererstehen, stünde dann der Weg offen für eine neue Welle der geopolitisch geprägten Globalisierung.